Nachhilfestunde für die Jünger Jesu. Mal mit, mal ohne Worte macht Jesus heute den Jüngern deutlich, wie sie ihre Nachfolge verstehen sollen.
1. Verortung im Evangelium
Der ausgewählte Text markiert einerseits einen neuen Abschnitt innerhalb des Lukasevangeliums (Lk), andererseits ist er durch die Jünger-Thematik eng mit den vorangegangen Abschnitten verzahnt. Denn das 9. Kapitel des Lukasevangeliums legt den Schwerpunkt auf die Jünger Jesu. Immer wieder geht es dabei darum, ob und wie die Jünger Jesus und seine Sendung und die Botschaft vom Reich Gottes verstehen. Sowohl in diesen größeren Einheiten als auch in den kleineren Abschnitten dazwischen schimmern sowohl Verständnis als auch Unverständnis oder offene Fragen der Jünger zur Frage nach der Bedeutung Jesu durch.
Gleichzeitig beginnt mit Lk 9,51 ein Teil des Evangeliums, der irgendwo unterwegs auf dem Weg nach Jerusalem spielt. Bis Lk 18,34 gibt es bei den Episoden keine genauen Ortsangaben, so dass man den Weg Jesu nachverfolgen könnte.
2. Aufbau
Der Evangeliumstext gliedert sich in zwei Abschnitte. Lk 9,52-56 stellt die Jünger in den Mittelpunkt und schildert das ablehnende Verhalten eines Dorfes gegenüber ihrer Verkündigung. Lk 9,57-62 legt in drei unterschiedlichen Szenen dar, was es heißt, Jesus auf seinem Weg nachzufolgen.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 51: Der Vers leitet den gesamten Abschnitt Lk 9,51-18-34 ein und macht deutlich, dass Jesus sich von nun an auf dem Weg nach Jerusalem befindet. Nur aus der nachösterlichen Perspektive wird die weitere Formulierung „dass er hinweggenommen werden sollte“ verständlich. Gemeint ist die Himmelfahrt Jesu, die den Gekreuzigten und Auferstandenen endgültig zurück zum Vater führt.
Die Formulierung „als sich die Tage erfüllten“ bringt den Gedanken zum Ausdruck, dass es eine „Vollständigkeit“ von Tagen oder Jahren oder allgemein der Zeit gibt.
Vers 52-53: Die Rolle der Jünger wird als Botendienst beschrieben. Dies ist jedoch nicht abwertend, im Sinne von Dienstbote zu verstehen, sondern im Sinne von Kundschaftern oder Vorläufern. Die Jünger werden gemäß ihrer Aussendung in Lk 9,1-6 unterwegs verkündigt haben und so den Weg bereitet haben für die spätere Verkündigung der Reich Gottes Botschaft durch Jesus selbst. Auf ähnliche Weise ordnete der Evangelist Lukas Johannes den Täufer als Vorläufer ein, wenn er ihn sagen ließ: „Es kommt aber einer, der stärker ist als ich, und ich bin es nicht wert, ihm die Riemen der Sandalen zu lösen. Er wird euch mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen.“ (Lk 3,16). Gleichzeitig sind die Jünger auch pragmatische Vorbereiter der Wegetappen Jesu, wenn sie sich um Unterkunft bemühen.
Die Ablehnung Jesu in dem Dorf, das die Jünger besuchen, wird von Lukas klar erzählt. Man nimmt Jesus nicht auf, weil er auf dem Weg nach Jerusalem ist. Für die Samariter, die Gott nicht im Tempel in Jerusalem, sondern im Tempel auf dem Garizim verehren, ist jemand, der nach Jerusalem wandert, zwangsläufig nicht gern gesehen. Nur durch die Rivalität bzw. Ablehnung zwischen Juden und Samaritanern ist zu erklären, dass das sonst so bedeutsame Gesetz der Gastfreundschaft hier nicht zum Tragen kommt.
Verse 54-56: Die erfahrene Ablehnung führt bei zwei der Jünger Jesu zu einem Vorschlag: Johannes und Jakobus wollen gegen das Dorf aktiv werden bzw. Gott gegen das Dorf aktiv werden lassen. Im Hintergrund steht die Idee, dass Gott Sünder dadurch straft, dass er Feuer auf die Erde sendet (vgl. Genesis 19,24). Die geschilderte Reaktion Jesu ist klar, kommt aber ganz ohne wörtliche Rede Jesu aus. Einerseits wird berichtet, dass er die Jünger zurechtweist, andererseits zieht Jesus mit den Seinen einfach weiter in ein anderes Dorf.
Verse 57-58: Das Verständnis von Nachfolge als „hinterhergehen“ und „Schicksal/Leben in allem teilen“ kommt hier zum Ausdruck, wenn beteuert wird, überall mit hin zu gehen. Der Schüler folgt in diesem Verständnis dem Lehrer im wahrsten Sinne auf Schritt und Tritt und führt ein Leben ganz wie der Lehrer.
In der Antwort Jesu spiegelt sich das Erleben von sogenannten Wandercharismatikern, die wohl auch hinter der Überlieferung des Abschnitts stehen. Dabei handelt es sich um Gruppen oder einzelne Personen, die sich ganz der Verkündigung des Gottes Reichs widmen und so ohne Verwurzelung an einem Ort oder mit bestimmten Menschen umherziehen. Ihr Leben ist ganz auf die Weitergabe der Botschaft ausgerichtet, daher haben sie sich allen Ballasts entledigt und damit auch der Sicherheit, zu wissen, wo man abends schläft.
Verse 59-62: Die beiden weiteren Gesprächsszenen sind eng miteinander verbunden. In beiden findet sich die Bitte um die Erlaubnis vor dem Eintritt in die Nachfolge noch etwas „erledigen“ zu dürfen und eine Antwort Jesu in Bezug zum Reich Gottes.
Das Bestatten der Toten ist eine Verpflichtung der Tora und ist den vielen anderen Geboten übergeordnet als zentraler Dienst an den Verstorbenen. Es geht mit dieser Frage also im Kern darum, wie sich der Ruf in die Jüngerschaft mit zentralen Geboten des Miteinanders verträgt. Die Antwort Jesu spielt mit dem Begriff „tot sein“. Wenn die Toten sich selbst begraben sollen, dann sind damit diejenigen gemeint, die nicht in der eigentlichen Lebenswirklichkeit, dem Reich Gottes zuhause sind. Deshalb ist die Antwort Jesu auch mit der Aufforderung zur Verkündigung verbunden. Wer das Reich Gottes verkündet und auf es hofft, weiß um das ewige Leben, das damit verheißen ist. Damit werden die Verpflichtungen im Diesseits nicht alle automatisch aufgehoben, aber wer das Reich Gottes verkünden will, der muss auch durch das Abstandnehmen von solchen Regeln deutlich machen, dass er in eine neue und andere Wirklichkeit eingetaucht ist. So verliert die Verpflichtung zur Bestattung angesichts der Hoffnung auf ewiges Leben seinen zentralen Moment der Fürsorge und Ehre.
Der Wunsch, sich von den Angehörigen zu verabschieden, bevor man in die Nachfolge eintritt, erinnert an eine ähnliche Situation im 1. Buch der Könige. Dort gibt der Prophet Elia seinem Schüler auf dessen Wunsch hin die Möglichkeit, sich von dem Vater zu verabschieden. Der Ritus des Abschiednehmens soll die Verbindung zwischen Personen auch über eine räumliche oder zeitliche Distanz hinweg sichern und stärken. Die Antwort Jesu ist gleichnishaft und schildert den „normalen Vorgang“. So wie man nicht mit dem Blick nach hinten pflügen kann, so kann man in der Nachfolge nicht auf das Fortbestehen etablierter Verbindungen bauen, sondern muss sich von allem frei machen, um sich ganz in den Dienst nehmen zu lassen.