„Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?" – “Statt euch zu erinnern, was er euch zu Lebzeiten gesagt hat!“ Spricht aus den Worten des Engels himmlisches Unverständnis oder Wunsch, die Frauen zum Nachdenken zu bringen?
1. Verortung im Evangelium
Die Ostererzählungen des Lukasevangeliums (Lk) finden in Kapitel 24 alle an einem einzigen Tag statt. Dabei schließen die Ereignisse am „ersten Tag der Woche“ nahtlos an die Kunde vom Begräbnis Jesu in Lk 23,50-56 an. Die Frauen, die in Lk 23,55 die Grablegung Jesu beobachten, sind nun die die Hauptfiguren der ersten Erscheinungserzählung. So kommen Tod und Auferstehung einander nahe und die Kontinuität des einen zum anderen wird bewusst hergestellt.
2. Aufbau
Die Erzählung von den Frauen und Petrus am leeren Grab lässt sich in drei Teilszenen aufteilen: Zunächst geht es um die Frauen am Grab (Verse 1-8), danach um ihren Bericht an die Jünger (Verse 9-11) und schließend wird der Gang des Petrus zum Grab berichtet.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-8: Der Neueinsatz der Erzählung am ersten Tag der Woche war geschickt vorbereitet worden. In Lk 23,56 schließt die Szene der Grablegung mit einem Hinweis auf die eingehaltene Sabbatruhe. Einen Tag lang ist also „nichts geschehen“, bevor sich die Frauen mit den „wohlriechenden Salben“ (Lk 23,56 und 24,1) zum Grab aufmachen.
Grabanlagen, die waagerecht in einen Felsen hineingerieben wurden, waren meist mit einer Felsscheibe verschlossen, die sich wegrollen ließ. Nur im Lukasevangelium wird explizit gesagt, dass die Frauen den Leichnam „nicht finden“. Das „Nicht-Finden“ des Leichnams kann ein Zeichen für die Entrückung eines Menschen zu Gott sein, den Lesern kann dieses Motiv zum Beispiel aus der Geschichte des Propheten Elia bekannt sein (2. Buch der Könige 2,17, s. Kontext).
In den Versen 4-8 werden typische Elemente einer Erscheinungserzählung aufgegriffen: Erscheinen der Männer, Erschrecken der Frauen, Botschaft der Erscheinenden.
Die beiden Männer, die plötzlich am Grab auftauchen, werden zunächst durch ihr Äußeres beschrieben. Die leuchtenden Gewänder sind für den geübten Zuhörer ein Hinweis auf die himmlische Herkunft der beiden. Explizit wird aber erst in der Erzählung der Emmausjünger über das Auffinden des leeren Grabes von „Engeln“ gesprochen (Lk 24,23).
Das typische Erschrecken der Frauen angesichts einer himmlischen Erscheinung ist hier verbunden mit einer Demutsgeste: Die Frauen blicken zu Boden.
Eine rhetorische „Warum-Frage“ findet sich an an anderen Stellen zu Beginn der Rede des Erscheinenden. Sie bringt einen Tadel gegenüber dem Angeredeten zum Ausdruck. Hier tadelt der Engel das Verhalten der Frauen: Sie suchen Jesus im Grab. Warum dies ein falsches Verhalten ist, wird sofort erläutert. Jesus ist nicht bei den Toten, er ist bei den Lebenden. Denn so wie er es zu Lebzeiten gesagt hat, wird er auferweckt werden, d.h. leben. Die Ausführungen der Engel rufen dabei die Leidensankündigung in Lk 9,22 ins Gedächtnis. Die Rückerinnerung der Frauen an die Ankündigung Jesu bleibt vollkommen unkommentiert und bildet zugleich den Abschluss der Erscheinungserzählung.
Verse 9-11: Die Frauen kehren vom Grab zurück, dabei verzichtet Lukas auf einen Bericht über ihren Gemütszustand. Der Evangelist Matthäus erzählt, dass die Frauen mit Furcht und großer Freude rennen, im Markusevangelium ist von Furcht und Zittern der Frauen die Rede.
Erst hier werden drei der Frauen namentlich genannt, die übrigen bleiben namenlos. Die Leser des Evangeliums werden hier sicher an die Frauen, die Jesus begleiteten und unterstützen denken (Lk 8,1-3), zumal auch dort Maria von Magdala und eine Johanna erwähnt werden.
Die Frauen berichten den elf Aposteln (Judas gehört ja nicht mehr zu ihnen) und „den übrigen“. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass weitere Jünger Jesu sich bei den Aposteln aufhielten. Ebenso wie die „übrigen Frauen“ werden sie Jesus auf seinem Weg begleitet haben.
Die Reaktion der Apostel und Jünger ist drastisch: Sie halten den Bericht der Frauen für „Geschwätz“. Damit will der Evangelist nicht die grundsätzliche Glaubwürdigkeit der Frauen in Frage stellen. Dies ist vielmehr wie viele andere kleine Bausteine der Erzählung ein Hinweis darauf, dass das leere Grab alleine die Auferstehung Jesu für seine Jünger nicht glaubwürdig machte.
Vers 12: Die Reaktion des Petrus unterscheidet sich von derjenigen der anderen. Er geht selbst schauen, um sich ein Bild von dem zu machen, was die Frauen erzählt haben. Er geht jedoch offenbar nicht ins Grab hinein, sondern sieht von draußen die Leinenbinden liegen. Die Erwähnung der Leinenbinden steht in Verbindung mit der Notiz in Lk 23,53, dass Jesus in einem unbenutzten Grab bestattet wurde. Die Binden, die Petrus findet, müssen also zu Jesus gehören. Und sie sprechen gegen eine Verlegung oder einen Raub des Leichnams, denn dazu hätte man die Leiche sicher mit den Leinenbinden mitgenommen. Entsprechend ist die Reaktion des Petrus bei der Rückkehr vom Grab auch in Worte gefasst: Er ist voll Verwunderung.