Fangen und loslassen – der spannungsreiche Karrierestart des Simon Petrus.
1. Verortung im Evangelium
Nach dem ersten öffentlichen Wirken Jesu in Nazareth und Kafarnaum (Lukasevangelium (Lk) Kapitel 4) ist nun das erste Mal der See Gennesaret Schauplatz des Wirkens Jesu. Die Berufung der ersten Jünger in Lk 5,1-11 schiebt sich damit zwischen die ersten Heilungsgeschichten Jesu: Kafarnaum (Lk 4,31-41) und unbenannte Orte in Galiläa (Lk 5,12-26).
2. Aufbau
Die Erzählung beginnt mit einer ausführlichen Einführung (Verse 1-3), in der sowohl der See Gennesaret als Ort des Wirkens Jesu als auch Jesus als Lehrender eingeführt wird. Die folgenden Verse 4-7 bieten eine Wundererzählung in Form eines Geschenkwunders (reicher Fischfang). In den Versen 8-10 lassen sich typische Merkmale einer Epiphanie-, also einer Offenbarungserzählung finden. Dieser Teil endet mit der Einladung zur Nachfolge. Der abschließende Vers 11 führt die Erzählung zurück an Land und zeigt, was aus dem Nachfolgeruf Jesu wird.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-3: Der Beginn der Erzählung setzt voraus, dass sich das Wirken Jesu bereits herumgesprochen hat und zwar vor allem seine Rede von Gott. Nur so lässt sich der Andrang der Volksmenge verstehen, war Jesus doch bisher in eher kleinen Ortschaften unterwegs (Nazareth und Kafarnaum). Interessant ist, dass Lukas als einziger Evangelist davon schreibt, dass die Menge von Jesus das „Wort Gottes“ hören will. So wird auf implizite Weise klargestellt, dass Jesus als Sohn Gottes authentisch von Gott spricht und daher seine Worte als Worte Gottes zu verstehen sind.
Außergewöhnlich ausführlich wird die Szenerie am Seeufer vom Evangelisten gezeichnet: Zwei Boote liegen am Ufer, die Fischer waren offensichtlich schon auf dem See und waschen nun nach getaner Arbeit ihre Netze aus. Die Leser werden also mitten in eine Alltagsszene hineingenommen.
Die Frage, wie die Ansprache zu einer großen Menschenmenge gelingen kann, löst Lukas mit der Tatsache, dass Jesus ein Boot besteigt, um von dort aus zu sprechen (ganz ähnlich Mk 4,1). Das Sitzen ist die typische Position des Lehrenden. Simon Petrus wird hierbei, ganz beiläufig in die Erzählung eingeführt, er ist der Inhaber des Bootes, das Jesus besteigt.
Verse 4-7: Was Jesus lehrt wird nicht berichtet, Lukas legt den Fokus der Erzählung ganz auf das nun folgende Wunder und die daraus resultierende Nachfolge des Simon und der Zebedäussöhne. Zur Vorbereitung des Wunders lässt Jesus Simon nicht ans Land, sondern weiter hinaus auf den See fahren. Dabei ist nicht daran zu denken, dass die beiden alleine im Boot waren, sondern dass vielmehr einige weitere Personen an Bord waren. Ein 1986 im See Gennesaret entdecktes Fischerboot aus dem 1. Jh. v/n. Chr. deutet von seinen Ausmaßen her auf eine Besatzung von fünf Personen und Platz für weitere zehn Menschen. Man muss sich also zumindest einige weitere Besatzungsmitglieder als direkte Begleiter des Simon vorstellen.
Der in der Alltagserfahrung eines Fischers grundgelegte Einwand des Simon (Vers 5) ist nicht untypisch für eine Wundererzählung und wird schnell von der Bereitschaft abgelöst, dem Wort Jesu Folge zu leisten. Der Einwand dient aber auch der Betonung des folgenden Wunders des überreichen Fischfangs. Der Vergeblichkeit der nächtlichen Anstrengung wird das Geschenk der vollen Netze mitten am Tag gegenübergestellt. Die Größe des Fangs wird auf doppelte Weise betont: Zum einen muss ein weiteres Boot heraneilen, um die Fische aus dem Wasser zu ziehen. Zum anderen wird herausgestellt, dass trotzt der Verteilung der Last auf zwei Boote, beide zu versinken drohen.
Verse 8-10: Der reiche Fischfang wird zur Offenbarung, zum Zeichen dafür, dass Gott am Werke war. Der Evangelist Lukas macht dies deutlich, indem er vom Niederfallen des Simon und dem Bekenntnis der eigenen Schuld spricht. Beides sind typische Elemente von Offenbarungsgeschichten (vgl. zum Bekenntnis der Schuld Jesaja 6,5). Noch wichtiger als diese Elemente aber ist der Ausruf „Herr“ (Kyrios, κύριος) des Simon Petrus. Zum ersten Mal im Lukasevangelium wird Jesus mit diesem Titel angesprochen, der im weiteren Verlauf des Evangeliums immer wieder Verwendung finden wird. Nur in der Mitteilung der Engel an die Hirten (Lk 2,11) war der Titel „Herr“ bislang verwendet worden, aber nicht in der direkten Ansprache und damit auch Erkenntnis eines Menschen angesichts Jesu.
Erst im Nachgang dieses Bekenntnisses wird die Begründung für die Reaktion des Petrus beschrieben: Das Wunder des reichen Fischfangs hat ihn und seine Begleiter mit Furcht und Staunen erfüllt. Hier werden nun ganz nebenbei Johannes und Jakobus, die Söhne des Zebedäus als Mitarbeiter und Begleiter des Simon erwähnt.
Der Zuspruch Jesu an Simon – die anderen werden nicht angesprochen! – enthält die typische Aufforderung sich nicht zu fürchten und die Ankündigung von nun an „Menschen zu fangen“. Dass das „Fangen von Menschen“ anders zu verstehen ist als das Fangen von Fischen wird zwar deutlich durch die unterschiedlichen Wörter, die im griechischen Text verwendet werden, dennoch bleibt das Bild sperrig.
Vers 11: Ohne weitere Kommentare wird nun die Fahrt auf dem See beendet. Und ebenso ohne weitere Auslegung oder Ausschmückung wird die Folge der Begegnung zwischen Jesus und den Fischern beschrieben: Simon Petrus und die Zebedäussöhne, Johannes und Jakobus, und vielleicht noch weitere Fischer, normalerweise wird Andreas als Bruder des Simon Petrus mitgedacht (vgl. Mk 1,16ff.) treten in die Nachfolge Jesu ein. Von Abschied oder Versorgen des Fangs ist keine Rede mehr, lediglich die Boote werden ans Land gebracht.