Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Mt 10,17-22)

17Nehmt euch aber vor den Menschen in Acht! Denn sie werden euch an die Gerichte ausliefern und in ihren Synagogen auspeitschen.

18Ihr werdet um meinetwillen vor Statthalter und Könige geführt werden, ihnen und den Heiden zum Zeugnis.

19Wenn sie euch aber ausliefern, macht euch keine Sorgen, wie und was ihr reden sollt; denn es wird euch in jener Stunde eingegeben, was ihr sagen sollt.

20Nicht ihr werdet dann reden, sondern der Geist eures Vaters wird durch euch reden.

21Der Bruder wird den Bruder dem Tod ausliefern und der Vater das Kind und Kinder werden sich gegen die Eltern auflehnen und sie in den Tod schicken.

22Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.

Überblick

Nachfolge ist kein Kindergeburtstag! Jesus wählt im Evangelium drastische Beispiele, um seine Jünger auf die Situation von Verfolgung und Bedrängnis vorzubereiten.

1. Verortung im Evangelium
Der vorliegende Abschnitt stammt aus der zweiten großen Rede Jesu im Matthäusevangelium (Mt 10,1-11,1). Hier sendet er die Jünger aus, damit sie das Reich Gottes verkünden, und er gibt einen Ausblick auf das, was ihnen bei der Verkündigung geschehen wird.

 

2. Aufbau
Der Text lässt sich in drei Abschnitte untergliedern: Verse 17-18 sprechen die direkte Verfolgung in der Verkündigung an, bevor in den Versen 19-20 eine Ermutigung für diese Situationen erfolgt. Die Verse 21-22 schließen dann noch einmal mit konkreten Bedrohungsszenarien und der Zusage auf Rettung.

 

3. Erklärung einzelner Verse
Verse 17-18: Jesus formuliert eine allgemeine Warnung gegenüber Menschen, die sich nicht auf die Botschaft vom Reich Gottes einlassen und nennt dann konkrete Beispiele für Orte und Personen denen gegenüber die Jünger gezwungen sein werden, Rede und Antwort zu stehen. Dabei ist sowohl die staatliche als auch die religiöse Gewalt mitbedacht. So steht das Wort von dem Auspeitschen in der Synagoge für die 39 Geißelhiebe, die als Strafe für schwere Gesetzesüberschreitungen verhängt werden konnten. Im zweiten Korintherbrief 11,24 berichtet Paulus davon, diese Strafe verhängt bekommen zu haben.

 

Verse 19-20: Der Ankündigung der Verfolgung folgt die Aussicht, in diesen Situationen nicht für sich alleine zu stehen. Die Gabe des Heiligen Geistes in Momenten der Bedrohung ist einerseits als konkrete Hilfestellung und andererseits als Zuspruch zu verstehen: Der Geist wird die richtigen Worte zur Verteidigung bzw. zum Zeugnis eingeben und ist Zeichen der Nähe Gottes auch in der Situation der Not.

 

Verse 21-22: Die Situation der möglichen oder vorausgesagten Bedrohung der Jünger wird zugespitzt durch die Beispiele von der Verfolgung und Feindschaft innerhalb der Familienbande. Matthäus setzt so der Verfolgung im öffentlichen Raum, die Bedrohung im privaten Umfeld gegenüber. Der Ausblick auf Rettung angesichts der Anfeindungen im öffentlichen wie privaten Bereich ist notwendig, um die Jünger in ihrer Haltung zu bestärken.

Auslegung

Die allgemeine Formulierung direkt zu Beginn macht deutlich: Jesus spricht hier nicht nur die direkt vor ihm sitzenden oder stehenden Jünger an. Die geschilderten Situationen können allen Verkündern des Reiches Gottes widerfahren. Der Evangelist Matthäus wird in der Gemeinde, für die er seine Jesusgeschichte schreibt, sicher ganz konkrete Situationen der Bedrohung und Anfeindung vor Augen haben. So wie wir womöglich an das Zeugnis von Christen der vergangenen Jahrhunderte oder unserer Tage denken, die wegen ihres Glaubens an Jesus Christus verfolgt oder gar getötet wurden. Die Worte Jesu sind konkret und allgemein zugleich: Sie bereiten die Jünger auf das vor, was ihnen unmittelbar bevorsteht, wenn sie sich senden lassen. Und sie rufen allen weiteren Generationen von Lesern und Hörern in Erinnerung, dass die Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat nicht nur auf Begeisterung stößt. Die Botschaft Gottes, die Botschaft von Heil, Erlösung und Gottes Nähe zu den Menschen bringt Widerstand, Empörung und offene Feindschaft mit sich. Und die Situationen der Verfolgung sind vielfältig, wie die Beispiele aus der staatlichen und religiösen Welt zeigen sollen. Die Ausdehnung der Feindschaft auf den familiären Bereich ist womöglich die schwierigste Botschaft damals wie heute. Dass der Glaube an Jesus Christus auch unter Menschen, die mit einem eng verbunden, verwandt und liebevoll zugetan sind, zu Verwerfungen führen soll, kann Verzweiflung mit sich bringen.

Der Ausblick auf die bleibende Nähe Gottes in jeder Bedrängnis ist daher mehr als eine Durchhalteparole. Wenn Jesus den Jüngern voraussagt, dass ihnen in der Situation der Anklage der Geist Gottes zur Seite steht und ihnen die richtigen Worte eingibt, dann ist das Ausdruck für die Treue Gottes. Er ist in seinem Geist gegenwärtig, auf ihn ist Verlass - auch wenn sich alles gegen einen wendet. Wer wegen Jesu Namen angeklagt und verfolgt wird, der kann sich seiner Nähe sicher sein. Und wer bis zum bitteren Ende seine Grundüberzeugung nicht aufgibt, wer standhaft ist, der wird erleben, dass diese Zusage Jesu wahr ist. So zeigt es zum Beispiel die Geschichte des Stephanus (Apostelgeschichte 6,8-8,1): Als er sich vor dem Hohen Rat der Juden verteidigen muss, kann er die Anklage mit klugen Worten entwaffnen und als ihm der Tod unmittelbar bevorsteht, sieht er den Himmel offen als Zeichen für Gottes Gegenwart.

Jesus ist seinen Jüngern gegenüber vollkommen ehrlich. Er lockt sie nicht mit der Aussicht auf Ruhm oder Anerkennung in die Nachfolge. Als er die Jünger aussendet macht er ihnen auch transparent, was das bedeuten kann: Hass, Verfolgung, Anklage und Tod, aber auch die bleibende Nähe Gottes und die Zusage für die Treue zur Botschaft Gottes mit dem Himmelreich "belohnt" zu werden.