„Man kann’s ja mal versuchen!“ – dachte sich der Teufel.
1. Verortung im Evangelium
Der Ortswechsel im einleitenden Vers 1a schließt an die Taufszene im Lukasevangelium (Lk) 3,21-22 an. Dort befindet sich Jesus zu seiner Taufe ebenfalls am Jordan, von da aus zieht er sich in Lk 4,1 in die Wüste. Für den Leser scheint es also so, als hätte sich Jesus eine Weile in der Nähe des Jordan aufgehalten. Die Abstimmungsliste in Lk 3,23-36 unterbricht zwar die direkte Erzählreihenfolge von Jesu ersten öffentlichen Präsentationen als Gottessohn, sie führt aber nicht zu einem Bruch in der Chronologie dieser Ereignisse.
Nach der Versuchung Jesu in der Wüste schließt sich ab Lk 4,14 das öffentliche Wirken Jesu von der Heimatstadt Nazareth in ganz Galiläa an.
2. Aufbau
Die Verse 1-2a und 13 bilden einen Rahmen um die drei konkreten Versuchungen. Verse 2b-4: Stillung des Hungers, Verse 5-8: Herrschaft über die ganze Erde, Verse 9-12: Erprobung Gottes. Jede Versuchung besteht aus einer kurzen Einführung, einer Rede des Teufels und einem Schriftzitat Jesu als Antwort.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1a: Die Bemerkung vom Ortswechsel Jesu (Jordan à Wüste) schließt die Geschichte von der Versuchung Jesu nahtlos an den Erzählzusammenhang in Lk 3,22 an. Das „Erfülltsein vom Heiligen Geist" benutzt der Evangelist Lukas in seinem Evangelium und der Apostelgeschichte immer wieder, wenn es darum geht, deutlich zu machen, das Gottes Wirken im Hintergrund des Erzählten steht (vgl. Apostelgeschichte 11,24).
Vers 1b-2a: 40 Tage lang hält sich Jesus in der Wüste auf und weiß sich dabei stets vom Heiligen Geist geleitet. Die 40 Tage des Wüstenaufenthalts wollen vor allem eine Parallele schaffen zu den 40 Jahren, die das Volk Israel zwischen der Flucht aus Ägypten und dem Einzug ins gelobte Land in der Wüste verbrachte. Doch auch an anderen Stellen des Alten Testaments sind 40 Tage ein symbolischer Wert: So verbringt Mose 40 Tage und Nächte auf dem Sinai und der Prophet Elias benötigt diese Zeit, um zum Gottesberg Horeb zu ziehen.
Die Art und Weise, in der der Evangelist Lukas von der Zeit in der Wüste und dem Versuchen durch den Teufel berichtet, erweckt den Eindruck, dass der Teufel Jesus über die gesamte Dauer des Aufenthalts auf die Probe stellt. Die anschließend ausführlich dargestellten drei Prüfungen sind dann nur Beispiele für das, was sich in der Wüstenzeit insgesamt ereignet (vgl. Vers 13).
Verse 2b-4: Die erste Prüfung ergibt sich unmittelbar aus der Situation des Wüstenaufenthaltes. Denn der Mangel an Nahrung macht die erste Versuchung des Teufels glaubhaft.
Die Übersetzung des ersten Satzes des Teufels führt ein wenig in die Irre. Die Formulierung „wenn" ist nicht konditional, d.h. nicht als Bedingung zu verstehen. Richtiger übersetzt würde es heißen: „da du ja Sohn Gottes bist…". So wird deutlich, dass der Teufel die Gottessohnschaft Jesu nie anzweifelt. Die Erprobungen des Teufels versuchen vielmehr Jesus dazu zu bewegen, anders zu handeln als es seiner Identität entspricht. Also anders zu handeln als es der Sohn Gottes tun würde, der aus dem unmittelbaren Vertrauen auf Gott lebt und der sich seiner Erwählung durch Gott bewusst ist. Diesem Erwähltsein durch Gott, wie es in der Erzählung von der Taufe Jesu zu Ausdruck kam (Lk 3,21-22), zu widersprechen, käme dem Aufgeben der eigenen Identität gleich.
Der Aufforderung, den Stein in Brot zu verwandeln und so dem eigenen Hunger ein Ende zu bereiten, hält Jesus ein Schriftwort entgegen. Mit Deuteronomium 8,3 („Er wollte dich erkennen lassen, dass der Mensch nicht nur von Brot lebt, sondern dass der Mensch von allem lebt, was der Mund des HERRN spricht. macht er deutlich, dass Brot nicht das ist, was den Menschen am Leben hält.“).
Verse 5 bis 8: Jesus wird eine Übersicht über die Erde geboten, die eigentlich von keinem irdischen Punkt aus denkbar ist. Es ist also an eine Form der Entrückung zu denken. Der Teufel bietet ihm angesichts aller Königreiche der Welt die ultimative politische Herrschaft an. Doch ist diese Herrschaft an die Bedingung gebunden, den Teufel anzubeten und vor ihm nieder zu fallen. Würde Jesus diesem Wunsch entsprechen, würde er die Einzigkeit Gottes infrage stellen. Entsprechend antwortet Jesus wieder mit einem Zitat aus dem Buch Deuteronomium (Dtn 6,13: „Den HERRN, deinen Gott, sollst du fürchten; ihm sollst du dienen, bei seinem Namen sollst du schwören.“ und Dtn 10,20: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, fürchten. Ihm sollst du dienen, an ihm sollst du dich festhalten, bei seinem Namen sollst du schwören.“).
Verse 9-12: Bei der dritten Prüfung wird Jesus an irgendeinen Punkt hoch oben auf der Tempelanlage des Jerusalemer Tempels geführt. Von dort herunter zu stürzen, würde den Tod oder zumindest schwere Verletzungen nach sich ziehen. Der Teufel fordert Jesus auf, mutwillig von dort in die Tiefe zu stürzen und auf Gott als Beschützer zu vertrauen, ja sein Eingreifen zu provozieren.
Theologisch ist dies der Höhepunkt der Prüfungen: Jesus wird aufgefordert, Gott und sein Wirken auf die Probe zu stellen. Entsprechend benutzt Jesus in seiner Antwort ein Schriftzitat, das einem ähnlichen Kontext entspringt. Deuteronomium 6,16 greift zurück auf das Volk Israel, dass sich in der Wüste befindet: Es fordert Gott auf sich zu beweisen, indem er seinem Volk in der Wüste Wasser zur Verfügung stellt. („Du sollst den HERRN, deinen Gott, fürchten. Ihm sollst du dienen, an ihm sollst du dich festhalten, bei seinem Namen sollst du schwören.“)
Vers 13: Dieser Vers schließt die Erzählung ab und fasst die Ereignisse in der Wüste zusammen. Jesus ist gegenüber „diesen Versuchungen“ (wörtlich: allen oder all jenen Versuchungen) immun. Er wird seiner Erwählung durch Gott und damit seiner Identität als Gottessohn gerecht, indem er wie der Sohn Gottes handelt
Für eine gewisse Zeit spielt der Teufel nun keine Rolle mehr.