Die Taufe Jesu. Wie Jesus sich in die Volksmenge einreiht und doch aus ihr heraussticht.
1. Verortung im Evangelium
Zum ersten Mal wird Jesus im Matthäusevangelium (Mt) selbst aktiv. Nach dem Stammbaum (Mt 1,1-17) und der Erzählung von der Geburt (Mt 1,18-25) prägten die Ereignisse rund um die Geburt (Huldigung der Sterndeuter, Flucht nach Ägypten, Kindermord in Bethlehem und Rückkehr aus Ägypten) das 2. Kapitel des Evangeliums. Mit Mt 3,1 wechselt die Perspektive und Johannes der Täufer als Vorläufer Jesu steht im Fokus (Mt 3,1-12, vgl. Auslegung zum 2. Adventssonntag). In der Erzählung von der Taufe Jesu wird das Wirken des Täufers mit dem Wirken bzw. ersten Auftreten Jesu verbunden, der dann ab Mt 4,1 (Versuchung) ganz zur Hauptfigur des Evangeliums wird.
2. Aufbau
Vers 13 bildet eine szenische Einleitung und verbindet die Johanneserzählung mit der Jesuserzählung. Der Dialog zwischen den beiden in den Verse 14 und 15 führt weiter in die Geschichte ein und begründet zugleich die Taufe Jesu durch Johannes. Die Verse 16 und 17 schildern das Taufgeschehen und die audiovisuelle Bestätigung seiner Gottessohnschaft, die Jesus dabei zuteilwird.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 13: Die zeitliche Angabe „zu dieser Zeit“ verbindet die Erzählung von der Taufe eng mit der vorangegangenen über das Wirken des Täufers (Mt 3,1-12), dies ist vor allem für die Deutung (Verse 14-15) wichtig. Denn so geschieht die Taufe Jesu nicht als ein gesondertes Ereignis, sondern sie findet statt in „dieser Zeit“, in der die „Leute von Jerusalem und ganz Judäa und aus der ganzen Jordangegend“ zu Johannes in die Wüste ziehen (Mt 3,5). Auch der Evangelist Lukas betont diese Gleichzeitigkeit der Volksbewegung und der Taufe Jesu, jedoch deutlich expliziter (Lukasevangelium 3,21).
Zugleich wird Jesu Absicht, sich von Johannes taufen zu lassen, explizit erwähnt. Was wir als Hörer und Leser des Evangeliums wie selbstverständlich hinnehmen, scheint für das Verständnis der matthäischen Gemeinde nicht so selbstverständlich, wie der folgende Dialog zwischen Johannes und Jesus zeigt. Auf ihn lenkt die Absichtserklärung in Vers 13 hin.
Verse 14-15: Diese Szene zwischen Johannes und Jesus findet sich nur im Matthäusevangelium, in den anderen Evangelien, die von der Taufe berichten (Lukas und Markus), kommt Jesus einfach unkommentiert zur Taufe durch Johannes. Der Evangelist Matthäus hatte nur wenige Verse zuvor (Mt 3,11) den Täufer jedoch auf den kommenden Größeren verweisen lassen. Dies ist seine Aufgabe als Rufer in der Wüste, der dem Herrn den Weg bereitet (Mt 3,3). Wenn nun Johannes kurz darauf diesen Größeren tauft, so scheint dies für den Evangelisten gegenüber seinen Lesern erklärungsbedürftig. Daher lässt er den Täufer zunächst fragend bis abweisend auf den Wunsch Jesu reagieren. Die Taufe ist für die herbeiströmenden Volksmassen ein sichtbares Zeichen ihrer Umkehr, für Johannes scheint das bei Jesus nicht angebracht. Mit der Erläuterung Jesu „so können wir die Gerechtigkeit ganz erfüllen“ lenkt Matthäus den Blick jedoch auf einen anderen zentralen Gedanken seiner Jesuserzählung: die Gerechtigkeit. Für Matthäus verbirgt sich hinter dem Begriff, der zum einen mit Johannes dem Täufer verbunden ist (Mt 21,32), zum anderen aber in der Bergpredigt im Fokus steht, ein menschliches Verhalten. „Gerechtigkeit“ beschreibt das menschliche Handeln, das Antwort gibt auf Gottes Angebot der Liebe und Barmherzigkeit. Für Matthäus ist Gerechtigkeit ein Begriff der Ethik und daher findet er sich zentral in der Bergpredigt, in der Jesus Wege eröffnet, gerecht in dieser Welt zu leben. Dort formuliert Jesus einerseits den Anspruch auch dann, wenn man gehasst, verfolgt oder auf die eine Wange geschlagen wird (Mt 5,39), die von Gott geschenkte Barmherzigkeit und Liebe selbst zu leben. Andererseits verweist Jesus auf Orientierungspunkte wie ein solches Leben in Gerechtigkeit gelingen kann. Die Gesetze, die Gott seinem Volk offenbart hat, und die Weisungen der Propheten sind wichtige Bestandteile auf dem Weg der Gerechtigkeit. Deshalb löst Jesus diese auch nicht auf, sondern er erfüllt sie (Mt 5,17) und hilft sie besser zu verstehen oder in richtiger Weise zu interpretieren. Zum Beispiel dann, wenn ein starres Ausführen der Gesetze, den Weg der Barmherzigkeit behindert wie in Auseinandersetzungen um den Sabbat (vgl. Mt 12,1-14).
Der Evangelist Matthäus nimmt mit der Äußerung Jesu in Vers 15 jedoch noch einen weiteren Gedanken in den Blick: Jesus ist der Sohn Gottes. Dies ist schon in der Geburtserzählung betont worden und wird in den Versen 16-17 noch einmal deutlich ausgesprochen. Zur Gottessohnschaft Jesu gehört eine große Vollmacht, wie sie sich im Verkündigen der Gerechtigkeit (Bergpredigt) und im wundermächtigen Wirken zeigt. Jesus handelt als Sohn Gottes mit der Macht Gottes, er vertreibt Dämonen, vergibt Sünden, macht Gottes Barmherzigkeit unter den Menschen sichtbar. Als Gottes Sohn ist Jesus aber zugleich auch dem Vater verbunden und dessen Heilsplan „verpflichtet“. Matthäus bringt dies mit dem „Gehorsam“ Jesu zum Ausdruck, der besonders deutlich in der Getsemani-Erzählung deutlich wird (Mt 26,39). Jesus handelt dort nicht nach eigenem Ermessen, sondern vertraut auf die Wege des Vaters und ist ihnen gegenüber treu. Zum Gehorsam dem Vater gegenüber gehört ebenfalls, die eigene Machtstellung nicht auszunutzen oder sich selbstherrlich zu präsentieren. So befreit sich Jesus nicht mit all seiner Macht aus der Gefangenschaft (Mt 26,53), sondern geht den Weg durch Leiden und Tod. In diesem Sinne zeigt Jesus auch am Jordan nicht, dass er der Größere ist, den Johannes in ihm sehen will, sondern handelt wie alle anderen Israeliten, die Gottes Wegen folgen: Er lässt sich mit dem Volk taufen, geht den Weg der Gerechtigkeit und zeigt seine eigene Herrlichkeit nicht.
Verse 16-17: Was zuvor vermieden werden sollte, das wird nun noch einmal veranschaulicht. Dieser Jesus ist der „geliebte Sohn“ Gottes. Der Evangelist Matthäus lässt seine Leser hier teilhaben an einem Moment, der sich nur zwischen Vater und Sohn abspielt. Nur Jesus, so macht Matthäus deutlich, „sieht“ aus dem offenen Himmel den Geist Gottes herabkommen und hört die Stimme sprechen („er sah“!). Für Jesus selbst ist also die audiovisuelle Bestätigung seiner Sohnschaft gedacht und für die himmlischen Heerscharen, wenn man sich dies so vorstellen mag. Johannes und das umstehende Volk jedoch bemerken nichts von diesem Moment, in dem sich der Himmel öffnet. Die Proklamation Jesu als Gottessohn spielt auf verschiedene alttestamentliche Texte an (Psalm 2,7, Jesaja 11,1-5), am Wichtigsten ist jedoch Jesaja 42,1, weil hier im Bild des Gottesknechts die Erwählung verbunden ist mit dem Auftrag, Recht zu den Nationen zu bringen. Dieses Recht wird im weiteren Verlauf der Jesaja-Stelle als Gerechtigkeit und Barmherzigkeit umschrieben (Jesaja 42,1-9). Zugleich wird dort auch das Handeln des Gottesknechts im Gehorsam Gott gegenüber geschildert; die gedankliche Nähe zu Mt 3,15-17 wird also umfassend deutlich.