Von leichten Lasten und der Aussicht auf Erquickung.
1. Verortung im Evangelium
Das Matthäusevangelium (Mt), das durch fünf große Redeeinheiten Jesu geprägt ist, fokussiert sich von Mt 4,12-18,35 auf das Wirken Jesu in Galiläa. Innerhalb dieses Teils wählt Jesus die zwölf Apostel aus und sendet sie zu den „verlorenen Schafen Israels“ (Mt 10,5-15). Ausgangspunkt für die Aussendung der Jünger, das sein eigenes Wirken unterstützen soll, ist die Wahrnehmung, dass die Menschen auf der Suche und von der derzeitigen Situation ermattet sind. Die religiösen Anführer seiner Zeit taugen nicht als Hirten der Herde Israels und die Menschen sehnen sich nach dem Messias, der ihnen Richtung und Orientierung gibt. In Kapitel 11 thematisiert der Evangelist Matthäus Fragen und Reaktionen der Menschen auf die Sendung Jesu (Ablehnung Mt 11,16-19, Gleichgültigkeit Mt 11,20-24). Gleichzeitig lässt er Jesus selbst zu Wort kommen und über das Besondere seines Auftrags sprechen. Die Verse Mt 11,25-30 schließen dieses Kapitel ab.
2. Aufbau
Die Verse 25-26 sind ein Gebetsruf Jesu zum Vater. In Vers 27 thematisiert Jesus sein Verhältnis zum Vater. Die Verse 28-30 sind ein Ruf und eine Einladung an all die „verlorenen Schafe“, die sich nach Ruhe und Ermutigung sehnen. Dabei sind die Verse 27 und 28-30 aufeinander bezogen, denn ohne die Selbstoffenbarung Jesu in Vers 27 würde die Einladung ab Vers 28 an Kraft verlieren.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 25-26: Der Lobpreis Jesu an den Vater gilt dessen offenbarendem Handeln. Weil der direkte Bezugspunkt auf die Pronomen „das“ und „es“ in dem Ausschnitt aus dem Gesamtkontext des 11. Kapitels fehlen, bleibt der Einstieg zunächst etwas geheimnisvoll. Jesus bezieht sich hier auf sein eigenes Wirken und dessen Deutung. Das Kapitel setzte ein mit der Bemerkung, dass Johannes der Täufer im Gefängnis von den „Taten des Christus“ hörte (Mt 11,2) und seine Jünger zu Jesus schickt, um ihn zu fragen, ob er der erwartete Messias sei. Und auch Jesus selbst spricht von seinen Taten (Verse 19, 21, 23). Das Wirken Jesu als vom Vater bevollmächtigtes und heilbringendes Handeln zu verstehen und damit als „Taten des Christus“ zu deuten, das ist es, was den „Unmündigen“ gelingt und den „Weisen und Klugen“ verborgen bleibt. Das Verstehen oder Nicht-Verstehen ist dabei in einer Spannung aus göttlicher Gnade und menschlicher Aufmerksamkeit zu sehen. Dass jemand in den Taten und kraftvollen Worten Jesu Gottes Wirklichkeit entdecken kann, liegt zum einen daran, dass Gott Jesus als seinen Sohn in die Welt sendet und zum anderen daran, dass Menschen dem Wirken Jesu mit Offenheit entgegentreten und es aus ihrer Gotteserfahrung deuten. Die Sendung in die Welt durch den Vater und die damit verbundene Möglichkeit, etwas von Gott in der Welt sichtbar zu machen, ist also das, wofür Jesus dem Vater dankt. Dass Gottes Wirken sich nicht jedem, sondern besonders den Unwissenden erschließt, ist ein Motiv, das aus dem Alten Testament bekannt ist (Psalm 19,8 und Daniel 2,19-23). Hier im direkten Kontext des Matthäusevangeliums, sind die Jünger die „Unwissenden“ und die „Klugen und Weisen“ die jüdischen Autoritäten.
Vers 27: Nach dem Lobpreis des Vaters und dessen Handeln, das sich in der Sendung und den Taten Jesu ausdrückt. Spricht Jesus über sein Verhältnis zum Vater. Seine Worte sind nun nicht mehr direkt an Gott als Adressaten gerichtet, sondern sind als Kundgabe an die Jünger gedacht. Er, Jesus, ist der vom Vater beauftragte und bevollmächtigte Sohn, der Einzige, der Gottes wahres Wesen und seine Herrlichkeit kennt. Und diese einzigartige Erkenntnis ist wechselseitig. Denn nur der Vater kennt die ganze Macht und Herrlichkeit des Sohnes. Jedoch gibt es die Möglichkeit zumindest an dem Wissen über den Vater Anteil zu haben, denn der Sohn kann sein Wissen über den Vater mit jedem teilen, mit dem es will. Durch diesen Nachsatz am Ende des Verses wird der Kreis der Mitwisser über Gottes Macht und Herrlichkeit erweitert – jedoch nicht klar definiert.
Das „alles“, das betont am Satzanfang steht und den Umfang der Macht Jesu anzeigt, wird nicht genau umrissen. Zugleich bietet der Text deutliche Anhaltspunkte, was gemeint ist. Jesus ist vom Vater das Wissen um dessen Herrlichkeit, Güte und Macht gegeben worden, zudem hat Jesus die Vollmacht, dieses Wissen zu teilen.
Verse 28-30: Die abschließenden Verse sind eine Einladung an alle Geplagten, sich Jesus anzuschließen und bei ihm Ruhe und Erquickung zu finden. Damit sind all jene angesprochen, die aus der Volksmenge seinen Worten lauschen und nach einer Erleichterung ihres Daseins suchen. Hatte Jesus zunächst konkret zum Vater gesprochen und danach den Jüngern etwas kundgetan, so spricht er nun die Menge direkt an. Damit ist klar, dass von Anfang an die Menge und die Jünger als Hörer der Worte Jesu, seines Lobpreises an den Vater und der Offenbarung seiner Sendung im Blick sind. Die Mühseligen und Beladenen sind neben den Unmündigen (Jünger) und den Klugen und Weisen (religiöse Autoritäten) die dritte Gruppe, die in dem Abschnitt benannt wird. Während sich den religiösen Anführern (Klugen und Weisen) die Taten Jesu nicht als Offenbarung der göttlichen Wirklichkeit erschließen, haben die Jünger (Unmündige) die dahinterliegende Wahrheit verstanden oder eine Ahnung davon. Hier lädt Jesus nun diejenigen ein, sich mit seiner Botschaft auseinanderzusetzen, die noch ruhelos und beladen sind.
In seiner Einladung verwendet Jesus zwei Motive: das Joch und die Ruhe. Das Joch, als Hilfsmittel, um schwere Lasten zu tragen, findet sich indirekt – ohne benannt zu werden – in den Weh-Rufen über die Pharisäer und Schriftgelehrten in Mt 23,4 wieder. Dort kritisiert Jesus die religiösen Anführer, weil sie den Menschen durch ihre Form der religiösen Unterweisung „Lasten aufbürden“ und zugleich selbst anders leben als sie es predigen. Jesu Predigt hingegen will den Menschen die Lasten nehmen. Seine Verkündigung der Botschaft Gottes setzt sich von der der Pharisäer und Schriftgelehrten ab, weil es ihm um den Kern der Botschaft und nicht nur um ein vordergründiges Verhalten geht – bereits in der Bergpredigt war dieser Unterscheid offenkundig geworden (Mt 5,17-20). Das Joch als Motiv geht jedoch noch weiter als die Auseinandersetzung mit den jüdischen Autoritäten. Im Kontext der frühjüdischen Weisheitsliteratur lädt die Weisheit, als Sinnbild für Gottes Botschaft und Gerechtigkeit, ein, ihr zu folgen und sie zu suchen. Dabei wird auch thematisiert, dass das Tun der Gerechtigkeit und das Leben nach Gottes Botschaft durchaus anstrengend und herausfordernd sein kann (vgl. Jesus Sirach 51,23-27 und Weisheit 6,11-16). Dies gilt auch für die radikale Verkündigung Jesu beispielsweise in der Bergpredigt. Das Entscheidende der Anstrengung und damit des Jochs ist die Art und Weise, wie es „auferlegt“ wird. Wenn Jesus davon spricht, dass sein Joch sanft und seine Last leicht ist, korrespondiert dies mit der Selbstaussage „gütig und demütig“ zu sein. Diese beiden Adjektive prägen sowohl seine Botschaft wie auch seinen Blick auf die Menschen, die er einlädt, den Weg der Gerechtigkeit zu gehen.
Verbunden ist dieses andere Joch Jesu mit der Aussicht auf Ruhe und Erquickung. Damit ist jedoch nicht Nichtstun gemeint, ganz im Gegenteil. Das Handeln in Gerechtigkeit und das Lernen von Jesus schafft insofern Ruhe, als die Menschen in ihm eine stabile Orientierung finden können.