Den Hunger stillen oder satt werden? Wie die Zwölf lernen, wie sie mit ihren Gaben umgehen.
1. Verortung im Evangelium
Das 9. Kapitel des Lukasevangeliums (Lk) beginnt mit der Aussendung der Zwölf Apostel (Lk 9,1-6). Der Evangelist berichtet zum Ende des Abschnitts (Vers 6) von ihrer Verkündigungs- und Heilungstätigkeit. In Lk 9,10 kommen die Apostel zurück und berichten davon, „was sie alles getan hatten“. Nach ihrem Bericht zieht er sich das erste Mal mit den Aposteln zurück – der Rückzug wird jedoch durch die Ankunft der „Menge“ (Vers 11) beendet. Auf die Speisung der 5000 folgt die Frage Jesu an seine Jünger „für wen haltet ihr mich“ und das Christusbekenntnis des Petrus „für den Christus Gottes“ (Lk 9,18-22).
Die Erzählung der Speisung der 5000 ist ein sogenanntes „Geschenkwunder“ oder aber die Erzählung einer „wunderbaren Überwindung materieller Mangelsituation“.
2. Aufbau
Vers 11b dient der Einordnung der Szene in den Kontext. In den Versen 12-14a wird die Situation bzw. die Problemlage geschildert. Die Verse 14b-17b zeigen wie die Notlage auf wundersame Weise beendet wird. Der letzte Teil von Vers 17 (17c) verdeutlicht die Größe des Geschehens durch die Notiz über die Reste der Speisen.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 11b: Die Notiz vom freundlichen Empfangen der Menschenmenge durch Jesus lässt ihn in die Rolle des „Gastgebers“ gleiten, mit der der Evangelist Lukas im Folgenden bewusst spielt. Die Szene erinnert zudem an Lk 8,40, dort wird Jesus von einer wartenden Menschenmenge empfangen. Lukas schlägt sicher bewusst noch einen zweiten Bogen aus der Szene Vers 11b heraus. Denn auch von Paulus wird berichtet, wie er den Menschen gegenüber als freundlicher Gastgeber auftritt, der das Reich Gottes verkündet (Apostelgeschichte 28,30-31).
Verse 12-14a: Mit der Schilderung der Tageszeit („der Tag geht zur Neige“ Vers 12) deutet Lukas schon an, dass sich ein zu lösendes Problem anbahnt. Die Menschen, die Jesus gefolgt sind, werden wie auf einer Pilgerschaft oder Reise eine sichere Unterkunft für die Nacht und Verpflegung benötigen. In der Emmauserzählung nutzt Lukas ebenfalls die Formulierung vom zur Neige gehenden Tag (Lk 24,29), auch dort ist die Tageszeitangabe verknüpft mit der Frage, was am ausgehenden Tag für Reisende notwendig ist. Die Zwölf Apostel bemerken diese Situation und ergreifen die Initiative. Sie machen Jesus auf die Not aufmerksam und erwarten von ihm eine Lösung. Gleichzeitig signalisieren sie unterschwellig: Hier und bei uns kann ihnen nicht geholfen werden. Dies setzt sich in Vers 13 fort, wenn sie von den geringen eigenen Mitteln („fünf Brote und zwei Fische“) sprechen. Der Auftrag Jesu an die Jünger jedoch ist ein anderer: Sie sollen die Rolle der Gastgeber einnehmen und den Menschen zu essen geben. Die abschließende Angabe der Zahl hungriger Menschen („etwa 5000 Männer“) betont die Größe der Not und die reale Herausforderung.
Verse 14b-17b: Nun ist Jesus selbst wieder in der Rolle des Gastgebers. Er gibt den Aposteln Anweisungen für die Menge und nimmt anschließend die Rolle des jüdischen Hausvaters bei der gemeinsamen Mahlfeier ein, indem er die Brote segnet und weitergibt.
Weder das eigentliche Wunder noch die Mahlszene werden von Lukas geschildert. Er springt direkt zum Ende des Mahls und der Sättigung der Menge.
Vers 17c: Das Wunder der Speisung der 5000 aus den geringen Gaben wird bestätigt durch die abschließende Notiz von der Sammlung der Reste. Ihre Menge zeigt das Wundergeschehen, die Fülle der Gaben an. Die Zwölfzahl der übriggebliebenen Körbe ist ein wichtiger Hinweis auf die Deutung der Geschichte im Lukasevangelium. Zu Beginn der Erzählung war die Zwölfzahl der Apostel benannt worden, hier schließt sich die Rahmung der Erzählung und eröffnet die Interpretation.