Von unnötiger Furcht und notwendigem Respekt. Jesus ermutigt seine Jünger angesichts möglicher Gefahren bei der Verkündigung des Evangeliums.
1. Verortung im Evangelium
Das Matthäusevangelium (Mt), das durch fünf große Redeeinheiten Jesu geprägt ist, fokussiert sich von Mt 4,12-18,35 auf das Wirken Jesu in Galiläa. Innerhalb dieses Teils wählt Jesus die zwölf Apostel aus und sendet sie zu den „verlorenen Schafen Israels“ (Mt 10,5-15). Ausgangspunkt für die Aussendung der Jünger, die sein eigenes Wirken unterstützen soll, ist die Wahrnehmung, dass die Menschen auf der Suche und von der derzeitigen Situation ermattet sind. Die religiösen Anführer seiner Zeit taugen nicht als Hirten der Herde Israels und die Menschen sehnen sich nach dem Messias, der ihnen Richtung und Orientierung gibt. Wenn die Jünger in diese Situation hinein die Botschaft vom Himmelreich verkünden, werden sie, wie Jesus selbst, Widerspruch und Anfeindung erleben, darauf weist Jesus in Mt 10,16-25 hin. Der Abschnitt Mt 10,26-33 setzt dieser Gefährdungslage eine Ermutigung und Einordnung der Bedrohung entgegen.
2. Aufbau
Die Verse 26-27 markieren den Übergang von den zuvor dargestellten Gefahren der Verkündigung zur Ermutigung der Jünger. Thematischer Schwerpunkt ist hier das furchtlose Bekenntnis angesichts der Gegner der Botschaft. Im Fokus der Verse 28-31 steht hingegen der gebotene Respekt vor Gottes Allmacht. Die unnötige Furcht vor den Menschen und der notwendige Respekt vor Gott werden in den Versen 32-33 in der Alternative eines Bekennens oder Verleugnens Jesu noch einmal pointiert gegenübergestellt.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 26-27: Durch das Pronomen „ihnen“ sind die Verse eindeutig mit den vorangegangenen Warnungen an die Jünger verbunden. Zuvor hatte Jesus seine Jünger in Mt 10,16-25 auf Bedrängnisse und Verfolgungsszenarien vorbereitet, die ihnen bei der Verkündigung der Botschaft vom Himmelreich drohen. Jesus hatte dabei sowohl von Prozessen, als auch von Aufständen und Familienentzweiungen, von Hass und Verfolgung gesprochen. Er bereitet die Jünger vor auf Situationen, die auftreten können, wenn sie „in Jesu Namen“ (Mt 10,22) unterwegs sind. Dieser realistischen Einschätzung der Lage stellt er nun den Aufruf gegenüber, sich nicht vor all diesen Menschen zu fürchten. Mit „darum“ erinnert der Evangelist an die Gründe, die eine Furcht vor den feindlichen Menschen unnötig macht: So hatte Jesus auch schon vom Beistand des Heiligen Geistes (Mt 10,20), oder der Zuflucht bei wohlwollenden Menschen (Mt 10,23) gesprochen. Einen weiteren Grund benennt er hier: Das Verborgene wird offenbar werden. Gemeint ist damit sowohl das Verhalten derer, die sich gegen die Jünger und die Botschaft wenden, als auch das Verhalten der Jünger. Beides ist mit Blick auf die Allmacht Gottes und sein Gericht am Ende der Zeit formuliert. Die Jünger können sich gewiss sein, dass die Heimtücke und Feindschaft der Menschen Gott nicht verborgen bleibt und damit auch nicht ohne Konsequenzen. Gott wird aber ebenso das Verhalten der Jünger nicht verhüllt bleiben und er wird sehen, ob sie sich aus Furcht vor den Menschen zurückziehen und die Botschaft verschweigen, oder ob sie standhaft sind (Mt 10,22) und im Licht und von den Dächern weg das Himmelreich verkünden.
Verse 28-31: Den Gedanken von der unnötigen Angst vor den Menschen setzt Jesus fort, indem nun der Fokus auf Gott als den eigentlich Mächtigen in allen Situationen gelenkt wird. Dazu werden zwei Argumente verwendet. Zum einen wird die Macht Gottes betont, die anders als die Macht der Menschen über den Tod hinaus existiert. Die Menschen können zwar den Leib töten, die Seele jedoch nicht, weil diese bei Gott auch über den leiblichen Tod hinaus geborgen ist. Einzig Gott kann Leib und Seele „verderben“, wenn er richtet und beim Menschen keine Gerechtigkeit findet. Zum anderen wird die Sorge Gottes um jeden betont, der an ihn glaubt und sich für seine Botschaft stark macht. Die Spatzen, die von so geringem Gegenwert sind, dass sie zu zweit für einen Pfennig verkauft werden, sind dennoch als Gottes Geschöpfe unter seinem Schutz. Gott wacht auch über sie und lässt sie nicht zu Boden fallen, was so viel bedeutet wie schutzlos zu werden. Wie viel mehr wert sind die Jünger, deren Haare sogar gezählt sind, und wie viel größer ist der Schutz, der Gott ihnen entgegenbringt. Gott ist also Herr über Leben und Tod, er ist derjenige, der schützt und wirklich mächtig ist. Ihm gilt es also Respekt als eine positive Form von Furcht entgegenzubringen, während eine Furcht vor den nur mächtig wirkenden Menschen, die die Jünger in Bedrängnis führen, unnötig ist.
Verse 32-33: Angesichts der aufgezeigten „Machtbereiche“ der Menschen und Gottes sollte es einfach sein, sich für einen zu entscheiden. Die logische Konsequenz für die Jünger kann auch in der Bedrängnis nur sein, an der Botschaft vom Himmelreich festzuhalten und sich zu Jesus als Sohn des allmächtigen Gottes zu bekennen. Insofern sind die hier aufgestellten Alternativen zu verstehen als weiteres Argument für das Verkünden der Botschaft. Denn wer sich vor den Menschen und auch in Bedrängnis zu Jesus bekennt, der kann sich Jesu Fürsprache beim Vater gewiss sein. Wer die heilbringende Botschaft Jesu angesichts von Herausforderungen verleugnet, der darf nicht auf Jesu Beistand beim Vater kalkulieren.