Lesejahr C: 2024/2025

Evangelium (Lk 4,21-30)

21Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.

22Seine Rede fand bei allen Beifall; sie staunten darüber, wie begnadet er redete, und sagten: Ist das nicht der Sohn Josefs?

23Da entgegnete er ihnen: Sicher werdet ihr mir das Sprichwort vorhalten: Arzt, heile dich selbst! Wenn du in Kafarnaum so große Dinge getan hast, wie wir gehört haben, dann tu sie auch hier in deiner Heimat!

24Und er setzte hinzu: Amen, das sage ich euch: Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt.

25Wahrhaftig, das sage ich euch: In Israel gab es viele Witwen in den Tagen des Elija, als der Himmel für drei Jahre und sechs Monate verschlossen war und eine große Hungersnot über das ganze Land kam.

26Aber zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt, nur zu einer Witwe in Sarepta bei Sidon.

27Und viele Aussätzige gab es in Israel zur Zeit des Propheten Elischa. Aber keiner von ihnen wurde geheilt, nur der Syrer Naaman.

28Als die Leute in der Synagoge das hörten, gerieten sie alle in Wut.

29Sie sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus; sie brachten ihn an den Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt erbaut war, und wollten ihn hinabstürzen.

30Er aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.

Überblick

Die Stimmung in Nazareth kippt als Jesus den Anwesenden deutlich macht, dass er nicht ihren Erwartungen folgt, sondern seiner Sendung.

 

1. Verortung im Evangelium
Der Abschnitt ist der zweite Teil des ersten öffentlichen Auftretens Jesu. Nach der Taufe und ersten Taten in Galiläa ist er nun in seiner Heimatstadt Nazareth in der Synagoge und legt die Schrift aus. Es ist sein letzter Aufenthalt dort. Mit dem Weggang aus Nazareth beginnt der Weg Jesu durch Galiläa. Als nächstes geht er nach Kafarnaum (Lukasevangelium (Lk) 4,31-41) und von dort zum See Gennesaret, wo er die ersten Jünger beruft (Lk 5,1-11).

 

2. Aufbau
Vers 21 ist eine Überleitung zwischen den beiden Teilen der Geschichte in der Synagoge in Nazareth. Für das Verständnis der kommenden Ereignisse ist es wichtig, dass Jesus das zuvor gelesene Wort des Jesaja (Lk 4,18-19) auf sich und die jetzige Zeit bezieht. Der Hauptteil (Verse 22-29) zeigen die Auseinandersetzung Jesu mit den Anwesenden. Der abschließende Vers 30 markiert den Übergang vom Leben in der Heimatstadt hin zum Dasein unterwegs.

 

3. Erklärung einzelner Verse

Vers 21: Jesus bezieht das Gelesene und Gehörte auf sich. Er trägt nicht etwas Fremdes, Zukünftiges vor, sondern er gibt Auskunft über sich und seinen Auftrag, seine Sendung. Mit ihm beginnt die in Jesaja angekündigte Heilszeit.

 

Vers 22: Die Zuhörer staunen über das Gehörte. Allerdings ist mit „Worte der Gnade“ nicht der Inhalt der Worte Jesu gemeint, also dass sie von der Gnade Gottes berichten, sondern die Art und Weise seines Vortrags gemeint. „Worte der Gnade“ bedeutet hier „Gefälligkeit, Charme“, der Evangelist Lukas greift auf eine Formulierung aus der antiken Literatur zurück. Das heißt: Die Zuhörer haben nicht auf den Inhalt, sondern die Form der Worte Jesu geachtet. Entsprechend sind sie überrascht, so einen Vortrag aus dem Mund eines Mannes zu hören, der unter ihnen aufgewachsen ist. Ganz ähnlich wundern sich auch die Zeugen des Pfingstereignisses über die plötzliche Begabung der Jünger mit fremden Sprachen (Apostelgeschichte 2,7).

 

Verse 23-24: Die Worte Jesu sind eigentlich keine direkte Reaktion auf die Verwunderung der Zuhörer, vielmehr weisen sie bereits in die Zukunft, denn sie reagieren auf das, was erst noch geschehen wird: die Ablehnung Jesu in seiner Heimatstadt. Jesus legt seinen Zuhörern also eigentlich Worte des Zweifels in den Mund und nimmt damit vorweg, was wenige Momente später geschehen wird.

 

Verse 23-27: Jesus nennt vier Beispiele, in denen es um das Gegenüber von „Nähe“ und „Ferne“ geht. Immer zeigt sich eine Wirksamkeit, ein Wunder in der „Ferne“ und nicht dort, wo es naheliegt. Beim Arzt, der sich selbst nicht heilen kann, scheint es allgemein anerkannt zu sein. Auch beim Beispiel vom Propheten, der in seiner Heimat keine Anerkennung findet, will Jesus an Erzählungen anknüpfen, die seinen Zuhörern bekannt sind. Zugleich aber weist er auch hier auf das vorweg, was wenig später ihm selbst widerfahren wird. So ist das Wort vom Propheten ein zweifaches Verbindungsstück zum Nachfolgenden: Es leitet die beiden Beispiele aus dem Alten Testament ein und deutet die künftigen Ereignisse um Jesus selbst an.
Die beiden Beispiele aus dem Alten Testament setzt Jesus bei seinen Hörern voraus: Elija, der während einer Dürrezeit in Israel eine Witwe im heidnischen Sarepta auf wundersame Weise mit Mehr und Öl versorgt (1. Buch der Könige 17,7-24). Und Elischa, der einen syrischen (und damit auch heidnischen) Mann von seinem Aussatz befreit (2. Buch der Könige 5,1-14). In beiden Geschichten werden israelitische Propheten nicht an Israeliten tätig, sondern an Heiden. Sie widmen sich also nicht den Nahen, sondern den Fernen. So wie der Evangelist Lukas die Beispiele einspielt, wird der Vergleich zwischen den „vielen“ Hungrigen und Aussätzigen in Israel und den Einzelpersonen, an denen die Wunder vollbracht werden, besonders betont.

 

Vers 28-29: Der entstehende Unmut der Zuhörer wird von Lukas drastisch beschrieben: Sie geraten in Wut, springen auf und treiben Jesus zur Stadt hinaus, auf einen Abhang, um ihn zu steinigen. Die Aneinanderreihung von Verben bringt Dynamik in die Szene und die Schilderung gleicht den Ereignissen in Apostelgeschichte 7,57-58 vor der Steinigung des Stephanus.

 

Vers 30: Das Bild des durch die Menge schreitenden und damit der Situation würdevoll entgehenden Jesus, wählt Lukas als Zeichen der besonderen Vollmacht und Sendung Jesu. Ganz ähnlich wird der Ausweg des Paulus aus einer solch lebensbedrohlichen Situation in Lystra geschildert (Apostelgeschichte 14,19-20).

Auslegung

Die erste Reaktion auf die Worte Jesu sind positiv – auch wenn sie nicht dem Gesagten, sondern nur der Form des Dargebotenen gelten. Doch als sich das Augenmerk der Zuhörer wieder der Botschaft zuwendet, müssen sie erkennen, dass sie den Spiegel vorgehalten bekommen. Sie haben eine bestimmte Erwartung an das, was und wer Gott ist und wie er sich zeigt. Als mehr oder weniger fromme Juden, die in die Synagoge gehen und die Schrift kennen, glauben sie, etwas von Gott verstanden zu haben. Und vielleicht fühlen sie sich sogar ihrer Erwählung sicher, weil sie sich eben mit der Schrift auseinandersetzen und ihren Glauben in je eigener Weise leben. Die alttestamentlichen Beispiele, die Jesus ihnen in Erinnerung ruft, rütteln sie auf. Sie erinnern daran, dass Gott sich nicht nur den Nahen, seinem erwählten Volk zuwendet, sondern auch den Fernen, denen, die (bisher) nicht an ihn glauben.
Ebenso ist die Sendung Jesu nicht einfach nur gefällig, kalkulierbar nach menschlichen Maßstäben. Vielmehr ist sie überraschend, aufrüttelnd, sprengt Grenzen. Der Auftrag Jesu folgt der Barmherzigkeit Gottes, er orientiert sich an der Liebe Gottes und die macht keinen Unterschied zwischen den Fernen und den Nahen. Aber sie lässt sich eben nicht einplanen und einkalkulieren, sie ist nicht erwartbar, sondern geschenkt. In dem Moment, in dem die Zuhörer in der Synagoge in Nazareth realisieren, dass Jesus, der eben noch so gefällig sprach, nicht einfach ihre Erwartungen erfüllen wird, kippt ihre Bewunderung in Wut und Aggression.

Kunst etc.

Almog [Public domain], from Wikimedia Commons
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