„Wenn du Gottes Sohn bist“ – Wenn selbst der Teufel an dich glaubt, ist entscheidend, was du draus machst!
1. Verortung im Evangelium
Mit der Erzählung von der Versuchung Jesu in der Wüste endet im Matthäusevangelium (Mt) der „Vorbericht“ zum öffentlichen Wirken Jesu, dass mit Mt 4,17 beginnt und zudem mit Mt 4,12-16 übergeleitet wird. In den Kapiteln 1-3 hatte der Evangelist Matthäus zuvor die Herkunft Jesu als Gottes Sohn „erklärt“ und in den Episoden rund um Geburt, Verehrung durch die Sterndeuter, Flucht nach und Rückkehr aus Ägypten durch Gottes beständiges Wirken darin bestätigt. Mit Mt 3,1-12 hatte der Fokus auf Johannes den Täufer gewechselt, der das Kommen eines Stärkeren ankündigte und diesem zugleich durch seinen Ruf in die Umkehr den Weg bereitete. Mit der Erzählung von der Taufe Jesu wird Jesus als Sohn Gottes bestätigt und für die Leser des Evangeliums als der identifiziert, den Johannes angekündigt hatte. Die beiden Erzählungen von der Taufe Jesu und seiner Versuchung in der Wüste sind inhaltlich eng miteinander verbunden. In beiden spielt die Gottessohnschaft Jesu und sein Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes eine große Rolle.
2. Aufbau
Die Erzählung wird durch eingeleitet durch eine Situationsangabe (Verse 1-2). In den Versen 3-10 wird in drei Episoden berichtet, wie der Teufel Jesus in Versuchung führt (Verse 3-4, 5-7 und 8-10). Vers 11 rahmt die Versuchungsgeschichte, indem das Ablassen des Teufels und die Bestätigung der Gottessohnschaft geschildert werden.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-2: Der „Geist“, der Jesus in die Wüste führt, verbindet die Versuchungsgeschichte mit der vorangegangenen Episode der Taufe Jesu (Mt 3,16). Diese Verknüpfung wird im griechischen Text verstärkt durch den parallel gestalteten Eingangssatz (3,13 und 4,1), was in der Übersetzung so nicht zum Ausdruck kommt.
Die Zeitangabe des Aufenthalts Jesu in der Wüste (40 Tage und 40 Nächte) ruft verschiedene biblische Bezugsgeschichten in Erinnerung: Die 40 Jahre des Wüstenaufenthalts des Volkes Israel (Deuteronomium 8,2-4), die 40 Tage und 40 Nächte, die Mose auf dem Sinai verbrachte (Exodus 34,28) und die Wanderung des Elija zum Gottesberg Horeb (1. Buch der Könige 19,8). Wichtiger als die Identifizierung einer konkreten Anspielung ist für die Versuchungsgeschichte die „Färbung“, die entsteht. Der Aufenthalt Jesu in der Wüste erinnert an andere Erzählungen, in denen das Volk Israel oder Propheten ihre Beziehung zu Gott auf eine besondere Weise erleben – aber auch auf die Probe gestellt finden. Dass Matthäus bewusst an diese Erzählungen anknüpft zeigt sich unter anderem darin, dass er – anders als die Evangelisten Markus und Lukas – von 40 Tagen und 40 Nächten spricht.
Die Zeit des Fastens Jesu in der Wüste ist aufgrund ihrer Stellung zwischen Taufe und Beginn des öffentlichen Wirkens als Vorbereitungszeit ausgewiesen.
Verse 3-4: Matthäus ergänzt nicht nur die 40 Nächte gegenüber den Evangelisten Lukas und Markus, er verschiebt auch den Zeitpunkt, an dem der Teufel an ihn herantritt. Bei ihm tritt der „Versucher“ erst nach Ablauf der 40 Tage und Nächte an Jesus heran, dann also, wenn der Hunger und die Not entsprechend groß geworden sind. Die einleitenden Worte des Teufels zur ersten Episode („wenn du Gottes Sohn bist“) sind nicht konditional gemeint, es geht dem Teufel nicht um die Frage „ob“ Jesus der Sohn Gottes ist. Vielmehr sind die einleitenden Worte eine Voraussetzung für die Anfragen, die der Versucher an Jesus richtet. Jesus soll seinen Hunger (Vers 2) stillen, indem er die ihm anvertraute Macht zu seinen Gunsten nutzt. Der entscheidende Punkt in dieser und den folgenden Versuchungen ist die Frage danach, in wie weit Jesus seine Macht ausnutzt und sein Vertrauen gegenüber dem Vater in Frage stellt. Wegweisend sind hierfür die Urheber der jeweiligen Situationen: Jesus ist in der Wüste, weil ihn der Geist und damit Gott hineingeführt hat. Es entspricht also dem Willen des Vaters, diese Zeit ohne Nahrung als Vorbereitungszeit auf das kommende Wirken zu durchleben. Zugleich weiß Jesus, dass der Vater sich immer um ihn sorgt – die Leser des Evangeliums haben dies sogar in den ersten Episoden schon „erlebt“ (Rettung vor Herodes). Die Situation, in die der Teufel Jesus nun hineinführt, ist nicht dem Willen Gottes entsprungen, gibt Jesus den Verlockungen des Versuchers nach, wendet er sich um seiner selbst willen gegen den Vater und vertraut mehr sich selbst als der Fürsorge Gottes.
Die Antwort Jesu ist entsprechend passgenau. Das Entscheidende ist das, was von Gott kommt, sein Wort und seine Weisung. Ganz bewusst legt der Evangelist Matthäus Jesus hier das ausführliche Zitat aus dem Buch Deuteronomium (Dtn 8,3) in den Mund (anders als Lukasevangelium 4,4). Das „Wort aus Gottes Mund“ und damit der Wille Gottes ist das, was das Leben erhält. Wenn Jesus die Steine nicht in Brot verwandelt, bleibt er dem Willen Gottes treu.
Verse 5-7: In der zweiten Episode entrückt der Teufel Jesus auf den Tempel in Jerusalem und nimmt ein Schriftzitat zu Hilfe, um Jesus zum Missbrauch seiner Macht einzuladen. Das Zitat aus Psalm 91 gibt die feste Hoffnung des Beters wieder, dass Gott sich um ihn sorgt und Engel sendet, die ihn vor allem Unheil bewahren. Selbstverständlich lebt Jesus aus dieser Gewissheit heraus und gibt dieses Vertrauen in Gottes Fürsorge in seiner Verkündigung weiter (vgl. Mt 6,30-32). Zugleich ist diese Fürsorge nicht provozierbar oder ausnutzbar, wie Jesus wiederum mit einem Zitat aus dem Buch Deuteronomium kontert (Dtn 6,16).
Mit der zweiten Episode schlägt der Evangelist einen Bogen hin zur Passionserzählung. Dort wird Jesus den Jünger zurechtweisen, der sich den Soldaten entgegenstellen will, die Jesus verhaften. Er hält dem Jünger entgegen, dass er ohne Weiteres seinen Vater um Beistand in Form von Engelslegionen bitten könnte (Mt 26,53). Jesus ruft diesen Beistand jedoch nicht herbei, weil er seine Macht nicht für sich selbst und zu seiner eigenen Rettung einsetzt.
Verse 8-10: Die dritte und letzte Episode zwischen dem Versucher und Jesus hat zum Ziel, Jesus mit dem Ausblick auf mögliche Macht und Herrschaft zur Verehrung des Teufels zu verführen. Auch hier antwortet Jesus mit einem Zitat aus dem Buch Deuteronomium (Dtn 6,13).
Zwei Beobachtungen sind an dieser Szene interessant. Zum einen kann einem die Szene auf dem Berg hier durchaus das Ende des Evangeliums in Erinnerung rufen. Auch dort steht Jesus auf einem Berg. Als Auferstandener verkündet er seinen Jüngern dort, dass ihm alle Vollmacht im Himmel und auf Erden gegeben ist (Mt 28,18). Die dort proklamierte Macht, die er vom Vater bekommen hat, umfasst weit mehr als der Teufel ihm geben kann, der nur die Reiche der Welt anbietet. Zum anderen wird mit dem Begriff „Satan“, den Jesus in seiner Antwort verwendet, noch einmal ein Bogen zum Leiden Jesu gespannt. Denn als Petrus in unmittelbarer Folge der ersten Ankündigung von Leiden und Auferstehung zu Jesus sagt: „Das darf nicht mit dir geschehen!“ (Mt 16,22), antwortet Jesus ähnlich wie in Mt 4,10 mit „Tritt hinter mich, du Satan!“ (Mt 16,23). Petrus und der Versucher werden mit ähnlichen Worten getadelt, weil sie Jesu Weg infrage stellen oder ihn von ihm abhalten wollen, von dem Weg, der dem Willen des Vaters entspricht.
Vers 11: Das Machtwort Jesu hat Erfolg, der Teufel weicht davon. An seine Stelle treten nun Engel, die Jesus dienen, womit in Erinnerung an 1. Buch der Könige 19,5-8 wohl das Stillen des Hungers gemeint sein dürfte. Damit wird Jesus von Gott das geschenkt, wozu ihn der Teufel anstiften wollte: Gottes Fürsorge zu provozieren und die eigene Not selbstmächtig zu stillen. Das „Dienen der Engel“ bekräftigt aber nicht nur die Glaubwürdigkeit der Antworten Jesu zuvor. Es weist auch auf Jesu Würde als Gottessohn hin, den die himmlischen Mächte nicht nur umsorgen, sondern dem sie dienen.