Lesejahr B: 2023/2024

Evangelium (Mk 10,17-30)

17Als sich Jesus wieder auf den Weg machte, lief ein Mann auf ihn zu, fiel vor ihm auf die Knie und fragte ihn: Guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu erben?

18Jesus antwortete: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer der eine Gott.

19Du kennst doch die Gebote: Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen, du sollst keinen Raub begehen; ehre deinen Vater und deine Mutter!

20Er erwiderte ihm: Meister, alle diese Gebote habe ich von Jugend an befolgt.

21Da sah ihn Jesus an, umarmte ihn und sagte: Eines fehlt dir noch: Geh, verkaufe, was du hast, gib es den Armen und du wirst einen Schatz im Himmel haben; dann komm und folge mir nach!

22Der Mann aber war betrübt, als er das hörte, und ging traurig weg; denn er hatte ein großes Vermögen.

23Da sah Jesus seine Jünger an und sagte zu ihnen: Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen!

24Die Jünger waren über seine Worte bestürzt. Jesus aber sagte noch einmal zu ihnen: Meine Kinder, wie schwer ist es, in das Reich Gottes zu kommen!

25Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.

26Sie aber gerieten über alle Maßen außer sich vor Schrecken und sagten zueinander: Wer kann dann noch gerettet werden?

27Jesus sah sie an und sagte: Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich.

28Da sagte Petrus zu ihm: Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt.

29Jesus antwortete: Amen, ich sage euch: Jeder, der um meinetwillen und um des Evangeliums willen Haus oder Brüder, Schwestern, Mutter, Vater, Kinder oder Äcker verlassen hat,

30wird das Hundertfache dafür empfangen. Jetzt in dieser Zeit wird er Häuser und Brüder, Schwestern und Mütter, Kinder und Äcker erhalten, wenn auch unter Verfolgungen, und in der kommenden Welt das ewige Leben.

Überblick

Wie Gott das Kamel durchs Nadelöhr holt und was wir tun können, um das ewige Leben zu gewinnen.

1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Markus unternimmt es als erster eine Jesuserzählung zu schreiben und die zuvor meist mündliche Überlieferung zu einer fortlaufenden Geschichte zusammenzustellen. Das Markusevangelium (Mk) entsteht kurz nach der Zerstörung des Jerusalemer Tempels (70 n.Chr.) im Jüdischen Krieg. Der Verfasser ist unbekannt, auch wenn es innerhalb der kirchlichen Tradition eine Verbindung zu Markus einem Judenchristen hellenistischer Herkunft gibt. Dieser ist einerseits Paulusbegleiter (Apostelgeschichte 12,12) und andererseits Vertrauter des Petrus (1. Petrusbrief 5,13).
Das Markusevangelium beginnt in der Wüste (Mk 1,1-13) mit dem Auftreten des Täufers und der Taufe Jesu. Dann schildert es den Beginn der Verkündigung Jesu in Galiläa (Mk 1,14-8,26) und den Weg nach Jerusalem (Mk 8,27-10,52) und endet mit den Ereignissen in Jerusalem (Mk 11,1-16,20). Das ursprüngliche Ende des Evangeliums war die Begegnung der Frauen mit dem Engel am leeren Grab (Mk 16,8). Die Erweiterung um die Erscheinungserzählungen sind später hinzugefügt worden (Mk 16,9-20).
Der mit Mk 8,27 begonnene Abschnitt im Markusevangelium führt Jesus und seine Jünger stetig auf Jerusalem und das Leiden Jesu zu. Er ist gegliedert durch drei Ankündigungen des Leidens (Mk 8,31, Mk 9,31 und Mk 10,33-34) und inhaltlich stark durch das Thema der Jüngerschaft geprägt. Die Frage nach der Nachfolge und der Entscheidung, die damit einhergeht beschäftigt den Abschnitt Mk 10,17-30.

 

2. Aufbau
Der Abschnitt Mk 10,17-30 umfasst drei Erzähleinheiten. Zunächst fragt ein Mann den Lehrer Jesus nach dem Weg zum ewigen Leben und geht angesichts der Antwort traurig weg (Verse 17-22). Darauf folgt eine Belehrung Jesu an die Jünger über die Schwierigkeit Reichtum und Nachfolge zu verbinden (Verse 23-27). Abschließend antwortet Jesus auf die entsetzte Frage des Petrus mit einer Verheißung für diejenigen, die sich auf sein Nachfolgemodell einlassen (Verse 28-30).

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 17: Die folgende Begegnung wird vom Evangelisten bewusst als eine Weggeschichte beschrieben, deshalb wird betont, dass Jesus „wieder auf dem Weg“ ist. Obwohl Weggeschichten eigentlich durch den Charme des Zufälligen geprägt sind, wird hier das Zusammentreffen durch den Mann bewusst hergestellt. Er „läuft auf ihn zu“, zeigt damit Initiative und durch seine Geste des Kniefalls auch Ehrerbietung gegenüber Jesus. Sein Auftritt bringt eine unmittelbare Dynamik in die Erzählung, was sich in der stark dialogischen Ausrichtung zeigt.
Die Frage, die ihn bewegt, zeigt nicht nur seine grundsätzliche Bereitschaft, sich an Gott auszurichten, sondern auch, sich selbst zu hinterfragen. „Was muss ich tun“ deutet die eigene Anstrengung an, das erhoffte Ziel der Gemeinschaft mit Gott zu erreichen. Wenn er am Ende dennoch traurig von der Begegnung weggeht, wird sich in den Anmerkungen Jesu zeigen, dass es nicht nur das eigene Vermögen ist, was einen Menschen diesem Ziel näher bringt.

 

Verse 18-19: Die Antwort Jesu klingt zunächst lehrmeisterlich. Er weist die Zuschreibung „gut“ von sich und verweist darauf, dass diese allein Gott gebührt. Es wirkt zunächst irritierend, wenn der „Sohn Gottes“ diese Anrede von sich fernhalten will. Da im weiteren Gespräch mit dem Mann deutlich wird, dass er seine direkte Beziehung zu Gott noch einmal auf den Prüfstand stellen soll, ist diese Zurückweisung der Anrede als „guter“ Meister ein erster Hinweis auf die kommenden Korrekturen an der Einstellung des Mannes. Jesus geht davon aus, dass der Mann mit den Geboten und deren Bedeutung als Türöffner für ein Leben mit Gott vertraut ist. Er verweist auf die 10 Gebote und zwar explizit auf die Gebote 5-8. Das Gebot „du sollst nicht rauben“ hat im Dekalog keine Entsprechung, es lässt sich aber als eine Zusammenfassung des 9. und 10. Gebots verstehen. Ein ähnlicher Gedanke oder eine vergleichbare Aufforderung findet sich im Buch Jesus Sirach 4,1, wo es heißt: „Kind, das Leben des Armen beraube nicht und lass die Augen des Bedürftigen nicht warten!“ (vgl. Deuteronomium 24,14). Die Weisung zielt auf das konkrete Verhalten den Armen und Notleidenden gegenüber. Damit fügt sich „du sollst nicht rauben“ in die Reihe der anderen zitierten Gebote ein, die alle das Verhältnis zum Nächsten zum Thema haben.

 

Verse 20-22: Der Mann hat die Gebote Gottes in seinem Leben befolgt. Seine Frage nach dem „ewigen Leben“ hatte bereits zu erkennen gegeben, dass er sich mit einem Leben nach dem Willen Gottes ausführlich auseinandergesetzt hat. Die anrührende Geste Jesu, den Mann zu umarmen, ist einerseits eine bestätigende und bekräftigende Antwort auf diese Grundausrichtung des Mannes. Andererseits ist sie Zeichen des Mitleids: Jesus ahnt schon, dass der Mann sich mit dem letzten Schritt des Zugehens auf Gott schwertun wird. Die Aufforderung, sich Jesus anzuschließen und dazu alles andere zu verlassen, formuliert die letzte Konsequenz eines Lebens, das sich auf Gott hin ausrichtet. Es bedeutet alles auf eine Karte zu setzen und an nichts festzuhalten, was Sicherheiten gibt. In der Aufgabe des eigenen Besitzes zugunsten der Armen kommt die Neuorientierung sichtbar zum Ausdruck. Von nun an verlässt sich der Nachfolgende ganz auf Gottes Zuwendung und sichert sein Leben nicht mehr selbst.
Erst beim Verlassen der Szene wird das große Vermögen des Mannes erwähnt, so begegnen wir als Leser ihm zunächst unvoreingenommen und sind nun „überrascht“, dass ihm dieser letzte Schritt nicht gelingt.

 

Verse 23-27: Wie in Mk 10,2-12 folgt auf das öffentliche Gespräch nun eine Unterhaltung Jesu mit seinem engsten Kreis. Ihnen gegenüber bestätigt Jesus die Entscheidung des Mannes auf einer allgemeinen Ebene. Für diejenigen, „die viel besitzen“, ist das Reich Gottes nur schwer zu erreichen. Allerdings ist nicht der Besitz an sich das Hindernis, sondern das, was der Besitz mit sich bringt: Die Konzentration auf das Vermögen und die Anziehungskraft, die es mit sich bringt. Wer etwas besitzt, gerät wegen des Vermögens leicht in Sorgen, seine Aufmerksamkeit ist auf das Verwalten und Erhalten des status quo ausgerichtet. Sich als Reicher ganz auf etwas anderes, ganz auf den Nächsten, ganz auf die Nachfolge Jesu und das Reich Gottes zu fokussieren, scheint unmöglich – oder so wahrscheinlich, wie das Kamel, das durch das Nadelöhr geht.
Dem ehrlichen Entsetzen der Jünger, wer dann noch „gerettet werden kann“, d.h. das ewige Leben erlangen kann begegnet Jesus mit einer Zusage: Wenn es den Menschen nicht möglich ist, sich ganz auf die Nachfolge auszurichten, dann kann doch Gott dem Menschen diese Erfahrung schenken. Dass bei Gott alles möglich ist, ist nichts anderes als die Ermutigung, dass Gott Menschen den Weg zu sich gnadenhaft eröffnet. Diese Zusage ist die direkte Antwort Jesu auf das deutlich geschilderte Entsetzen der Jünger.

 

Verse 28-30: Petrus spricht erneut für den Jüngerkreis und damit für jene, die beim Eintritt in die Nachfolge alles verlassen haben (vgl. Mk 1,16-20). Ihnen ganz konkret gilt – aber auch allen Lesern des Evangeliums – gilt die folgende Zusage: Wer sich auf den Weg mit Jesus einlässt und sein Leben ganz auf das Reich Gottes ausrichtet, der wird „das Hundertfache“ zurückempfangen. Wer seinen Besitz (Haus, Acker) und seinen Bezugsrahmen (Vater, Mutter, Brüder, Schwestern, Kinder) verlässt, um das Evangelium zu verkünden, der wird nicht mit leeren Händen dastehen. Der Evangelist Markus formuliert die Verheißung in einer doppelten zeitlichen Zusage, die sich am persönlichen Erleben der Gemeinde orientiert. Durch das Zusammenleben in der Gemeinde hat jeder, der sich auf die Nachfolge einlässt, bereits einen neuen und viel größeren Bezugsrahmen geschenkt bekommen. Die Gemeinschaft der Christusnachfolger ist nun die neue große Familie. Die Aufnahme in die Häuser, denen das Evangelium verkündet wird, schenkt neue Orte und einen ungeahnten Reichtum in der Zuwendung und Unterstützung durch Sympathisanten. Der größte Gewinn für die Jünger und Jüngerinnen Jesu aber zeigt sich in der himmlischen Welt. Dort ist ihnen die Gemeinschaft mit Gott in dessen Reich und damit das ewige Leben versprochen.

Auslegung

Eigentlich hat der Mann im Evangelium bisher alles richtig gemacht: Er hat sich an den Geboten Gottes orientiert, hat dabei offenbar in besonderer Weise seine Mitmenschen im Blick gehabt und ist doch weiterhin aktiv auf der Suche nach „mehr“. Seine Frage nach dem ewigen Leben zeigt an, dass er um die verschiedenen Facetten eines Glaubenslebens weiß: Er will sich selbst immer wieder hinterfragen, er möchte sich auf Gott hinausrichten und in seinem Leben nach dem Willen Gottes und mit Blick auf die Mitmenschen leben. Und dennoch erfährt er, dass es so einfach nicht ist. Das Reich Gottes ist kein Selbstläufer für die, die vermeintlich alles richtig machen. Das Evangelium und die Worte Jesu zeigen in radikaler Form, was für ein Leben im Sinne Gottes wirklich wichtig ist: Die Nachfolge Jesu und damit die Alleinorientierung an dessen Leben und Wirken. Die eine Aufforderung und Frage Jesu pointiert die Herausforderung eines Lebens mit Gott: Worauf liegt dein wirklicher Fokus? Der vermögende Mann scheitert nicht einfach an seinem Besitz und das Evangelium bietet hier auch keine generelle Kritik am Reichtum. Der kritische Punkt ist das Verhältnis zum Besitz und die Frage: Wovon kann ich Abstand nehmen und worauf bin ich bereit mein Leben zu setzen. Der Mann ist in der Lage in seinem Leben, die vielfältigen Gebote Gottes ernsthaft zu bedenken und in sein Leben zu integrieren. Er sehnt sich nach einer ewigen Gemeinschaft mit ihm, hat seine Mitmenschen im Blick. Doch diese Perspektive, diese Lebenshaltung zum Maßstab alles Denkens, aller Bemühungen, aller Entbehrungen und aller Besitztümer zu machen, das will ihm nicht gelingen. Das Bemerkenswerte des Evangeliumstextes ist –und das wird allzu leicht übersehen – der Mann sieht das selbst ein. Er scheitert nicht auf halber Strecke, nachdem er alles verkauft hat und dann bitterlich über „das Verlorene“ weint. Er entscheidet sich nicht erst für die Nachfolge und dann wieder um, nachdem er die Radikalität dieses Lebens am eigenen Leib gespürt hat. Der Mann sieht auf sich, auf den Ruf Jesu und er erkennt: Das bekomme ich nicht hin. Diese Selbsterkenntnis aber ist der erste Weg hin zu der Verheißung, die Jesus im Nachgang ausspricht: Woran du selbst zu scheitern scheinst, das kann Gott doch noch möglich machen. Wenn Gott das Kamel durchs Nadelöhr holt, dann meint dies nichts anderes als: Gott ruft so beharrlich, er ermutigt die Zögernden, er lässt nicht locker mit seinem Angebot. Und so wird der Mann, der heute noch weggeht, vielleicht irgendwann die innere Stärke und Klarheit haben: Ich brauche meinen Besitz nicht. Ich muss mich nicht an etwas festhalten. Denn ich weiß: Wenn ich das Meine loslasse, wird mir Gottes Reich geschenkt. Hier auf Erden in der sichtbaren und spürbaren Gemeinschaft mit den anderen Christen. Und auf ewig in der Nähe Gottes.

Kunst etc.

Darstellung des Kamels, das sich durch eine Engstelle drängt, auf dem westlichen Kircheneingang der Bonifatius-Kirche in Dortmund.