Das Buch Rut

Rut 2,18-23: Ein Lob auf Boas

18Sie hob es auf, ging in die Stadt und ihre Schwiegermutter sah, was sie aufgelesen hatte. Dann packte sie aus, was sie von ihrer Mahlzeit übrig behalten hatte, und gab es ihr.

19Ihre Schwiegermutter fragte:

Wo hast du heute aufgelesen und gearbeitet? Gesegnet sei, der auf dich Acht hatte.

Sie berichtete ihrer Schwiegermutter, bei wem sie gearbeitet hatte, und sagte:

Der Mann, bei dem ich heute gearbeitet habe, heißt Boas.

20Da sagte Noomi zu ihrer Schwiegertochter:

Gesegnet sei er vom HERRN, der seine Güte den Lebenden und Toten nicht entzogen hat.

Und sie erzählte ihr:

Der Mann ist mit uns verwandt, er ist einer unserer Löser.

21Die Moabiterin Rut sagte:

Er hat noch zu mir gesagt:

Halte dich an meine Knechte, bis sie meine Ernte eingebracht haben.

22Gut, meine Tochter, sagte Noomi zu Rut, ihrer Schwiegertochter, wenn du mit seinen Mägden hinausgehst, dann kann man dich auf einem anderen Feld nicht belästigen.

23Rut hielt sich beim Ährenlesen an die Mägde des Boas, bis die Gersten- und Weizenernte beendet war. Danach blieb sie bei ihrer Schwiegermutter.

Überblick

Noomi versteht, dass sich ihr Schicksal gewendet hat. Rut ist unverhofft, auf denjenigen getroffen, der ihre Probleme nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft lösen kann. 

 

1. Verortung im Buch

Am Morgen war Rut zum Auflesen auf die Felder gegangen (Vers 3) und nach einem langen Tag kommt sie nun zurück in die Stadt zu ihrer Schwiegermutter. Im Kontrast zur gemeinsamen Rückkehr Noomis und Ruts nach Betlehem im ersten Kapitel kehrt sie nun jedoch nicht mit leeren Händen zurück (Rut 1,21), sondern mit reicher Ernte. Wie im vorherigen Kapitel steht nun wieder am Ende ein Gespräch, dass das Geschehene zusammenfasst und ausdeutet und vorausweist auf das, was folgt.

 

2. Aufbau

Im Zentrum des Gesprächs zwischen Noomi und Rut steht der Segenswunsch für Boas (Vers 20). Nicht Ruts Tun an diesem Tag und an den folgenden Erntetagen (Verse 19 und 23) wird gepriesen, sondern der Fokus liegt auf Boas als dem Retter der beiden Frauen. Auch in Ruts Worten (Verse 19 und 21, die das theologische Zentrum des Gesprächs rahmen, geht es in den knappen Antworten nur um das Handeln Boas‘.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 18: Den Überfluss, der Rut zuteil geworden ist, gibt sie am Abend an Noomi weiter. Sie teilt nicht nur die Nachlese mit ihr, sondern gibt ihr auch von ihrem Mittagessen. So wie Gott seinem Volk wieder Nahrung gegeben hat (Rut 1,6), so gibt nun Rut, nachdem sie satt geworden war, das Übriggehaltene an ihre Schwiegermutter (siehe נתן, gesprochen: natan, „geben“ in Rut 1,6; 2,18).  Der Segen Gottes verbreitet sich durch die menschliche Hand.

Vers 19: Rut verwunderte Frage, warum Boas sich ihrer kümmernd angenommen hat (Vers 10) und Noomis Segenswunsch für den Wohltäter sind wörtlich miteinander verbunden (נכר, gesprochen: nachar, „wahrnehmen“, „kümmern“). Beide Frauen verweisen damit auf die besondere Gnade, die Boas Rut erwiesen hat. Noomi wünscht dem Mann Gottes Segen, noch bevor sie weiß, wer er ist.

Vers 20: Als Noomi erfährt, dass der Wohltäter Boas ist (vergleiche Vers 1), spricht sie für ihn einen Segenswunsch, der ein Lobpreis Gottes ist. Sie erkennt in seinem Handeln Gottes Wirken und benennt ihn als einen der möglichen Löser (siehe Auslegung).

Verse 21-23: Nun wird deutlich, dass das Verhalten Boas keine einmalige Handlung ist, sondern er Rut für die gesamte Gersten- und Weizenernte (Vers 23) das Auflesen gestattet hat und sie bei seinen Arbeitern mit auf dem Feld sein darf. Diese Zusage bedeutet auch Schutz für Rut, wie Noomi in ihren Worten betont. Rut soll sich bei Boas Mägden aufhalten, damit sie von niemanden sexuelle belästigt oder gewalttätig behandelt werden kann. In ihren Worten verdeutlicht sich, dass Boas der Garant des Schutzes ist, den Boas Rut von Gott wünscht (Vers 12). Allerdings ist die dauerhafte Versorgung der beiden Witwen noch nicht gesichert. Boas‘ Zusage gilt nur für die Erntezeit. Noomi und Rut sind weiterhin aufeinander angewiesen und alleine in Betlehem. 

Auslegung

Durch die Ernte erreicht Gottes Heilshandeln vermittelt durch Boas nicht nur Rut, sondern auch Noomi. Sie erkennt ihn ihm ihren Löser:

  • Gottes Heilshandeln: Rut war nicht bereit ihre Schwiegermutter zu verlassen (Rut 1,16) und verließ stattdessen für immer ihre leiblichen Eltern (Rut 2,11). Darin hat Noomi Gottes Handeln nicht erkennt. Aber aufgrund von Boas glaubt sie nun, dass Gott sie doch nicht verlassen hat (Vers 20). Das Handeln Ruts ist mit dieser Erkenntnis Noomis durch ein in allen drei Versen gebrauchtes Wort verbunden (עזב, gesprochen: asaf, „verlassen“). Ruts Handeln führt dazu, dass Noomi durch Boas ihren Glauben wiedergewinnt (vgl. ihre negativen Aussagen über Gott in Rut 1,13.20f.).
  • Löser: Rut kann in der Situation Noomis und in der patriarchalen Gesellschaftsstruktur nicht ihr Retter sein. Der Begriff „Löser“, den Noomi in Bezug auf Boas verwendet, beschreibt einen männlichen Verwandten, der Familienmitglieder, die in finanzielle Nöte geraten sind, rechtlich beisteht (siehe dazu ausführlich die Auslegung von Rut 4,1-12). Das Gesetz in Lev 25,23-25 sieht nicht vor, dass das zurückgekaufte Land wieder in den Besitz des verarmten Verkäufers gelangt, sondern es geht um die Sicherung des Besitzes der Sippe.  Noomi betont aber auch, dass ein möglicher Löser, sowohl sie als auch Rut durch diese Handlung rettet. In ihren Worten definiert sie Rut und sich erstmals als Schicksals- und Lebensgemeinschaft. Wer der Löser sein wird, lässt die Aussage Noomis offen, denn sie verweist darauf, dass Boas nur einer der möglichen Löser ist.

Kunst etc.

Diese naiven Bibelillustration von Jim Padgett aus dem Jahr 1984 vermittelt dem Betrachter ein idyllisches Bild von Rut und Noomi in einem modernen Raum mit Blumengesteck, Gardinen und Tischdecken. Nicht dargestellt ist, dass Ruth nach einem langen Tag, vermutlich erschöpft vom Feld zurückkommt. Wohin genau sie zurückkommt, erzählt der Text selbst nicht, sondern nur, dass sie Noomi in Betlehem trifft. Der Illustrator stellt die reiche Nachlese in den Vordergrund, anstatt die theologische Aussage in Vers 20.  

Jim Padgett (Sweet Publishing), 1984 - Lizenz: CC-BY-SA 3.0.
Jim Padgett (Sweet Publishing), 1984 - Lizenz: CC-BY-SA 3.0.