Um die Auferstehung wahrhaftig erkennen und verstehen zu können, braucht es österliche Augen.
1. Verortung im Evangelium
Die Emmausgeschichte ist die zweiter Ostererzählung des Lukasevangeliums (Lk). Zunächst waren die Frauen dann Petrus am leeren Grab gewesen (Lk 24,1-12). Zwar hatten die Frauen von zwei Männern einen Hinweis auf das richtige Verständnis der Ereignisse bekommen und Petrus die Leinenbinden im Grab gesehen, doch von Auferstehung hatte bislang keiner von ihnen gesprochen.
2. Aufbau
Das Unterwegssein von zwei Jüngern von Jerusalem nach Emmaus und zurück ist der erzählerische Rahmen um diese Erzählung (Verse 13-14 und 33-35). Durch die neuen Hauptfiguren und den Ortswechsel hebt sie sich deutlich von der vorangegangenen Grabeserzählung ab. Den Schwerpunkt der Geschichte bildet die Begegnung der Jünger mit Jesu (Verse 15-32). Dieser Hauptteil ist wiederrum gerahmt durch das Auftauchen und Entschwinden Jesu (Verse 15-16 und 31-32) und vor allem das Motiv der „gehaltenen bzw. geöffneten Augen“. In den Versen 17-24 berichten die Jünger zusammenfassend von den Ereignissen rund um Jesu, bevor in den Versen 25-27 Jesus selbst deutend das Wort ergreift. Das Gespräch leitet hin nach Emmaus, wo in der Mahlgemeinschaft das Erkennen und Augenöffnen geschieht (Verse 28-30).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 13-14: Die Erzählung setzt mit einem Orts- und Personenwechsel ein. Die Verbindung zur vorangegangenen Episode wird durch die zeitliche Angabe „am gleichen Tag“ und durch die Darstellung der Ereignisse des Ostermorgens in den Versen 22-24 gewährleistet.
Die Lokalisierung des Dorfes Emmaus ist schwierig. In der passenden Entfernung zu Jerusalem ist kein Ort mit diesem Namen bekannt. Möglicherweise sind die 60 Stadien (11km) eine „Standarddistanz“, die einfach für eine zweistündige Wegstrecke steht.
Die Formulierung „all das, was sich ereignet hat“ nimmt Bezug auf die Ereignisse in Jerusalem vom Einzug bis hin zum Auffinden des leeren Grabes. Aber auch die Kenntnis des Wirkens Jesu davor wird miteinbezogen und vorausgesetzt.
Verse 15-16: Der Grund für das Nicht-Erkennen Jesu liegt nicht in der Form der Erscheinung Jesu, sondern in den Jüngern selbst. Ihnen fehlt die Fähigkeit richtig zu sehen. Sie muss ihnen am Ende neu geschenkt werden. Jesus geht eigentlich nicht unerkennbar mit ihnen, sie sind nur durch ihre Augen daran gehindert, ihn zu erkennen. Die Augen werden festgehalten von dem Vergangenen.
Verse 17-24: Jesus eröffnet das Gespräch und so können die Jünger ihre Traurigkeit in Worte bringen. Erst jetzt wird einer der Jünger namentlich identifiziert (Kleopas). Mit der rhetorischen Frage „Weißt du denn nicht?“ verweisen sie drauf, dass die Ereignisse in Jerusalem von solch außergewöhnlicher Bedeutung waren, dass eigentlich jeder davon Kunde bekommen haben muss. Nur ein „Fremdsein“ Jesu wäre als Erklärung für seine Unkenntnis denkbar. Der Evangelist Lukas arbeitet hier mit einer feinen Ironie. Ausgerechnet Jesus, dem Hauptdarsteller der Ereignisse wird vorgehalten unbeteiligt und fremd zu sein und keine Ahnung zu haben. Die späteren Deutungen Jesu werden das Gegenteil beweisen. Die Jünger, die eigentlich Zeuge der Geschehnisse waren, stehen ihnen fremd gegenüber und verstehen den Sinn dahinter nicht.
Die Jünger liefern nun eine Kurzdarstellung der Ereignisse. Ihre Darstellung hebt zwei Dinge heraus: Ihre Hoffnungen auf eine Erlösung Israels scheinen gescheitert. Und das Wirken Jesu erscheint nun wie das eines großen Propheten – nicht mehr und nicht weniger. Lukas macht hier noch einmal sehr deutlich, dass ohne die Begegnung mit dem Auferstandenen die Ereignisse bis jetzt für die Jünger nicht verstehbar sind. Das leere Grab gibt für sie nicht Grund zu der Annahme, dass sich wundersames ereignet hat. Ihre Hoffnungen, die sich auf das irdische Wirken Jesu konzentriert haben, sind klar enttäuscht und eine andere Deutung gibt es für sie nicht. Lukas konfrontiert die Hoffnungen der Jünger mit dem Tod Jesu am Kreuz. Beides geht für die Jünger nicht zusammen.
Verse 25-27: Die Gesprächseröffnung Jesu ist typisch für eine „Scheltrede“ und damit wirft er ihnen sofort ihre Fehleinschätzung seines Todes und ein Nichtverstehen der Schrift vor. Indem er sie auf die Worte der Propheten zurückverweist, möchte er ihre Hoffnungen mit seinem Geschick in Verbindung setzen. Er möchte ihnen deutlich machen, dass die Schrift eine Hoffnung bereithält, die über das irdische Wirken hinausgeht, auf das sie sich fälschlicherweise ganz konzentrieren. Der Evangelist Lukas gibt hier zu verstehen: Wer die Verheißung der Propheten richtig liest und versteht, der bemerkt, dass es auch da nicht nur um eine irdische Hoffnung auf Gerechtigkeit und Erlösung geht. In diesem Sinne ist die Schrift, hier zusammengefasst mit „Mose und den Propheten“ als Ausblick auf eine kommende Wirklichkeit zu lesen.
Wenn der Evangelist Lukas schreibt, dass Jesus darlegt, was ihn der Schrift „über ihn“ geschrieben steht, ist dies ein Hinweis, der nur für die Leser zu verstehen ist. Die Jünger auf dem Weg bekommen die Schrift neu ausgelegt, dass sie auf Jesus hin ausgelegt wird, begreifen sie erst später.
Verse 28-30: Am Ziel angelangt täuscht Jesus vor, dass er weiterziehen will. Doch es braucht für die Dramaturgie der Erzählung noch die Auflösung, ob die Jünger doch noch erkennen, mit wem sie unterwegs waren. Also setzt sich die Weggemeinschaft in der Mahlgemeinschaft fort.
Jesus übernimmt dabei die Rolle des Hausvaters, also desjenigen, der dem Mahl den Rahmen gibt. Es ist an ein normales gemeinschaftliches Mahl zu denken, nicht an eine Wiederholung des letzten Abendmahls mit deutenden Worten Jesu.
Verse 31-32: Aus Vers 35 wird deutlich, dass Brotbrechen und Erkennen zusammengehören. Im Moment des Brotbrechens erkennen sie nicht nur die Gegenwart des Auferstandenen, sondern auch die Bedeutung seiner Worte. Das gemeinsame Brotbrechen wird so für die Gemeinschaft der Jünger zum vergegenwärtigenden Ereignis der Auferstehung Jesu und zum wichtigen Moment ihres Zusammenseins (vgl. Apostelgeschichte 2,43-47). Der alte Zustand ihrer Augen „sind gehalten“ (Vers 16) wird gegen einen neuen ausgetauscht, sie sind „geöffnet“. Das „Brennen des Herzens“ ist eine Umschreibung für einen Zustand innerer Erregung.
Das Verschwinden Jesu ist ein Merkmal einer Erscheinungserzählung und macht deutlich, dass Jesus ihnen nicht als bloßer Mensch begegnet. Denn nur aus seiner himmlischen Existenz, nicht aus seiner irdischen ist ein „Verschwinden“ vor ihren Augen erklärbar. Es handelt sich also wirklich um eine Begegnung mit dem Auferstanden nicht um eine wiederholte Begegnung mit Jesus, wie die Jünger ihn vorher kannten und wahrnahmen.
Verse 33-35: Die Erlebnisse drängen die Jünger zu raschem Handeln. Nun können sie den anderen berichten, wie das Auffinden des leeren Grabes zu verstehen ist. Doch bevor die Emmausjünger von ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen berichten können, wird ihnen die Erscheinung vor Petrus erzählt. Der Evangelist Lukas bringt hier seine Erzählung des Ostermorgens bis hierhin zusammen mit der Tradition, nach der Petrus der erste Zeuge der Auferstehung ist. Die Erscheinung vor Petrus wird im Lukasevangelium nicht ausführlich berichtet.