Eine Familie flieht vor einer Hungersnot und am Ende der zwischenzeitlichen Rettung ist aus der Familienmutter, Noomi, eine kinderlose Witwe geworden. Das Buch Rut beginnt mit einer Katastrophe, die den Identitätsverlust Noomis bedeutet.
1. Verortung im Buch
Die eigentliche Geschichte des Buches beginnt erst später mit dem Dialog zwischen Noomi und ihren verwitweten Schwiegertöchtern (Verse 6-19a). Die ersten Verse erzählen die Vorgeschichte und eröffnen doch zugleich den Hauptbogen. Die allein zurückgebliebene Witwe Noomi wird am Ende des Buches durch das heilende Eingreifen Gottes von der sie existentiell bedrohenden Kinderlosigkeit erlöst. Durch Rut wird ihr ein Kind geboren, in dem der Name des verstorbenen Familienvaters weiterleben wird (Rut 4,5.10.16).
2. Aufbau
Hunger und Tod sind die Themen, die die ersten Verse des Buches Rut beherrschen. Die Auswanderung nach Moab wegen der Hungersnot in Betlehem umrahmt die beiden ersten Verse. Der Tod, vor dem die Familie geflohen ist, holt sie in der Fremde ein. Verse 3-5 werden durch den Tod zuerst des Familienvaters, Elimelech, und dann der Söhne, Machlon und Kiljon, gerahmt. Noomi und Rut, die beiden Hauptpersonen des Buches werden in den Versen 2 und 4 scheinbar nur nebenbei erwähnt. Doch zwischen den beiden Teilen der Exposition (Verse 1-2 und 3-5) geschieht ein wichtiger Perspektivenwechsel. Am Anfang wird Noomi als Elimelechs Frau eingeführt. Mit seinem Tod nimmt der Erzähler oder die Erzählerin jedoch nicht die zu vermutenden Perspektive der Söhne als Nachfolger ihres Vaters ein, sondern die Familie wird ausgehend von der Mutter beschrieben: Elimelech war der Mann Noomis; Machlon und Kiljon sind ihre Söhne. Noomi wird in den Fokus der Erzählung gerückt. Am Ende ist sie am Tiefpunkt angelangt. Sie ist in der Fremde und hat ihre gesamte Familie verloren. Im Hebräischen Text wird Noomi sogar in Vers 5 nicht mal mehr mit ihrem Namen genannt, sondern nur als „die Frau“ (האישה) bezeichnet. Mit ihrer Familie hat sie in der damaligen Welt ihre Identität verloren.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Die Erzählung spielt in der Zeit bevor das Volk einen König hatte und einzelne von Gott erwählte Führungspersönlichkeiten, die Richter genannt wurden, das Volk je nach einem Abfall von Gott und der Bedrohung durch andere Völker retteten. Im Buch Rut geht es aber weder um die Erwählung eines Richters, noch um den Abfall des Volkes von Gott oder einer Bedrohung durch ein fremdes Volk. Vielmehr findet eine israelitische Familie Zuflucht und Versorgung in dem fremden Land Moab und rettet sich so vor der Hungersnot im eigenen Land.
Vers 2: Namen haben im Buch Rut eine besondere Bedeutung und es handelt sich fast immer um sogenannte „sprechende Namen“. Sie haben für die Erzählung relevante Bedeutungen (zum Namen „Rut“ siehe die Einleitung). Der Familienvater heißt Elimelech, was auf Hebräisch „Mein Gott ist König“ bedeutet. Scheinbar kann aber Gott als König ihn nicht versorgen und so flieht Elimelech in ein anderes Königreich. In Vers 6 wird sich Gott jedoch ein erstes Mal in diesem Buch als König erweisen, indem er die Hungersnot in Betlehem beendet. Der Name der Mutter der Familie ist Noomi, „meine Wonne“. Dieser ist wahrscheinlich eine Kurzform für „Gott ist meine Wonne“. Dass Gott liebevoll an Noomi handelt, bestätigt sich jedoch in den ersten Versen der Erzählung nicht und so ändert sie später in Vers 20 ihren Namen zu Mara: „Nennt mich nicht mehr Noomi, Liebliche, sondern Mara, Bittere; denn viel Bitteres hat der Allmächtige mir getan.“ Die Katastrophen, die über Noomi hineinbrechen, werden bereits in den Namen ihrer Söhne sichtbar. Machlon und Kiljon bedeuten übersetzt „der Kränkliche und der Schwächliche“, womit schon auf deren baldigen Tod vorausgewiesen wird. Auch der Name der zweiten Schwiegertochter verweist voraus, auf das Kommende. Der Name leitet sich von dem hebräischen Begriff für „Nacken“ ab und bedeutet „die den Nacken Zukehrende“. In ihrem Namen deutet sich schon das in Rut 1,6-19a erzählte Geschehen: Rut begleitet Noomi zurück nach Betlehem, aber Orpa wird zurückkehren, wo sie hergekommen ist.
Verse 3-5: Nachdem in Vers 3 berichteten Tod des Familienvaters scheint neue Hoffnung in den Familiengründungen der beiden Söhne zu liegen. Doch der Eheschließung folgt kein Babyglück, sondern der Text stellt nur fest, dass zehn Jahre vergingen. Nach diesen zehn Jahren sterben beide Söhne und hinterlassen keine Nachkommen. Am Ende steht Noomi alleine dar.