Selbst das Abschiednehmen Jesu führt bei seinen Freunden zu Begeisterung.
1. Verortung im Evangelium
Die Verse 46-53 bilden nicht nur das Ende des 24. Kapitel, sondern des gesamten Lukasevangeliums. Mit ihnen schließt der Evangelist Lukas den ersten Band seiner Verkündigungsgeschichte ab. Im Evangelium schildert er das Leben Jesu, von der Ankündigung seiner Geburt bis hin zu seinem Tod, der Auferstehung und der Aufnahme in den Himmel. Im zweiten Band, der Apostelgeschichte, setzen die Jünger Jesu die Verkündigung des Reiches Gottes fort.
Die Erzählung von der Himmelfahrt Jesu ist das Bindeglied zwischen beiden Bänden und wird von Lukas doppelt erzählt. In der Apostelgeschichte (s. 1. Lesung) markiert sie den Auftakt der Geschichte der jungen Gemeinde. Im Lukasevangelium (Lk) schließt sie den Ostertag und die Erscheinungen des Auferstandenen ab.
2. Aufbau
Die Verse 46-49 geben die letzten Worte Jesu an seine Jünger im Lukasevangelium wieder. In den Versen 50-51 wird das Entrücktwerden Jesu dargestellt. Den Abschluss bildet die Reaktion der Jünger auf diese Ereignisse in den Versen 51-52.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 46-47a: In einer Art Kurzzusammenfassung nimmt Jesus Bezug auf die Heilige Schrift und ihre prophetische Verheißung. „Es steht geschrieben“ bezieht sich zurück auf die Verse 44-45, in denen er auch schon auf die Schrift verwiesen hatte („Alles muss in Erfüllung gehen, was im Gesetz des Mose, bei den Propheten und in den Psalmen über mich geschrieben steht.“ Lk 24,44-45). Hier ruft Jesus explizit die jüngsten Ereignisse (Leiden und Auferstehung) in Erinnerung, denn sie sind den Jüngern noch unmittelbar in Erinnerung. Von diesen Ereignissen ausgehend kann „in seinem Namen“ nun die Verkündigung an die Völker begonnen werden.
Die Verbindung von Umkehr und Vergebung der Sünden war im Lukasevangelium bereits in der Predigt Johannes des Täufers gleich zu Beginn thematisiert worden (Lk 1,77) und sie wird sich auch in der Apostelgeschichte als Thema der Verkündigung durch die Apostel fortsetzen, z.B. in der Predigt des Paulus auf dem Areopag in Athen (Apostelgeschichte 17,30). Auf diese Weise ist die Aufforderung zur Umkehr zum einen ein Appell an Israel durch Johannes den Täufer und zugleich ein Appell an „die Völker“ in der Verkündigung des Paulus.
Verse 47b-49: Die Art und Weise der Verkündigung wird nun genauer beschrieben: Sie geschieht von Jerusalem ausgehend für alle Völker (vgl. Apostelgeschichte 1,8 „Grenzen der Erde“). Die Jünger sind Zeugen (martys, griechisch: μάρτυς) und damit Träger der Botschaft. Erstmalig wird hier der Begriff des „Zeugen“ im Lukasevangelium gebraucht und dann in der Apostelgeschichte vielfach entfaltet. Allerdings wird der Begriff nur auf die Apostel und Paulus bzw. Stephanus angewendet. Denn „Zeuge“ ist nur, wer den Auferstandenen gesehen hat und durch Jesus Christus erwählt wurde. Da die Erwählung auch durch den Auferstandenen stattgefunden haben kann, können auch Paulus und Stephanus zu den Zeugen gerechnet werden. Sie haben beide den Auferstandenen in einer Vision geschaut und damit Erwählung erfahren.
Die Ankündigung der Gabe des Heiligen Geistes als „Kraft aus der Höhe“ korrespondiert mit Apostelgeschichte (Apg) 1,8. Zugleich knüpft Lukas an die Verheißung des Geistes als Zeichen der anbrechenden Endzeit in Joel 3,1-2 an.
Verse 50-51: Die Entrückung Jesu wird mit einem Ortswechsel eingeleitet. Jesus führt die Jünger hinaus nach Betanien. Aufgrund der Beschreibung in Lk 19,29 („Er [Jesus] kam in die Nähe von Betfage und Betanien, an den Berg, der Ölberg heißt, da schickte er zwei seiner Jünger aus…“) wird deutlich, dass Lukas Betanien zum Ölberg zählt. So lässt sich die Ortsdifferenz zwischen den Orten der Himmelfahrt im Evangelium (Betanien) und der Apostelgeschichte (Ölberg) ausräumen. Das Erheben der Hände ist Teil des Segnens, so segnet z.B. auch im Alten Testament Laban seine Kinder bevor er von ihnen Abschied nimmt (Gen 32,1). Lukas nimmt diese Abschiedsszene bewusst auf und lässt Jesus mitten im Segen entschwinden. War Jesus früher am Ostertag (Lk 24,31) plötzlich vor den Augen seiner Jünger verschwunden, so fährt er nun quasi in Zeitlupe in den Himmel auf. Lukas bringt das mit einer besonderen Verbform des Griechischen zum Ausdruck und dem Benennen von Ausgangs- und Endpunkt der Entrückung. Jesus wird aus der Mitte seiner Jünger in den Himmel emporgehoben.
Verse 52-53: Die Reaktion der Jünger nimmt ein antikes Motiv in Entrückungsgeschichten auf: das Niederfallen als Zeichen der Verehrung. Lukas gebraucht dazu das Wort Proskynese (προσκύνησις, deutsch: Kuss auf etwas), das in der griechischen Welt die Verehrung von Göttern, in der orientalischen Kultur aber auch die Verehrung von höherrangigen Menschen und vor allem Königen durch Niederfallen und Ehrenkuss bezeichnet. Lukas benutzt diese Vokabel nur im Hinblick auf den Auferstandenen und in den Himmel aufgefahrenen Christus.
Die Tatsache, dass die Jünger nach Jerusalem zurückkehren, entspricht den Worten Jesu an seine Jünger (Verse 47 und 49). Zugleich wird damit ein Bogen zum Beginn des Evangeliums geschlagen, das im Jerusalemer Tempel anfängt. Intensiviert wird die Bezugnahme auf den Anfang des Evangeliums auch durch die genaue Ortsbeschreibung des Tempels und die Formulierung „priesen Gott“. Nur von Zacharias (Lk 1,73) und Simeon (2,28) hatte Lukas in den ersten Szenen der Jesusgeschichte berichtet, dass sie Gott priesen. Auch die einzig andere Verwendung der Formulierung „große Freude“ in der Geburtsverkündigung des Engels in Lk 2,10 könnte einen bewussten Bogen zum Ende und der Freude der Jünger schlagen.