„Tritt hinter mich!“ Die Aufforderung zur Nachfolge und die Einladung einer gemeinsamen Perspektive.
1. Verortung im Evangelium
Von Kapitel 11 des Matthäusevangeliums (Mt) an stand das Wirken Jesu maßgeblich unter der Frage nach dem richtigen Verständnis seiner Person und seines Handelns. des Wirkens Jesu. Den Höhepunkt dieser Erzählungsreihe bildet die Frage Jesu an seine Jünger: „Ihr aber, für wen haltet ihr mich?“ und der Antwort des Petrus: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!“ (Mt 16,13-20) Trotz des klaren Bekenntnisses der Jünger durch Petrus, wird diese Frage auch die folgenden Erzählungen weiter durchziehen. Von Mt 16,21 an stehen die Erzählungen des Evangeliums jedoch unter einer anderen Perspektive. Hatte Jesus mit Cäsare Philippi den nördlichsten Punkt seines Weges erreicht (Mt 16,13), zieht er ab Mt 16, 21 südwärts und damit etappenweise auf Jerusalem und die Passion hin. Dies verdeutlicht der vorliegende Erzählabschnitt im Besonderen, da er sowohl die erste Ankündigung des Leidens Jesu beinhaltet als auch noch einmal anknüpft an die Frage nach dem richtigen Verständnis der Sendung und des Wirkens Jesu.
2. Aufbau
Vers 21 leitet zu einem großen Erzählabschnitt (Mt 16,21-20,34) über und bildet zudem die erste Leidensankündigung ab. Die Verse 22-23 zeigen die direkte Reaktion des Petrus auf die Worte Jesu sowohl dessen Zurechtweisung an Petrus. Die Verse 24-27 ergänzen die Antwort Jesu an Petrus um eine allgemeine Erklärung zur Nachfolge an alle Jünger.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 21: Wie in Mt 4,17 beginnt Matthäus den neuen Erzählbogen „hin nach Jerusalem“ (Mt 16,21-20,34) mit der Formulierung „von da an“. Sie weist auf einen Einschnitt zwischen dem bisherigen und dem kommenden hin und lenkt damit den Blick auf die zukünftigen Ereignisse. Was Jesus am Zielort des neuen Wegabschnitts und seiner Sendung insgesamt bevorsteht, wird in der ersten von drei Leidensankündigungen (vgl. Mt 17,22-23; 20,17-19) als Zusammenfassung präsentiert. Anders als in den beiden anderen Ankündigungen spricht Jesus nicht selbst, sondern der Evangelist benennt die markanten Eckpunkte der „Erklärung“ Jesu an die Jünger. Diese umfassen den Ort (Jerusalem), die treibenden Kräfte (Älteste, Hohepriester, Schriftgelehrte) und die Art und Weise der kommenden Ereignisse (leiden, getötet werden, auferweckt werden).
Verse 22-23: Die Reaktion des Petrus zeigt, dass die von Matthäus auf die Kernpunkte kondensierte Ankündigung seines zukünftigen Schicksals, bei den Jüngern für Unruhe bis Entsetzen sorgt. So wie Petrus beim Bekenntnis in Mt 16,16 als Sprecher der Jünger agiert, so wird die hier zum Ausdruck gebrachte Sorge ebenfalls für alle Jünger sprechen. Indem der Evangelist die Worte des Petrus mit wörtlicher Rede wiedergibt, misst er ihnen zusätzliche Bedeutung zu. Für Petrus und die anderen Jünger ist das von Jesus vorgezeichnete Schicksal nicht mit dem Bekenntnis Jesus sei „der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“ vereinbar. „Das soll Gott verhüten“ ist der Wunsch des Petrus, Gott möge dieses Schicksal wenden. Die Aussage „das darf nicht“ bringt die für die Jünger dahinterliegende Unvereinbarkeit von Gottessohnschaft und Leiden zum Ausdruck.
Die Reaktion Jesu hat zwei Teile: Zunächst fährt Jesus den Petrus scharf an und bezeichnet ihn als „Satan“. Der Evangelist nutzt hier dieselbe Formulierung wie bei der Versuchung Jesu (https://www.in-principio.de/sonntags-lesungen/lesung/Evangelium-Mt-41-11/). Dort weist Jesus nach der dritten Versuchung den Satan, der ihn dazu verführen will, seine Macht als Gottessohn für sich selbst einzusetzen, mit eben diesen Worten zurück (vgl. Mt 4,10 im Griechischen). Diese Parallele ist alles andere als zufällig und macht auf den Fehler des Petrus aufmerksam: Wie der Satan in der Wüste erscheint Petrus hier wie der, der versucht, Jesus von dem Weg abzubringen, den der Vater für ihn bestimmt hat. Selbstverständlich ist das nicht die eigentliche Absicht des Petrus, dies wird durch die weitere Zurechtweisung deutlich. Denn dort zeigt Jesus Petrus auf, dass sein eigentliches Fehlverhalten darin besteht, das zukünftige Leiden des Gottessohnes nur unter menschlicher Perspektive zu betrachten. Obwohl Jesus Petrus in Mt 16,17 noch seligpreist, weil dieser die Erkenntnis von der Gottessohnschaft Jesu nicht aus sich selbst heraus, sondern durch das Wahrnehmen der Zeichen Gottes erlangt hat, tadelt er hier die Art und Weise des Verstehens des Apostels. Denn das Problem des Petrus wie der anderen Jünger ist das nicht konsequente Weiterdenken ihrer Erkenntnis. Das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu bringt die Folge mit sich, dass nichts geschehen kann, ohne das Gott in das Geschehen aktiv involviert ist. Dies bedeutet auf die konkrete Ankündigung des Leidens hin: Jesus wird in Jerusalem den Weg des Leidens gehen, aber es tritt darin nicht seine Ohnmacht gegenüber den menschlichen Ränkeschmiedern hervor, sondern seine Macht, diesen Weg zur Erlösung der Welt zu wählen. Petrus „will“ in seiner menschlichen Denkweise, dass Jesus am Ende den feindlichen Mächten so Einhalt gebietet, wie er den Sturm mit göttlicher Vollmacht stillte und das Brot vermehrte. Das Verständnis, das Gott seine Wege außerhalb der menschlichen Denkmuster gehen kann, ist sein Fehler im Weiterdenken des eigenen Bekenntnisses.
Mit seinen Worten weist Jesus Petrus deutlich den Platz zu, den er – wie alle Jünger – bis hin zur Beauftragung des Auferstandenen einnehmen soll: Petrus soll ihm nachfolgen, er soll hinter ihn treten, ihm auf seinem Weg folgen, aber sich Jesus weder in den Weg stellen, noch in irgendeiner Weise vorausgehen. Wenn man die Darstellung der Szene im Evangelium genau betrachtet, wird Petrus damit nicht zurückgestuft, sondern auf dem „Platz“ bestätigt, den er bereits einnimmt. Denn wenn sich Jesus zu Beginn von Vers 23 „umwenden“ muss, um mit Petrus zu sprechen, dann steht Petrus „hinter“ ihm und damit in der ihm zugedachten, nachfolgenden Position. Es ist der Ort, den Petrus seit Jesu Ruf in die Nachfolge in Mt 4,19 eingenommen hat.
Verse 24-27: Wie genau „Nachfolge“ zu verstehen ist, erläutert Jesus im Folgenden. Dass er hierbei alle Jünger anspricht, bestätigt den Eindruck, dass Petrus nicht der Einzige ist, der hier im Verstehen noch Nachholbedarf hat. Bisher hat sich die Nachfolge der Jünger darin ausgedrückt, das Verkünden und Wirken Jesu in unmittelbarer Nähe mitzuerleben und sich zu einem solchen Handeln aussenden zu lassen (Mt 10,5-15). Doch jetzt, wo sich Jesus selbst auf dem Weg nach Jerusalem befindet und dem Kreuz entgegengeht, muss für die Jünger auch dieser Aspekt der Nachfolge stärker ins Bewusstsein treten. Mit dem Sohn Gottes unterwegs zu sein und Anteil zu haben an seinem vollmächtigen Wirken fordert von den Jüngern eine klare und umfassende Bereitschaft ein, auch an anderen Aspekten des Lebens Jesu teilzuhaben: Sie müssen bereit sein, auch ihr eigenes Kreuz und Leid auf sich zu nehmen – darauf hatte Jesus auch in der Aussendungsrede schon hingewiesen (Mt 10,16-39). Und sie müssen in der Lage sein, auch in der Gefahr mit Wort und Tat zur Botschaft Jesu zu stehen. Auch wenn dies heißt, die grundlegenden eigenen Interessen hintenan zu stellen. In diesem Sinne ist der sperrige Begriff der Selbstverleugnung zu verstehen. Die Jünger sollen am Ende bereit sein, eher ihr Leben zu verlieren als die Zugehörigkeit zu Jesus zu verleugnen.
Die Begründung für diese Einschärfung der radikalen Konsequenzen der Nachfolge liefert Jesus in den Versen 25-27, indem er einen Blick in die Zukunft wirft. Wenn er selbst als Menschensohn am Ende der Zeit wiederkommt, um Gericht zu halten, dann werden die Taten entscheidend sein. Und dann gilt: Wer hat versucht, sein irdisches Leben um jeden Preis zu bewahren, und wer war bereit, sein irdisches Leben mit Blick auf das ewige Leben nicht an die erste Stelle zu setzen. Bereits in Mt 10,39 im Kontext der Aussendungsrede hatte Jesus den Jüngern diese Abwägung nahe gelegt. Hier betont er noch einmal stärker die Unverfügbarkeit der Jünger über das eigene Leben und die Zusage eines Lebens bei und mit Gott als Verheißung.