Verbittert kehrt Noomi nach Betlehem zurück. Aus ihr ist in Moab ein weiblicher Ijob geworden. Ihre Ankunft ist kein Freudenereignis.
1. Verortung im Buch
Am Ende des ersten Kapitels ist man wieder am Ort des Anfangs angekommen. Noomi kehrt wieder zurück nach Betlehem, von wo sie mit ihrer Familie wegen einer Hungersnot geflohen war. Passend zur Gerstenernte trifft sie ein. Verbittert klagt sie zurückblickend über Ihr Schicksal, aber auf den Erntefeldern wird sich in den nächsten Kapiteln ihr erfahrenes Unheil in Heil wandeln.
2. Aufbau
Rut und Noomi kommen in Bethlehem an. Diese Aussage rahmt diesen Abschnitt. Die Rückkehr bedeutet Heil, weil Gott sich – wie es in Vers 6 erzählt wurde – seinem Volk wieder angenommen und ihm Nahrung gegeben hatte. Im Zentrum dieses Abschnittes steht jedoch die in Worte gefasste Verzweiflung Noomis – wörtlich übersetzt: „Ich, voll bin ich gegangen, aber leer hat mich JHWH zurückkehren lassen.“ (Vers 21) Um dieses Leid legt Noomi in ihrer Rede wie eine Klammer die doppelte Aufforderung, dass man sie fortan nicht mehr Noomi, d.h. die Wonne, nennen soll, sondern Mara, d.h. die Bittere.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 19b: Das Ende des Kapitels liest sich wie sein Anfang. Sowohl in Vers 1 als auch hier heißt es im Hebräischen „Und es geschah …“. Es deutet sich ein Neuanfang an. Doch zuerst ist der Blick in die Vergangenheit gewendet. Die Nachricht über Noomis Rückkehr verbreitet sich wie ein Lauffeuer.
Vers 20: Anhand ihres Namens erklärt Noomi ihr Schicksal. Aus der Wonne ist die Bitterkeit geworden – sie will fortan nicht mehr Noomi, sondern Mara, d.h. die Bittere, genannt werden. Bereits in Vers 13 sagt sie, dass sie „bitter“ ist, weil sie ihre Schwiegertöchter nicht versorgen kann. Bitter ist im Alten Testament nicht nur das Gegenteil von einem süßen Geschmack, sondern bezeichnet auch wie im Deutschen einen Gemütszustand im Unglück. So wird zum Beispiel im Buch Jesaja eine tödliche Krankheit als „bitteres Leid“ bezeichnet (Jesaja 38,17). Der Grund für das bittere Leid Noomis, das ihre Identität prägt, ist aus ihrer Perspektive Gott, den sie beim Namen nennt und als שַׁדַּי (gesprochen: Schaddaj) benennt. Diese Gottesbezeichnung bedeutet „der Allmächtige“, im positiven wie im negativen Sinne (siehe Auslegung).
Vers 21: In Vers 5 hat der Erzähler die hilflose Verlassenheit Noomi berichtet: „Noomi [wörtlich: die Frau] blieb allein, ohne ihren Mann und ohne ihre beiden Söhne.“ Dieses Schicksal beklagt sie nun in ihren eigenen Worten: „Reich [wörtlich: voll] bin ich ausgezogen, aber mit leeren Händen [wörtlich: leer] hat der HERR mich heimkehren lassen“. Der Gott, der gemäß Vers 6 sein Volk von der Hungersnot gerettet hat, wird von Noomi für ihre Lebenssituation verantwortlich gemacht.
Vers 22: Am Ende betont der Text zweimal, dass Rut und Noomi nach Bethlehem zurückgekehrt sind. Erst berichtet der Erzähler, dass Noomi nach Betlehem heimgekehrt ist und Rut sie begleitet. Im Hebräischen folgt dann dieser Aussage der Teilsatz: „die Rückkehrerin von den Feldern Moab“, der grammatikalisch auf Rut bezogen ist (siehe Rut 2,16). Hier formuliert der Erzähler eine bewusste Spannung, die die Erzählung fortan begleiten wird. Rut kommt in ihrer neuen Heimat an, aber sie bleibt doch zuerst eine Fremde, wie es in den folgenden Kapiteln mehrmals betont wird: „Rut, die Moabiterin“ (siehe zum Beispiel Rut 2,2).