Zwischen den Welten. Als Zeugen der Verklärung Jesu erhalten Petrus, Jakobus und Johannes einen Blick hinter den Vorhang der himmlischen Wirklichkeit.
1. Verortung im Evangelium
Die Erzählung von der Verklärung Jesu nimmt wie die umliegenden Erzählungen des Matthäusevangeliums (Mt) in besonderer Weise die Jünger Jesu in den Blick. Mit ihnen durchwandert Jesus Galiläa, um den Menschen die Botschaft vom Himmelreich zu verkünden und sie in Heilungen und Wundern erlebbar zu machen. Seinen Jüngern erläutert er diese Botschaft immer wieder in besonderer Weise und versucht ihnen, begreifbar zu machen, wozu er in die Welt gesandt ist. Direkt vor der Verklärung hatte er die Jünger gefragt: „Für wen haltet ihr mich?“ (Mt 16,15) und ihnen erklärt: „Er müsse nach Jerusalem gehen und von den Ältesten und Hohepriestern und Schriftgelehrten vieles erleiden, getötet und am dritten Tag auferweckt werden.“ (Mt 16,21). Die Reaktion des Petrus: „Herr! Das darf nicht mit dir geschehen!“ (Mt 16,22) zeigt, wie sehr die Jünger noch damit beschäftigt sind, die Sendung Jesu und sein Wirken zu begreifen. Der Einblick in die himmlische Welt und die Offenbarung Jesu als Sohn Gottes in der Verklärungserzählung, sind für Jünger eine Hilfe, mehr und mehr vom Geheimnis Jesu Christi zu verstehen.
2. Aufbau
Die Szene wird gerahmt durch den Auf- und Abstieg Jesu und seiner Jünger auf den Berg (Verse 1 und 9). Die Verse 2-3 und 5 widmen sich der himmlischen Wirklichkeit, die auf dem Berg erlebbar wird. In den Versen 4 sowie 6-8 liegt der Fokus auf der „irdischen Realität“, denn hier wird die Reaktion der Jünger und deren Interaktion mit Jesus beschrieben. Im Zentrum der Komposition steht die Offenbarung Jesu als Sohn Gottes in Vers 5.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Die konkrete Zeitangabe ist im Verlauf des Evangeliums ungewöhnlich. Da auch andere Elemente der Erzählung auf die Begegnung des Mose mit Gott am Sinai verweisen, dürfte auch die Zeitangabe in diesem Kontext zu sehen sein (Exodus 24,16). Der „Berg“ verweist innerhalb des Evangeliums zurück auf die dritte Versuchung des Teufels (Mt 4,8-9) und die Beauftragung der Jünger durch den Auferstandenen am Ende (Mt 28,16-20).
Verse 2-3: Die Merkmale der „Verwandlung“ Jesu (leuchtendes Gesicht wie die Sonne, Kleider so weiß wie das Licht) sollen deutlich machen, dass Jesus trotz seines irdischen Lebens zur himmlischen Welt gehört. Dies wird unterstützt durch Mose und Elija, deren Erscheinen ebenfalls in die himmlische Wirklichkeit weist. Die beiden Propheten stehen nicht nur für eine enge Verbindung zu Gott, sie repräsentieren in gewisser Weise auch das Gesetz und die Propheten und damit die Art und Weise, in der Gott bisher den Menschen seinen Willen kund getan hat. Wenn Mose und Elija bei der Verwandlung Jesu erscheinen, dann wird deutlich, dass es keinen Bruch gibt zwischen dem bisher kundgetanen Willen Gottes in Gesetz und Propheten und dem, was er den Menschen durch seinen Sohn verkündigen lässt. Die Kontinuität zwischen Gesetz und Propheten und der Verkündigung Jesu, die den Willen Gottes auf einzigartige Weise erschließt, ist für den Evangelisten sehr wichtig. In Mt 5,17 hatte er Jesus explizit davon sprechen lassen, dass er gekommen ist, um das Gesetz und die Propheten zu erfüllen. In den sogenannten Antithesen (Mt 5,21-48) erschloss Jesus den tieferen Kern der Gebote Gottes.
Vers 4: Die Reaktion des Petrus auf das Geschehen ist verständlich: Es wird ein Stück vom Himmel sichtbar und Petrus möchte die Situation festhalten. Seine Ansprache an Jesus („wenn du willst“) machen seine Ehrfurcht deutlich, eine Antwort auf seinen Vorschlag erhält Petrus jedoch nicht. Die Jünger sind Zuschauer einer himmlischen Szene, die sich vor ihren Augen abspielt, sie können aber nicht zu Handelnden der Situation werden.
Vers 5: Der Höhepunkt der Erzählung ist erreicht. Die Wolke als Zeichen der Gegenwart Gottes erinnert noch einmal an die Sinai-Erzählung (s. Vers 1). Aus der Wolke heraus wird den drei Jüngern nicht nur die Identität Jesu als Sohn Gottes offenbart, sie erfahren auch, dass dieser Gottes Sohn ohne Zweifel in die himmlische Welt gehört und entsprechend dorthin zurückkehren wird. Die Worte aus der Wolke, die im ersten Teil identisch sind mit denen in der Tauferzählung (Mt 3,17; vgl. Ps 2,7), sind zusammen mit den leuchtenden Kleidern und den Lichtassoziationen eindeutige „Beweise“ der Zugehörigkeit zu Gottes Reich. Der zweite Teil der Himmelsworte („hört auf ihn“) ist ein klarer Auftrag an die drei Jünger, denen die Offenbarung zuteilwird. Am Ende des Evangeliums wird der Auftrag erweitert: Die Jünger sollen das Gehörte an alle Menschen weitergeben. Der Imperativ an die Jünger, aber auch die leuchtenden Kleider schlagen eine Verbindung zwischen der Verklärungserzählung und den Osterereignissen. Dort ist der Engel, der Bote Gottes, mit leuchtenden Kleidern ausgestattet (Mt 28,2-3) und der Auferstandene spricht von seiner Vollmacht auf Erden und im Himmel (Mt 28,18). Ostern ist der Moment, der die Zugehörigkeit Jesu zu Gottes Wirklichkeit, allen offenbart. Die Anspielungen der Verklärungsgeschichte weisen den Weg hin auf dieses Ereignis.
Verse 6-8: Die Reaktion der Jünger unterstreicht die Bedeutung dessen, was sich ihnen in den Ereignissen auf dem Berg gezeigt hat. Niederfallen (vgl. Mt 2,11) und Furcht sind typische Reaktionen in der Begegnung mit Gott. Erst jetzt nach dem Ende der himmlischen Offenbarung gibt es wieder eine reale Interaktion zwischen Jesus und seinen Jüngern. Hatte er in Vers 4 nicht auf die Worte des Petrus reagiert, weil er ganz in die himmlische Szene involviert war, ist er nun wieder ganz „zurück auf Erden“. Die Ermutigung Jesu an die Jünger wird eingeleitet durch das Momentum des Hinzutretens. Nur zweimal wird im Matthäusevangelium davon berichtet, dass Jesus an jemanden herantritt – sonst sind es andere, die auf ihn zugehen. Die zweite Situation begegnet uns erneut in der Abschlussszene des Evangeliums. Jesus tritt auf dem Berg in Galiläa auf seine Jünger zu, die angesichts der Begegnung mit dem Auferstanden in Ehrfurcht niederfallen (Mt 28,18).
Vers 9: Das Herabsteigen vom Berg zeigt die Rückkehr in die Realität der irdischen Welt an, entsprechend sollen die Jünger über das, was sie dort erlebt haben und was ihnen offenbart worden ist, schweigen. Es ist nach Mt 16,20 das zweite Mal, das Jesus seine Jünger zum Schweigen auffordert. Im Unterschied zum Schweigegebot im Anschluss an das Messiasbekenntnis des Petrus, wird hier aber eine Befristung des Schweigens ausgesprochen. Die Auferstehung soll das Schweigen aufheben und die Verkündigung Jesu als Gottessohn und Messias wird für die Jünger zum Auftrag (Mt 28,16-20). In Kombination mit Vers 5 ist die Verklärung eine Vorwegnahme der neuen Wirklichkeit, die sich durch die Auferstehung Jesu erschließen wird.