Im Alltäglichen und im Besonderen. Die Zuwendung Jesu zu den Menschen und das Hereinwachsen der Jünger in die Größendimensionen des Himmelreichs.
1. Verortung im Evangelium
Im 13. Kapitel des Matthäusevangeliums (Mt) hatte Jesus in einer großen Gleichnisrede zu der Volksmenge und den Jüngern gesprochen hat und so das Himmelreich versucht näher zu erläutern. Er umschreibt diesen Ort der Gegenwart Gottes mit Bildern in seiner unscheinbaren Gegenwart und seiner unaufhörlich-verändernden Kraft. Es zeigt sich jedoch auch, dass es für das Verständnis des Himmelreiches und damit des Kernstücks der Botschaft Jesu mehr braucht als ein bloßes Zuhören. Wichtig ist ein tiefergehendes Verständnis, das mit der Erkenntnis von Jesus als dem Sohn Gottes einhergeht, der das Himmelreich bereits jetzt in seinem Handeln unter den Menschen sichtbar und erlebbar macht. Mehrfach hatte der Evangelist Matthäus dieses besondere Verständnis betont und das Verstehen vom bloßen Hören der Botschaft abgehoben (z.B. Mt 13,17). Diese Unterscheidung hatte den Gegensatz zwischen den Jüngern, die die Verkündigung Jesu bis in die Tiefe verstehen und den Volksmengen, die zum Teil nur hören, aber nicht verstehen, noch einmal betont.
Im Anschluss an die Gleichnisrede tritt diese Differenz im Verstehen und den Reaktionen auf die Verkündigung Jesu deutlich hervor. Matthäus berichtet von der Ablehnung Jesu in seiner Heimat (Mt 13,54-58) und der Einschätzung des Herodes, in Jesus sei Johannes der Täufer von den Toten wiedergekommen, den Herodes selbst hatte umbringen lassen (Mt,14,1-12). Im Anschluss an diese Einschätzungen der Menschen schildert der Evangelist zwei besondere Zeichen der Vollmacht Jesu: Die Speisung der 5000 (Mt 14,13-21) und den Gang auf dem Wasser (Mt 14,22-36).
2. Aufbau
Die Erzählung von der Speisung der 5000 wird eingeleitet durch einen Szenenwechsel gegenüber Mt 13,54, der zugleich die folgende Erzählung einleitet. Die Verse 13-14 zeigen den Rückzug Jesu und das Mitziehen der Volksmassen, das eine Speisung erst notwendig macht. Die Verse 15-17 schildern die Situation vor der Brotvermehrung und geben einen Einblick in das Verhältnis zwischen Jesus und den Jüngern. Die Verse 18-19 erzählen die Speisung, deren Wunder in den Versen 20-21 erst deutlich zu Tage tritt.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 13-14: Die Erzählung setzt ein mit der Reaktion Jesu auf die Einschätzung des Herodes, er sei der wiederauferstandene Täufer Johannes (Mt 14,1-2). Der eingeschobene Rückblick auf die Enthauptung des Johannes (Mt 14,3-12) macht deutlich, dass sich Jesus in Vers 13 zurückzieht, um der direkten Gefahr durch Herodes aus dem Weg zu gehen. Der Rückzug vor dem politischen Anführer der Juden ist allerdings kein Rückzug vom Volk selbst, wie sich im Folgenden zeigen wird. Das Motiv des Mitleids mit den „vielen Menschen“, die offenbar nach etwas anderem suchen als dem, was sie in religiösen und politischen Kreisen geboten bekommen, hatte Matthäus bereits in Mt 9,36 deutlich gemacht. Dort war die religiöse Orientierungslosigkeit der Menschen mit dem Bild von Schafen ohne Hirten umschreiben worden. Nun geht es um eine Not, die nicht mit politischen Parolen und starken Anführern wie einem Herodes zu lindern ist. Es ist die physische und materielle Not der Menschen, auf die Jesus in zwei Stufen reagiert. Die erste Stufe der Zuwendung ist die Heilung der Kranken, die Matthäus in Vers 14 zusammenfassend schildert.
Verse 15-17: Die zweite Stufe der Zuwendung wird erzählerisch vorbereitet durch eine Intervention der Jünger. Mit Blick auf den herannahenden Abend und die Einsamkeit des Ortes soll Jesus bei all seiner Fürsorge für die Menschen (Mitleid, Heilung) das Lebensnotwendige nicht vergessen: Das Volk braucht etwas zu essen und das bekommen sie augenscheinlich nicht dort, wo sie jetzt versammelt sind. Mit seiner Antwort reagiert Jesus zwar auf die berechtigte Sorge der Jünger um die Menschen, er bestätigt sogar deren Blick. Zugleich aber hebt er das Gespräch auf eine nächste Ebene und bereitet damit das Wunder vor. Die Aufforderung an die Jünger, selbst für das Wohlergehen der Menschen zu sorgen ist angesichts der bereits erfolgten Aussendung (Mt 10,1) durchaus verständlich. Der Verweis der Jünger, nur fünf Brote und zwei Fische zu haben, zeigt tatsächlich, dass sie die zur Verfügung stehenden Mittel bereits geprüft – und für zu gering befunden haben.
Verse 18-19: Jesus teilt diese Einschätzung der Jünger nicht. Seine Bitte, die Fische und Brote zu holen und die Aufforderung an die Menge, sich zu setzen, lässt die Handlung Dynamik aufnehmen und auf den kommenden Höhepunkt hineilen. Die szenische Darstellung der Handlung Jesu findet seine Parallele in der Erzählung vom letzten Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern (Mt 26,26). Dort wie hier wird verwendet Matthäus die Abfolge: Nehmen der Brote, Sprechen des Lobpreises, Brechen des Brotes und Weitergabe an die Jünger. Die Gemeinde des Matthäus soll beim Lesen der beiden Mahlszenen also auf die Verbindung zwischen Geschenk der Speise und Geschenk des Lebens (Selbsthingabe Jesu) aufmerksam werden. Die Jünger reichen das Brot an die Menschen weiter und handeln damit genau so, wie Jesus es ihnen in Vers 16 nahegelegt hatte: Sie geben dem Volk zu essen.
Verse 20-21: Das Besondere dieser Speisung wird nun deutlich: Alle essen und alle werden satt – und es bleibt sogar etwas übrig. Die Benennung der „Fakten“ der Situation erst am Ende steigert das Staunen über die Größenordnung des Wunders. 5000 Männer mit Frauen und Kindern werden von zwei Fischen und fünf Broten satt und es bleiben 12 Körbe übrig. Weitere Reaktionen der Volksmenge oder der Jünger werden nicht berichtet, für den Evangelisten sprechen die Zahlen hier offenbar für sich.
Die Darstellung der Größenordnung des Wunders setzt dieses auch von anderen Vermehrungswundern wie dem des Elisa im Alten Testament ab (2. Buch der Könige 4,42-44). Dort speist der Prophet mit 20 Broten 100 Männer (auch dort mit Resten) – im Vergleich zu den Möglichkeiten und dem Resultat hier wird die Überbietung des Wunders deutlich. Zwar haben auch andere, von Gott besonders beauftragte Menschen schon auf wundersame Weise Menschen gespeist, aber nicht in der Größenordnung, in der Jesus hier handelt.