Lass Taten sprechen! Das Gleichnis von zwei Söhnen, die anders handeln, als sie es ankündigen.
1. Verortung im Evangelium
Das Matthäusevangelium (Mt) ist einerseits geprägt durch fünf große Reden Jesu, andererseits durch Themen, die auf den verschiedenen Wegetappen Jesu im Vordergrund stehen. Das Wirken Jesu beginnt mit der Verkündigung des Himmelreichs (Mt 4,17). Während der Wegetappe durch Galiläa (Mt 4,12-18,35) sind drei thematische Schwerpunkte auszumachen: 1) Das richtige Verständnis des Himmelreichs und der Gerechtigkeit als Handlungsmaxime (v.a. Mt 5,1-8,1, aber auch in diversen Gleichnissen), 2) Das richtige Verständnis Jesu geprägt durch die Frage: „Bist du der, der kommen soll?“ (Mt 11,2), 3) Die Integration des Leidens Jesu in seine Sendung (Mt 16,21). Seit der ersten Ankündigung seines Leidens bewegt sich Jesus im Matthäusevangelium unaufhörlich Jerusalem entgegen, wo er in Mt 21,10 eintrifft. Nach seinem Einzug dort treibt Jesus die Händler aus dem Tempel (Mt 21,12-17). Dies leitet über zu einer Reihe von Szenen, in denen Jesus auf Pharisäer und Schriftgelehrte und damit auf die religiösen Autoritäten des Judentums seiner Zeit trifft. In Mt 21,23 wird berichtet der Evangelist, dass Jesus im Tempel lehrt. Die Hohepriester und Ältesten kommen zu ihm und wollen wissen, mit welcher Vollmacht Jesus lehrt und handelt. Jesus lässt diese Frage offen bzw. beantwortet sie mit einer Gegenfrage: „Woher stammte die Taufe des Johannes? Vom Himmel oder von den Menschen?“. Die Hohepriester und Ältesten weichen aus Angst, etwas Falsches zu sagen, der Antwort aus. Im direkten Anschluss an diese Szene erzählt Jesus das Gleichnis von den beiden Söhnen des Weinbergbesitzers.
2. Aufbau
Die Perikope (Erzählabschnitt) lässt sich unterteilen in die Verse 28-31b, die die Erzählung des Gleichnisses sowie die Reaktion darauf umfassen. In den Versen 31c-32 erläutert Jesus das Gleichnis auf seine direkten Zuhörer, die Ältesten und Hohepriester hin.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 28-31b: Die direkte Anrede („ihr“) und der Einstieg in das Gleichnis ohne jegliche Einleitung zeigen, dass Vers 28 nahtlos an die vorangehenge Perikope mit der Frage nach der Vollmacht Jesu anschließt. Immer noch sind also die Hohepriester und Schriftgelehrten die direkten Zuhörer Jesu, wenngleich davon auszugehen ist, dass auch seine Jünger und weitere Interessierte zugegen sind. Die Frage Jesu richtet sich also an die jüdischen Autoritäten. Sie sollen eine Einschätzung zu einem im Gleichnis erzählten Sachverhalt abgeben. Die Frage legt also den Grundstein zu einer dialogischen Szene.
Im erzählten Gleichnis handeln beide Söhne anders, als sie es dem Vater gegenüber angekündigt haben. Auf die Bitte des Vaters im Weinberg zu arbeiten, antwortet der erste mit „Ich will nicht!“ geht anschließend aber doch in den Weinberg, er bereut seine Haltung. Der zweite Sohn antwortet dem Vater mit „Ja, Herr“, geht anschließend aber nicht in den Weinberg. Jesus bittet die Ältesten und Hohepriester nun zu sagen, welcher der beiden Söhne, den Willen des Vaters erfüllt hat, woraufhin diese den ersten Sohn benennen. Die Formulierung „Wille des Vaters“ macht deutlich, dass es eigentlich um das Verhältnis zu Gott geht. Im weiteren Verlauf wird das Tun nach dem Willen des Vaters von Jesus selbst explizit als Teil seiner eigenen Sendung benannt werden (Gebet in Getsemani, Mt 26,42).
Die Frage Jesu beinhaltete bereits den Hinweis, dass einer der beiden Söhne dem Willen des Vaters entspricht. Die negative Antwort des ersten Sohns fällt nicht entscheidend ins Gewicht, denn seine tatsächliche Handlung vollzieht den Willen des Vaters. Es geht also nicht um das Wort, sondern um die Tat.
Verse 31c-32: Mit „Amen, ich sage euch“ leitet Jesus zur Erklärung des Gleichnisses auf die Situation seiner Dialogpartner hin. Es ist eindeutig, dass die Hohepriester und Ältesten hinter dem „euch“ der Anrede stehen. Mit „Zöllnern und Dirnen“ benennt Jesus zwei Gruppen, die in Israel sozial und religiös ins Abseits gestellt werden – nicht zuletzt von den religiösen Autoritäten, die deren Leben und Verhalten als nicht gesetzestreu und damit dem Willen Gottes zuwider brandmarken. Gerade diese Gruppen sollen nun aber eher Zugang zum Himmelreich bekommen als die, die für sich das Halten der Gebote als Lebensmotto angeben.
Der Verweis auf Johannes den Täufer verbindet das Gleichnis und seine Deutung erneut mit dem Abschnitt davor (Mt 21,23-27). Es geht um die Reaktion auf die Umkehrpredigt des Johannes. Die religiösen Autoritäten haben sich davon offenbar nicht ansprechen lassen, wohl aber viele andere in Israel (vgl. Mt 3,4-6). Sie ließen die Worte des Täufers auf sich wirken und kamen zur Umkehr, bekannten ihre Sünden und ließen sich als Zeichen für den Willen ihr Leben neu zu ordnen von Johannes taufen. Selbst dieses Zeichen der anderen aber brachte die Hohepriester und Ältesten nicht ins Nachdenken und schon gar nicht in ein neues Handeln – genau das wird ihnen nun vorgeworfen: Sie haben nicht bereut, d.h. waren nicht bereit, ihr Leben zu überdenken und sich Schuld einzugestehen. Und sie haben den Worten des Johannes nicht geglaubt. Als Konsequenz werden nicht sie als erste in das Himmelreich kommen, wie sie selbst vermuten, sondern erst nach denjenigen, die schuldig geworden und ihre Schuld bekannt haben.