Von Erfolg und Misserfolg der Aussaat. Oder wie man Sehen und Hören kann, ohne zu verstehen.
1. Verortung im Evangelium
Nach der Bergpredigt und der Aussendungsrede ist die Gleichnisrede (Mt 13,1-52) die dritte von insgesamt fünf großen Reden Jesu im Matthäusevangelium (Mt). In diesen Reden, die kunstvoll in den Gesamtzusammenhang eingeflochten sind, lässt der Evangelist Matthäus Jesus seine Botschaft vom Himmelreich thematisch bündeln. Auf diese Weise wird das Wirken Jesu, seine Wunder, sein Zugehen auf Menschen und die Reaktionen der Menge auf ihn immer wieder unterbrochen, um in Zusammenhang mit der Wort-Verkündigung Jesu gesetzt zu werden.
Nachdem der Fokus der vorangehenden Kapitel 11 und 12 auf den unterschiedlichen Reaktionen der Menschen auf das Wirken Jesu lag, stellt der Evangelist nun in den Gleichniserzählungen die zentrale Vorstellung vom „Wie“ des Himmelreiches in den Mittelpunkt. Die Gleichnisrede (Mt 13,1-52) lässt sich in zwei große Teile gliedern. Die Verse 1-23 gehören zum ersten Hauptteil (1-35), indem Jesus weitestgehend zur Volksmenge spricht (außer in den Versen 10-23). Im zweiten Hauptteil (36-52) sind nur noch die Jünger Adressaten der Gleichnisse.
2. Aufbau
Die Verse 1-3 leiten allgemein die Gleichnisrede ein. In den Versen 3-9 wird mit dem Gleichnis vom vierfachen Acker der Auftakt der Rede gesetzt. Die Verse 10-23 stellen eine „Pause“ in der Gleichnisrede an das Volk dar, denn hier wird den Jüngern der Sinn des Redens in Bildern erschlossen.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-3a: Der Einschnitt vom vorangegangenen Wirken und Verkündigen Jesu zur Rede in Gleichnissen wird deutlich durch die Einführung eines neuen Schauplatzes (See Genesaret). Die „große Menschenmenge“ schafft aber zugleich einen Anschluss, in dem sie die Bemerkung aus Mt 12,15 von den „vielen“, die Jesus folgten und „alle“ von ihm geheilt wurden, aufnimmt. Die Menschenmenge ist aber nicht nur Kulisse, sondern auch „Anschauungsbeispiel“ für das erste Gleichnis dieser Rede. Jesus hatte bereits zuvor in Gleichnissen zu den Menschen gesprochen (z.B. in Mt 7,24-27), um durch die bildhafte Darstellung einen Sachverhalt einprägsamer zu verdeutlichen. Nun aber reiht er mehrere aneinander und deutet sie, so dass das Himmelreich als Verheißung an alle, die glauben, an Kontur gewinnt.
Verse 3b-9: Das erste Gleichnis ist dem landwirtschaftlich alltäglichen Bereich entnommen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass nicht die ganze Saat aufgeht bzw. auf unterschiedlich fruchtbaren Boden fällt. Die Verse 4-7 schildern zunächst drei nicht geglückte Szenarien der Aussaat: Zuerst fällt der Samen auf den Weg, er kann dort nicht geschützt aufgehen und wird stattdessen von Vögeln weggefressen. Dann fällt der Samen auf felsigen Boden, wo nicht genug Keimfläche und Nährboden ist, um zu wurzeln; also werden die Keimlinge von der Sonne verbrannt. Außerdem kann die Saat zwischen Dornen (Unkrautpflanzen) fallen und dort erstickt werden. Im positiven Aussaatbeispiel in Vers 8 fällt der Samen dagegen auf „guten Boden“ und geht mit unterschiedlichem Ertrag auf.
Die genaue Beschreibung des Untergrunds, auf den der Samen fällt, macht deutlich, dass darin das entscheidende Vergleichselement der Erzählung liegt. Die Gründe für das Nicht-Aufgehen der Saat sind Folgen der Bodenbeschaffenheit und nicht das Zentrum des Bildes. Ebenso wenig ist es die dreifache Beschreibung des Ertrags.
Der Weckruf in Vers 9 schlägt einen Bogen zurück zu Mt 11,15, zieht damit eine Verbindung zur Frage nach den möglichen Reaktionen auf das Wirken Jesu und weist bereits in eine Deutungsrichtung: Es geht um die Frage auf welchen „Nährboden“ die Worte und Taten Jesu beim Volk führen, das ihm in so großer Zahl zuhört und folgt.
Verse 10-17: Obwohl der erste Hauptteil der Gleichnisrede das Volk als Adressaten im Blick hat, richtet Jesus sein Wort in diesen Versen exklusiv an die Jünger und damit auch an die Leser des Evangeliums. Mit einer „Verständnisfrage“ durchbrechen die Jünger die Rede Jesu an die Menge. Der Evangelist lässt sie an ihn herantreten, sie suchen damit inmitten der großen Szenerie seine Nähe, um den Sinn der Darstellung und dessen Inhalt besser zu verstehen. „Verstehen“ als Begriff wird von Jesus selbst eingeführt, ist ein Schlüsselbegriff der Verkündigung Jesu im Matthäusevangelium und wird hier erstmals pointiert verwendet. Anders als im Markusevangelium (Mk 4,10) fragen die Jünger nicht nach dem "Sinn" der Gleichnisse an sich, sondern nach der Funktion der Gleichnisrede Jesu an die Volksmenge. Matthäus bereitet so schon in der Frage der Jünger vor, dass diese sich in Bezug auf das Verständnis der Gleichnisse von der Volksmenge unterscheiden.
Die Antwort Jesu auf die Frage ist zweiteilig: Im ersten Teil stehen die Jünger im Fokus. Ihnen ist es „gegeben“, d.h. es wird ihnen geschenkt, die „Geheimnisse des Himmelreichs“ zu verstehen. Jesus spricht damit aus, dass es den Jüngern – im Unterschied zum Volk – gelingt, sein Wirken als Gottes Gegenwart und Ausblick auf das Himmelreich zu verstehen. Ihnen erschließt sich die Dimension hinter dem, was sie durch Wort und Tat Jesu miterleben. Wenn davon die Rede ist, dass dieses Verstehen den anderen (dem Volk) nicht „gegeben“ ist, darf dies nicht als ein Ausschluss von Seiten Gottes verstanden werden und die Gabe der Erkenntnis als Gnadengeschenk. Die Kapitel 11 und 12 des Matthäusevangeliums hatten sich bereits mit den unterschiedlichen Reaktionen auf das Wirken Jesu beschäftigt. Hier schließt die Bemerkung Jesu inhaltlich an. Ausgangspunkt für die Darstellung der Menschen und ihrer Antwort auf Jesus sind die „Taten des Christus“ (Mt 11,2). Diese Taten sind öffentlich und umfassen das Verkündigen des Himmelreiches in Wort und Tat. Die Grundlage ist also bei allen gleich – die Antwort jedoch fällt unterschiedlich aus: Die Jünger lassen ihr altes Leben zurück und treten ganz in die Nachfolge ein, die jüdischen Autoritäten (Pharisäer und Schriftgelehrte) distanzieren sich zunehmend, einige aus dem Volk wenden sich ab, andere folgen Jesus weiter durch die Städte, treten aber nicht in die Jüngerschaft ein. „Gegeben“ wurden ihnen allen die sichtbaren Zeichen Jesu, die einen deuten und verstehen sie als das Wirken des Gottessohnes, die anderen sehen in ihnen Wunder oder auch anmaßendes Verhalten bringen all das aber nicht mit Gottes Gegenwart zusammen. Die Gleichnisrede Jesu wird diese Differenz in der Wahrnehmung und „Beurteilung“ seines Handelns nicht aufheben. Im Gegenteil, angesichts der bildhaften Rede vom Himmelreich wird sich der Unterschied zwischen den Verständigen und Unverständigen noch stärker herausstellen. Denn den Jüngern, die Jesu Wirken als Hinweise auf das Himmelreich verstehen, ihnen wird noch tiefer dessen Wirklichkeit erläutert. Denjenigen aber, die „nicht haben“, die interessiert und vielleicht auch fasziniert sind von den Worten Jesu, sie aber nicht als Ausblick auf Gottes Wirklichkeit verstehen und sich entsprechend nicht auf das Jüngersein eingelassen haben, sie werden am Ende mit leeren Händen dastehen.
Im zweiten Teil der Antwort Jesu auf die Frage der Jünger wird der Blick stärker auf die Volksmenge gelenkt. Jesus erklärt den Jüngern mithilfe eines Jesaja-Zitats, das er zunächst zusammenfasst und dann wiedergibt (Jesaja 6,9-10), warum er zu ihnen in Gleichnissen spricht. Die bildhafte Rede ist für sie, die sich auf die göttliche Botschaft im Handeln Jesu einlassen, verständlich. Ihre Augen und Ohren sehen etwas und die Jünger verstehen den tieferen Sinn dahinter. Das Volk aber sieht und hört und versteht doch nicht – weil, wie der Prophet Jesaja sagt – ihre Herzen hart sind. Diese Menschen sind „nicht berührbar“, nicht empfänglich für Gottes Botschaft in Jesus Christus.
Am Ende seiner Antwort an die Jünger weist er diese auf die Bedeutung ihres Verstehens hin: Die Seligpreisung der Augen und Ohren der Jünger entspricht deren Bereitschaft mehr wahrzunehmen als das, was sich dem Auge und Ohr darbietet. Indem sie verstehen, was wirklich hinter den Taten des Christus steckt, erleben sie das, wonach viele „Propheten und Gerechte“ sich gesehnt haben.
Verse 18-23: Mit dem vorangestellten „ihr“ leitet Jesus die Deutung des Gleichnisses vom Sämann ein und fordert die Jünger auf, mit wachen Sinnen seine Worte richtig zu verstehen. Es geht im erzählten Gleichnis um den Erfolg und Misserfolg der Verkündigung des Himmelreichs. Dabei ist der Sämann zunächst Jesus selbst und die Jünger diejenigen, bei denen der Samen aufgeht und zu Ertrag führt. Aber auch die Jünger selbst, die Jesus in Mt 10,7 ausgesendet hatte, das Himmelreich zu verkündigen, finden sich im Sämann wieder. Auch sie werden mit mehr und weniger großem Erfolg Gottes Wort weitergeben.
Parallel zur Struktur des Gleichnisses „entschlüsselt“ Jesus dessen Bedeutung. Als Samen, der auf den Weg und damit auf keinen Nährboden fällt, wird die Verkündigung bei denen beschrieben, die sich durch „den Bösen“ die eigentliche Botschaft rauben lassen. Im Kontext des Matthäusevangeliums und der Auseinandersetzung mit den jüdischen Autoritäten sind die Bösen hier die Schriftgelehrten und Pharisäer, die einen Weg der Gesetzesauslegung vorleben, der den Blick auf das Himmelreich verstellt. Die Situation der Aussaat auf felsigen Boden wird verglichen mit den Menschen, die zwar zunächst begeistert sind von der Verkündigung, dann aber nicht daran festhalten, sobald sie in Bedrängnis geraten. Die „Dornen“ stehen als letzte Aussaat-Situation für die Menschen, die sich durch ihr bisheriges Leben so sehr haben einengen lassen, dass die Botschaft sich in ihnen letztlich nicht entfalten kann. Angesichts von Reichtum oder „trügerischer Sorge“ um Nebensächliches findet das Wort Gottes dort keine positive Antwort. Abschließend schaut Jesus auch bei der Erschließung des Gleichnisses auf die erfolgreiche Aussaat. Sie stellt sich ein, wenn Menschen ihre Ohren zum Wirklichen Verstehen nutzen und sich aus dem Verständnis der Botschaft vom Himmelreich Konsequenzen ergeben.