Gehen oder bleiben? Oder: Wie kann man verstehen, was doch Geheimnis bleibt?
1. Verortung im Evangelium
Die Verklärung Jesu findet sich in einem spannenden Rahmen im Lukasevangelium, in dem es fast vollständig um die Jünger und ihr Verstehen geht. Zu Beginn von Kapitel 9 hatte Jesus seine 12 Jünger ausgesendet (Lukasevangelium (Lk) 9,1-6), die dann begeistert erzählen, was ihnen widerfahren und gelungen ist bei der Verkündigung der frohen Botschaft (Lk 9,10-17). Im Anschluss formuliert Petrus auf die Frage, wer Jesus sei, das Bekenntnis „Christus Gottes“ (Lk 9,18-22) und muss mit den anderen Jüngern direkt danach erfahren, dass Nachfolge nur mit dem Auf-sich-Nehmen des Kreuzes gelingen kann (Lk 9,23-27). Direkt danach kommt es zur Szene auf dem Berg (Lk 9,28-36), die wiederum gefolgt wird von einem Bericht über die Unfähigkeit der Jünger, einen Jungen zu heilen (Lk 9,37-43a). Abgerundet wird der Blick auf die Jünger durch die Ankündigung des Leidens Jesu (Lk 9,43b-45) und dem Streit der Jünger über die Rangfolge untereinander (Lk 9,46-48).
2. Aufbau
Die Verse 28 und 36b führen in die Szene ein und wieder aus ihr heraus. Der mittlere Teil konzentriert sich auf das eigentliche Geschehen der Verklärung (Verse 29-36a) und nimmt dabei zunächst das Geschehen an und um Jesus (Verse 29-31) und dann die begleitenden Jünger (Verse 32-36) in den Blick.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 28: Das zweite Mal nach Lk 6,12 steigt Jesus auf einen Berg, um zu beten. War er vor der Auswahl der 12 Apostel alleine, um mit dem Vater ins Gespräch zu kommen, nimmt er nun die „Erstberufenen“ mit: Petrus, Jakobus und Johannes. Auch bei der Heilung eines Kindes in Lk 8,51-55 hatte Jesus diese drei als Einzige mit in das Haus und damit zum Geschehen hinzugenommen.
Verse 29-31: Während des Gebets geschieht nun Außergewöhnliches: Das Aussehen des Gesichts und der Kleider Jesu verändert sich. Die weiße Farbe der Gewänder Jesu erinnert die kundigen jüdischen Ohren daran, dass weiß die Farbe Gottes ist. Doch auch für diejenigen, die diese Brücke nicht schlagen können, wird deutlich, dass weiß als Farbe des Reinen, des Heiligen nun eine besondere Bedeutung in der Erzählung einnimmt. Die Veränderung des Gesichts und die weiße Farbe des Gewandes sind zwei Anzeichen, dass hier das Himmlische, die Sphäre Gottes offenbar wird. Das dritte Zeichen dafür ist die Begegnung mit Elija und Mose. Die beiden großen Gestalten des Alten Testaments treten an keiner anderen Stelle gemeinsam auf. Sie stehen für das Gesetz (Mose) und die Propheten (Elija) und damit für die gesamte heilige Schrift des Alten Testaments. Sie kommen ganz eindeutig aus der himmlischen Welt und sind nun neben Jesus (und seinen Jüngern) gegenwärtig. Dass Jesus selbst auch zu dieser himmlischen Welt gehört wird bei Lukas sehr subtil verdeutlicht: Anders als sonst, wenn himmlische Gestalten irdische Menschen treffen (z.B. der Engel, der Maria besucht Lk 1,29), gibt es kein Erschrecken. Jesus fürchtet sich nicht vor Elija und Mose, den Repräsentanten der himmlischen Welt, weil er selbst aus ihr stammt.
Sehr kurz, aber deswegen nicht weniger brisant, wird der Inhalt des Gesprächs zwischen Elija, Mose und Jesus wiedergegeben: Es geht um das bevorstehende Ende Jesu in Jerusalem. Wenn Lukas formuliert „sprachen von seinem Ende, das er in Jerusalem erfüllen sollte“, dann will er damit deutlich machen, dass das Ende Jesu in Jerusalem, sein Leiden und seine Auferstehung in „Erfüllung“ gehen lässt, wovon die Schrift spricht. Das Schicksal Jesu ist durch Propheten und Verheißungen Gottes angekündigt, die Schriften helfen es zu verstehen. Genau in diesem Sinne werden auch die Emmausjünger in Lk 24,25-27 von Jesus über die Schriften und Propheten belehrt, damit sie verstehen, was mit ihm geschehen ist.
Vers 32: Der Blick wechselt hinüber zu den Jüngern und enthüllt dem Leser eine Überraschung: Die Jünger sind eingeschlafen (vgl. Getsemani) und haben von der Erscheinung der Männer und dem Gespräch nichts mitbekommen! Sie nehmen die Veränderung an Jesu äußerer Erscheinung war und die beiden himmlischen Männer, bleiben inhaltlich aber vollkommen ahnungslos.
Vers 33: Die Ahnungslosigkeit der Jünger wird besonders deutlich im Vorschlag des Petrus drei Hütten bauen zu wollen. Da der Vorschlag geäußert wird als die Situation sich aufzulösen scheint, geht es Petrus wohl vor allem darum den Moment der Begegnung zwischen Himmel und Erde festzuhalten. Das Äußere Jesu und die Anwesenheit von Mose und Elija sind an sich schon Anzeichen dieser außerordentlichen Begegnung mit dem Himmel, das versteht auch Petrus. Die ganze Tragweite des Geschehens bleibt ihm jedoch verborgen, dies macht der Kommentar am Ende des Verses deutlich, der aus der Perspektive eines Erzählers das Handeln des Petrus kommentiert.
Verse 34-35: Die Wolke ist ein Motiv der Gotteserscheinung, so z.B. immer wieder in der Zeit der Wüstenwanderung des Volkes Israel. Anders als Jesus zuvor erschrecken die Jünger vor dieser direkten Begegnung mit einem himmlischen Zeichen.
Die Begegnung mit dem Himmlischen ist jedoch nicht mit der Erscheinung der Wolke beendet. Vielmehr wird die Szene der Verklärung abgeschlossen durch eine direkte Gottesrede, die aus der Wolke heraus ertönt. Die Zusprache der Gottessohnschaft Jesu durch die himmlische Stimme erinnert an die Erzählung von der Taufe Jesu in Lk 3,21-22. Die drei Jünger erfahren hier auf dem Verklärungsberg nun das, was Jesus selbst am Jordan bereits über sich ausgesprochen gehört hat und was die Leser seitdem ebenfalls wissen: Jesus ist Gottes auserwählter Sohn. Dieser Offenbarung wird eine Aufforderung hinzugegeben: Die Jünger sollen auf den Gottessohn hören.
Vers 36: Die Offenbarungssituation ist beendet, Jesus bleibt allein zurück. Das Irdische hat ihn ganz wieder. Ebenso die Jünger, die „in jenen Tagen“ über das Geschehen kein Wort verlieren. Die zeitliche Eingrenzung „in jenen Tagen“ ist dem Blick des Evangelisten Lukas geschuldet, der im zweiten Teil seiner Jesusgeschichte, der Apostelgeschichte, deutlich macht, dass die Jünger sehr wohl irgendwann von den Ereignissen berichtet haben. „In jenen Tagen“ ist damit eine Zeitspanne, die bis in die Ostererfahrung und das entsprechende Verständnis der Jünger hineinführt. Erst dann sind sie in der Lage für das Geschehene Worte zu finden.