Auf wen oder was wartest du? Das Thema „Warten“ spielt im Evangelium des 3. Adventssonntags eine besondere Rolle. Dabei geht es aber nicht nur das Warten an sich, sondern auch um die Klärung von Erwartungen.
1. Verortung im Evangelium
Das Matthäusevangelium (Mt) ist gegliedert durch fünf große Reden Jesu. Die erste Rede, die sogenannte Bergpredigt (Mt 5,1-7,29) steht am Anfang seines Wirkens und benennt die großen Themen der matthäischen Jesuserzählung (Tun des Willens Gottes, Verkündigung des Himmelreiches, Gerechtigkeit). Im Anschluss an die Bergpredigt ist Jesus zunächst rund um den See Gennesaret unterwegs (Heilungen, Stillung des Seesturms) und zieht dann weiter „durch alle Dörfer und Städte“ (Mt 9,35). In Mt 10,1 sendet er seine Jünger aus und gibt ihnen in der Aussendungsrede (Mt 10,5-42) umfangreiche Weisungen mit. Unmittelbar an diese zweite große Rede Jesu schließt sich der heutige Evangeliumsabschnitt an.
2. Aufbau
Der Abschnitt des Evangeliums hat zwei Schwerpunkte. Zunächst geht es um die Frage des Täufers „bist du der, der kommen soll“ und Jesu direkte Antwort darauf an die Jünger des Johannes (Mt 11,2-6). Danach rückt das Wirken des Täufers und seine Bedeutung in den Mittelpunkt (Mt 11,7-11), indem Jesus vor der Menge über Johannes spricht. Die Frage Johannes‘ des Täufers in Mt 11,3 bildet somit den logischen Ausgangspunkt für die gesamte Szene.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 2-3: Johannes der Täufer befindet sich seit Mt 4,12 im Gefängnis. Wenn er auch dort von den „Taten des Christus“ hört, wird vorausgesetzt, dass sich die Kunde über das Wirken Jesu schnell verbreitet hat, so wie es der Evangelist Matthäus z.B. in Mt 4,24 schildert. Was sich hinter den „Taten des Christus“ verbirgt, ist im Abschnitt Mt 4,23-9,35 deutlich geworden und wird in Vers 5 von Jesus selbst mithilfe des Jesaja-Zitats zusammengefasst. Die „Taten des Christus“ sind heilbringendes Handeln und die Verkündigung der Botschaft Gottes. Sie entsprechen den Hoffnungen nach dem Christus, dem Messias, aus dem Hause Davids (vgl. Vers 5).
Die Rückfrage des Johannes lässt durchblicken, dass die himmlische Stimme in der Tauferzählung nur von Jesus selbst wahrgenommen wurden (Mt 3,17), andernfalls wüsste Johannes die Antwort auf seine Frage von dort her. Seine Frage dient hier also der Vergewisserung, dass mit Jesus derjenige aufgetreten ist, auf den er in seiner eigenen Verkündigung verwiesen hat (Mt 3,11).
Die beiläufig erwähnten „Jünger“ des Johannes weisen noch einmal zurück auf dessen erfolgreiches und kraftvolles Wirken, wie es der Evangelist Matthäus in 3,1-12 geschildert hatte.
Verse 4-5: Statt den Jüngern des Johannes auf direkte Weise zu antworten (ja/nein), gibt Jesus ihnen eine Botschaft mit: Johannes soll sich selbst eine Meinung darüber bilden, wie er das Geschehene einordnet. Der Evangelist Matthäus lässt Jesus in Vers 5 seine bisherigen Taten in Anspielung auf den Propheten Jesaja zusammenfassen. Damit er zugleich Johannes auf, genau nach dem zu urteilen, was er selbst von Menschen gefordert hat: ein Leben und Handeln aus dem Willen Gottes heraus zeigt sich in den „Früchten“, die man hervorbringt (vgl. Mt 3,8).
Zu jedem in Vers 5 genannten sichtbaren Zeichen lässt sich im bisherigen Wirken Jesu (Mt 4,17-11,1) eine Erzählung finden, so dass Jesus an dieser Stelle auf einzigartige Weise selbst sein Wirken zusammenfasst und durch die Anspielungen auf die Verheißungen aus dem Buch Jesaja einordnet. Neben den unterschiedlichen Heilungsgeschichten, auf die Bezug genommen wird, lässt sich die „Verkündigung an die Armen“ in der Bergpredigt wiederfinden. Interessanterweise ist in den Schriften von Qumran in besonderer Weise die Heilung von Krankheiten ein Zeichen der Heilszeit, die mit dem ersehnten Messias, dem Christus, anbricht. Das hier geschilderte Handeln Jesu dient also als Erweis seiner messianischen Sendung.
Vers 6: Die Antwort an die Jünger des Johannes endet mit einer Seligpreisung. Diese formuliert nicht positiv, sondern preist diejenigen selig, die etwas nicht tun. Wenn explizit diejenigen seliggepriesen werden, die am Wirken Jesu und seiner Person keinen Anstoß nehmen, dann wird damit deutlich, dass auf das Handeln Jesu eine Reaktion folgen muss. „Keinen Anstoß nehmen“ ist für Matthäus mehr als der Verkündigung Jesu „neutral“ gegenüber zu stehen. Es bedeutet vielmehr, seine Botschaft so nachzuvollziehen, dass sie im eigenen Handeln Wirkung zeigt und zugleich die Bereitschaft zur Kreuzesnachfolge einschließt (Mt 10,38).
Verse 7-10: Immer noch ist die Frage der Johannesjünger der Ausgangspunkt der folgenden Worte Jesu. Nun, da die Jünger zurück zu Johannes gehen und dieser nach dem Gehörten und Gesehenen urteilen soll (Vers 4), wendet sich Jesus an das Volk. Mit Vers 7 beginnt ein längerer, über Vers 11 hinausgehender Redeabschnitt Jesu, in dem es um Johannes und seine Rolle geht. Anhand dreier Fragen, die Jesus in der Vergangenheitsform stellt, weil das Wirken des Täufers durch dessen Inhaftierung beendet ist, geht es um die Erwartungen der Volksmenge an Johannes: „was habt ihr sehen wollen, als ihr hinausgegangen seid“ (Verse 7.8.9). Die von Jesus formulierten Antworten, von denen die ersten beiden nicht zutreffen, die dritte aber sehr wohl, sollen einen Konsens zwischen den Zuhörenden herstellen: Sie sind ja offensichtlich alle in die Wüste hinausgegangen, um dort einen Propheten zu finden!
Diese letzte Erwartung der Volksmenge bestätigt Jesus und macht zugleich deutlich, dass Johannes die Erwartungen sogar übertrifft. Denn Johannes ist „mehr als ein Prophet“, er ist derjenige, von dem das Buch Maleachi spricht: „Seht, ich sende meinen Boten; er soll den Weg für mich bahnen“ (Maleachi 3,1). Dies ruft den Lesern des Evangeliums die Einleitung zum Wirken des Johannes in Erinnerung, als das Zitat aus dem Jesajabuch (Jesaja 40,3) auf Johannes als Rufer in der Wüste angewendet wurde, der dazu aufruft, die Wege zu bahnen (Mt 3,1-3).
Vers 11: Der den Evangeliumsabschnitt abschließende Satz Jesu hebt zwei Dinge hervor: Zum einen gibt es keinen größeren Propheten als Johannes den Täufer. Die Formulierung „aufgetreten“, die das Wirken eines Propheten umschreibt, ist wichtiger als die Formulierung „von einer Frau geboren“. Denn auch Jesus ist von einer Frau geboren worden, ist aber nicht als Prophet „aufgetreten“, weswegen er selbst hier nicht in die Reihe „unter den von einer Frau Geborenen ist kein Größerer aufgetreten“ hineingehört.
Zum anderen geht es um die Kategorien des Himmelreichs und damit den zentralen Punkt der Verkündigung Jesu. Der Kleinste nämlich, der ins Himmelreich gelangt, wird größer sein als der Größte unter den Propheten.