Nicht der Priester ist der Ursprung des Segens, sondern Gott selbst. Das betont der Priestersegen im Buch Numeri, der auch in einem Grab aus dem 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr. gefunden wurde.
1. Verortung im Buch
In der jüdischen Auslegungstradition wird diskutiert, warum der Segen, den die Priester über Israel zu sprechen haben, im Buch Numeri steht und nicht bereits im Buch Levitikus, wo von dem ersten priesterlichen Opfer erzählt wird: „Dann erhob Aaron seine Hände über das Volk und segnete es. Nachdem er so das Sünd- und das Brandopfer sowie das Heilsopfer vollzogen hatte, stieg er herunter.“ (Levitikus 9,22). Im Buch Numeri folgt der Segen, den die Priester über Israel sprechen sollen, den Gesetzen zum Nasiräertum – ein Nasiräer war jemand, der auf Dauer oder für eine bestimmte Zeit sein Leben Gott weihte und sein Haupthaar nicht scherrte, die Frucht der Weinrebe nicht genoss und keinen Kontakt mit den Toten hatte. Nach diesen Gesetzen wirkt der von den Priestern zusprechende Segen deplatziert. Der Text leitet jedoch über zu der im folgenden Kapitel erzählten abschließenden Weihe des Wüstenheiligtums.
2. Aufbau
Der von den Priestern zu sprechende Segen gliedert sich in drei Abschnitte, die jeweils mit dem Gottesnamen anfangen. Im Hebräischen Text sind die drei Bitten wie ein Crescendo gestaltet: Die erste Bitte besteht aus 15, die zweite aus 20 und die dritte aus 25 Buchstaben.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 22-23: In diesem Vers ist nicht ausgesagt, wann dieser Segen gesprochen werden soll. Die Weisung in Levitikus 9,22 legt jedoch nahe, dass es kein einmaliges, sondern regelmäßiges – vielleicht tägliches? – Ereignis war. Und es wird deutlich, dass die Segensworte nicht frei zu formulieren, sondern von Gott festgelegt sind.
Vers 24: Ein Segen ist im biblischen Denken kein Abstraktum und kann nicht nur in einem spirituellen Sinn verstanden werden. Sondern er bedeutet etwas Materielles wie zum Beispiel Wohlstand, ein Land, Nachkommen etc. (vgl. zum Beispiel Deuteronomium 28,3-14). Und dieser Segen sei dadurch bewahrt, dass Gott über Israel wache.
Vers 25: Das leuchtende Angesicht ist das Gegenteil zu der Klage in den Psalmen, Gott habe sein Angesicht versteckt. Letzteres zeigt unter anderem den Zorn Gottes an. In den altorientalischen Sprachen lassen sich viele Parallele zum Bild des „leuchtenden Angesichts“ finden und diese zeigen an, dass damit die freundliche, kümmernde Gesinnung zum Ausdruck kommt. Dies zeigt sich in Gottes Gnade, in der seine Barmherzigkeit seinen Gerichtswillen zügelt.
Vers 26: Das zugewendete Gesicht verdeutlicht, dass Gott nicht nur im abstrakten Sinne Israel zugewandt ist, sondern für Israel handelt. Anhand von 2 Sam 2,22 kann man es auch als Ausdruck der direkten Beziehung Gottes zu seinem Volk verstehen. Gottes Handeln möge Israel Frieden schenken, das heißt: Er möge all seinen Segen verwirklichen.
Vers 27: Dadurch das der Name Gottes auf das Volk gelegt wird, ist es als Gottes Eigentum markiert (vgl. Deuteronomium 28,10). Dies ist Ausdruck einer direkten, auch kultischen Beziehung des Volkes zu seinem Gott, wie er es im Buch Exodus verkündet: „Du sollst mir einen Altar aus Erde machen und darauf deine Brandopfer und Heilsopfer, deine Schafe, Ziegen und Rinder schlachten. An jedem Ort, an dem ich meinem Namen ein Gedächtnis stifte, will ich zu dir kommen und dich segnen.“ (Exodus 20,24).