„Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist.“ – dies sind die letzten Worte Jesu im Lukasevangelium. Ein Satz voll Vertrauen und Gewissheit.
1. Aufbau
Die Erzählungen von Leiden und Sterben Jesu in den synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus und Lukas) weisen übereinstimmend folgende Abschnitte auf:
- Todesbeschluss, Salbung Jesu, Judas bei den jüdischen Autoritäten
- Vorbereitung zum Abendmahl, Abendmahl
- Gang zum Ölberg, Gebet in Getsemani, Verhaftung Jesu
- Verhör Jesu durch die jüdischen Autoritäten
- Verleugnung des Petrus und Überstellung Jesu an Pilatus
- Verhör durch Pilatus
- Kreuzigung Jesu
- Tod Jesu
- Grablegung Jesu
Im Folgenden sollen nur diejenigen Szenen in den Blick genommen werden, die Lukas in anderer Weise oder zusätzlich zu Markus und Matthäus in sein Evangelium (Lukasevangelium – Lk) übernimmt.
2. Erklärung einzelner Abschnitte und Verse
Ähnlich wie auch der Evangelist Johannes lässt Lukas Jesus nach dem letzten Abendmahl noch einige Worte an die Apostel richten (Lk 22,24-38). Die markanten Stellen dieser Abschiedsrede Jesu im Lukasevangelium werden kurz benannt:
Verse 24-30: Die erste Szene geht zurück auf eine Unterhaltung der Apostel untereinander: sie streiten darüber, wer von ihnen der Größte sei. In seiner Antwort bedient sich Jesus zunächst dem anerkannten und normalen Bild von Herrschaft (Vers 25). In den folgenden Versen 26 und 27 stellt er Ihnen das Gegenbild vor, das in seinem eigenen Beispiel begründet ist. Bei den Jüngern, das bedeutet eigentlich in der christlichen Gemeinde, soll derjenige der einen bestimmten Status hat, diesen innerhalb der Gemeinde nicht ausleben. Vielmehr soll sich das vom Status des Wohltäters oder herrschenden abgeleitete Rollenbild umkehren. Derjenige, der eigentlich einen höheren Status hat, soll die Rolle des Jüngsten oder Dienenden einnehmen. So wie auch Jesus selbst in der Mitte seiner Jünger dient und nicht herrscht. Der Abschnitt endet mit einer Zusage Jesu an seine Jünger. Sie, die seinen Weg und alle schwierigen Situationen mit ihm treu durchstanden haben, sie erhalten die Zusage im Reich Gottes für ihre Treue belohnt zu werden.
Verse 31-32: In der Szene mit der Ankündigung der Verleugnung durch Petrus sind vor allem die ersten beiden Verse von Bedeutung. Nur der Evangelist Lukas berichtet von dieser direkten Ansprache Jesu an Simon Petrus. Hier spielt indirekt das Motiv der Treue aus dem vorangegangenen Abschnitt wieder eine Rolle. Denn der Wunsch des Teufels, die Jünger wie Weizen zu sieben, lässt an eine Prüfungssituation denken, wie sie Jesus selbst erlebt hat (vgl. Lk 4,1-13). Mit dem besonderen Eintreten Jesu für Petrus und dem Auftrag zur Stärkung seiner Brüder möchte der Evangelist Lukas die Rolle des Petrus in der nachösterlichen Zeit bekräftigen. Angesichts der Versuchungen des Teufels bittet Jesus Gott darum, dass Petrus nicht an seinem Glauben zweifelt. Wenn Petrus dann auch nicht mehr leugnet, Jesus zu kennen (vgl. Vers 34) – so ist das Wort 'umkehren' hier zu verstehen – dann kann er die anderen Jünger mit seinem Glauben stärken.
Verse 35-38: Der Abschluss der Rede Jesu nimmt Bezug auf die Aussendung der 72 Jünger Lk 10. Auch jetzt sollen die Jünger auf den Geldbeutel und den Proviant verzichten, ggf. auch auf den Mantel, und stattdessen ein Schwert kaufen. Die Aufforderung, sich zu bewaffnen, und die Ankündigung Jesu, wie ein Gesetzloser behandelt zu werden (vgl. Lk 22,52), weisen voraus auf das, was kommt: Gefangennahme und Auslieferung. Wenn die Apostel daraufhin zwei Schwerter präsentieren, kann das einerseits als Hinweis auf die Gefangennahme gewertet werden. Andererseits zeigt sich darin ein erneutes Unverständnis der Jünger, wie sie Jesu Worte über sein eigenes Schicksal zu verstehen haben. Das Schlusswort Jesu "genug davon" beendet sowohl die Abschiedsrede an die Jünger, als auch die gemeinsame Zeit insgesamt.
Lk 22, 51: Nur der Evangelist Lukas berichtet von dieser letzten Heilung Jesu. Sie zeigt, dass Jesus sogar seine Feinde, sogar diejenigen, die ihn festnehmen und ausliefern wollen, heilt. Die Aktion Jesu macht sowohl das gewaltsame Eintreten der Jünger ungeschehen als dass sie ihnen auch eindeutig zeigt, dass dieser Widerstand nicht der richtige ist.
Lk 24,6-12: Die Begegnung zwischen Herodes und Jesus wird uns nur vom Evangelisten Lukas berichtet. Wenn Pilatus Jesus an den zuständigen Herrscher Herodes überstellen lässt, will Lukas damit deutlich machen, dass Pilatus die Vorwürfe gegen Jesus für eine innerjüdische und für ihn harmlose Angelegenheit hält. Die Person des Herodes ist den Lesern des Evangeliums bereits bekannt, auch sein Wunsch Jesus kennenzulernen (Lk 9,7-9) auf den hier zurückverwiesen wird. Da Lukas weder das intensive Gespräch zwischen Herodes und Jesus noch die Anklagepunkte der Hohepriester und Schriftgelehrten überliefert, liegt die Pointe der Erzählung auf dem letzten Vers. Herodes und Pilatus, die zuvor offensichtlich keinerlei Gemeinsamkeiten miteinander entdeckt haben, werden mit einem Mal Freunde. Der Grund dafür ist ihr übereinstimmendes Urteil über Jesus von Nazareth.
Lk 23,27-31: Auch auf den letzten Metern zum Kreuz berichtet Lukas wie so oft von einer großen Volksmenge, die mit ihm zieht. Den klagenden und weinenden Frauen unter ihnen wendet sich Jesus mit einer Unheilsankündigung zu. Seine Aufforderung nicht über sein Schicksal zu weinen, sondern über das eigene und das der Kinder erläutert er im Folgenden. In der Seligpreisung der kinderlosen Frauen verdreht er Inhalt und äußere Form. Denn was sonst ein Zeichen des Makels ist (Kinderlosigkeit vgl. Gen 30,1f.), wird nun zum Gegenstand des Lobpreises. Mit dem Bildwort aus dem Buch des Propheten Hosea (Hosea 10,8) beschreibt er das kommende Unheil indirekt durch den zitierten Wunsch Berge und Hügel mögen auf die Menschen fallen. Auch das abschließende Wort vom frischen und trockenen Holz soll das kommende Unheil illustrieren. Es knüpft an die Erfahrungswelt der Menschen an: Normalerweise wird zuerst das trockene und besser brennende Holz ins Feuer geworfen, dann das frische. Wenn hier nun zunächst das frische Holz genutzt wird, scheint das Schicksal des trockenen Holzes besiegelt. Ohne viel zu sagen oder das kommende Geschick der Frauen von Jerusalem genau zu benennen, deutet Jesus an, dass das, was sie gerade beweisen, nur ein Bruchteil dessen ist, was sie selbst erleben werden.
Lk 23,39-43: Lukas fügt der Notiz von den beiden mitgekreuzigten Verbrechern ein Gespräch zwischen Jesus und den beiden hinzu, das noch einmal die ganz andere Gerechtigkeit Gottes in den Blick nimmt. Während der erste Verbrecher Jesus verspottet und darin dieselbe falsche Messiasvorstellung ausdrückt wie das umstehende Volk (Vers 35), wird der zweite Verbrecher indirekt als ein Glaubender gekennzeichnet. Er erkennt nicht nur die Unschuld Jesu, sondern äußert zugleich die Gewissheit, dass Jesus nach seinem Tod in seinem Reich, d.h. dem Reich Gottes sein wird. Diese Gewissheit und Erkenntnis des Verbrechers führen zur Zusage Jesu: "Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein." Weil der Verbrecher Jesus als denjenigen anerkennt, der im Reich Gottes Macht ausübt ("dein Reich"), zeigt sich an ihm die besondere Gerechtigkeit Gottes. Sie schaut nicht einfach nur auf die weltlichen Kategorien und die Vorgeschichte des Menschen, sondern urteilt nach dem Glauben und dem Vertrauen. So kann auch der Verbrecher vor Gott als Gerechter dastehen.
Lk 23,48: Nach dem Tod Jesu lenkt Lukas den Blick noch einmal auf die Jerusalemer Bevölkerung. Das Schlagen an die Brust ist ein Zeichen für Reue, Trauer und Schmerz. Mit derselben Geste war im Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner der Zöllner vor Gott getreten (vgl. 18,13). Mit dieser Geste schreibt der Evangelist den Bewohnern von Jerusalem so etwas wie ein Unrechtsbewusstsein zu.