Keine Panik, das ist der Anfang vom Ende! Jesus beschönigt nichts, wenn er mit den Jüngern über das Ende der Zeit und den Anfang des Endes spricht.
1. Verortung im Evangelium
Unmittelbar vor der Schilderung der Leidensgeschichte Jesu, die mit der Verabredung zur Auslieferung Jesu beginnt (Lk 22,1-6), finden sich im Lukasevangelium (Lk) einige Episoden, die in und um den Jerusalemer Tempel spielen. Nachdem Jesus sich seit Lk 9,51 stetig auf Jerusalem zubewegt hatte, ist er nun am Ziel angekommen. Im Umfeld des Tempels entstehen nun Szenen, die verschiedenste Themen beinhalten. Immer wieder kehren dabei Fragen nach dem „Ende“. Dabei geht es nicht nur um die Frage nach dem persönlichen Ende und der Hoffnung auf Auferstehung wie im Gespräch mit den Sadduzäern (Lk 20,27-39). Auch die Frage nach dem Ende der Welt oder dem Ende der Zeit wird aufgeworfen. Mit Lk 21,5 beginnt eine Reihe von kleineren Gesprächen, die sich diesem Thema in unterschiedlichen Perspektiven nähern. Im Evangeliumsabschnitt dieses Sonntags wird das Ende des Tempels (Lk 21,5-6) verknüpft mit Worten Jesu über die Zeichen, die das Ende der Zeit einläuten (Lk 21,7-19). Der Abschnitt Lk 21,7-19 leitet den letzten großen Redeabschnitt Jesu im Evangelium ein.
2. Aufbau
Die Verse 5-6 beschäftigen sich mit dem Reichtum und der Ankündigung vom Ende des Tempels. Obwohl dieses Wort Jesu auch für sich stehen kann, leitet es zugleich über zu einer weiteren Frage (Vers 7). Die anschließende Antwort Jesu, die zweimal ansetzt (Vers 8 und 10) und sich eigentlich bis Lk 21,36 fortsetzt, nähert sich dem „Ende“ oder der endzeitlichen Situation in unterschiedlichen Ebenen: Die Verse 7-11 thematisieren die Anzeichen der Endzeit. Die Verse 12-17 nehmen das konkrete Schicksal der Jünger im Vorfeld der Endzeit in den Blick. Die Jünger sind die Adressaten der Worte Jesu, ihnen gilt auch in besonderer Weise der Zuspruch in den Versen 18-19.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 5-6: Die Situation, die zu Jesu Wort über den Tempel führt, wird sehr allgemein beschrieben. Die Fragesteller bleiben im Hintergrund, ihre Frage wird nur indirekt wiedergegeben. Damit wird deutlich, dass die Antwort Jesu im Vordergrund steht. Was Jesus ankündigt, ist auf der Ebene der Erzählung ein angedrohtes Schreckensszenario. Wer mit Jesus gerade im Tempel unterwegs ist – so die Erzählebene – und dann hört, dass kein Stein auf dem anderen bleibt, der ist schockiert.
Die ersten Leser des Lukasevangeliums hingegen können dieses Szenario live sehen oder wissen zu mindestens davon. Denn als Lukas sein Evangelium schreibt (ca. 80-100 n. Chr.), ist der Tempel bereits im Jüdischen Krieg zerstört worden (70 n. Chr.). Für die Leser sind die Worte Jesu also keine schreckliche Ankündigung, sondern erscheinen als prophetisches Vorzeichen.
Vers 7: Wieder wird eine Frage gestellt, die Fragenden werden jedoch nicht klar benannt. Vorstellbar wären Personen aus dem Jüngerkreis oder solche, die der Szene zufällig beiwohnen. Die Anrede „Meister“ eigentlich „Lehrer“ (didaskalos, griechisch: διδάσκαλος) deutet eher auf Letztere und nicht auf die Jünger Jesu hin. Denn die Anrede „Meister“ wird im Lukasevangelium nicht von den Jüngern, sondern ausschließlich von anderen verwendet. Die Verbindung der Frage mit dem vorangegangenen Wort Jesu wird durch die Formulierung „dies“ geleistet. Daher können die Verse 5-6 selbstständig gelesen werden, die Verse 7-19 sind zwar auch eigenständig, der Ausgangspunkt der Frage und ihrer Antwort ist jedoch nur mit den Versen 5-6 verständlich. Auch wenn die Fragesteller nicht aus dem Jüngerkreis stammen, bleiben die Jünger die Hauptadressaten der Rede Jesu.
Verse 8-11: Jesus beginnt mit zwei Mahnungen zum Verhalten. Die Jünger sollen Acht geben, nicht in die Irre zu laufen und sie sollen den falschen Verkündern einer heranbrechenden Endzeit nicht nachlaufen. Zugleich nennt Jesus zwei Anzeichen, die nicht auf das Ende hinweisen. So wird es zum einen „viele“ geben, die sich als Verkünder der Endzeit ausgeben. Zum anderen wird es zu Auseinandersetzungen („Kriegen und Unruhen“) kommen. Die Tatsache, dass hier explizit vor falschen „Heilsgestalten“ gewarnt wird, die glauben machen, sie könnten etwas über die kommende Zeit und das bevorstehende Ende sagen, nimmt ein Phänomen in den Blick, von dem unter anderem die Apostelgeschichte berichtet. Demnach treten immer wieder Menschen auf, die viele Leute in ihren Bann ziehen und dann Unruhen etc. anzetteln (Apostelgeschichte 5,36 und 21,38). Eine ähnliche Situation und Mahnung findet sich auch in Lk 17,22-23.
Mit „Kriegen und Unruhen“ sind weniger außenpolitische Ereignisse oder Versuche der Machtergreifung gemeint. Vielmehr ist an innenpolitische Chaoszustände zu denken, wie etwa soziale Unruhen etc. Die geschulten Leser des Evangeliums, die sich mit apokalyptischer Literatur auskennen, also solchen Schriften, in denen das Ende der Zeit oder der Welt und damit der göttlichen Endzeit thematisiert wird, ist hier sofort klar, dass es sich bei „Kriegen und Unruhen“ um typische Begleitzustände dieser Zeit handelt.
Mit Vers 10 wird der Fokus vergrößert. Es geht nicht mehr nur um das, was die Jünger direkt mitbekommen („hören“) könnten. Vielmehr stehen nun Völker und Reiche im Fokus und Katastrophen eines größeren Ausmaßes wie Erdbeben, Seuchen und Hungersnöte sowie Zeichen am Himmel.
Verse 12-17: Jesus unternimmt mit seiner Rede nun einen gedanklichen Sprung und blickt von den Zeichen der Endzeit auf die Zeit, die dieser Endzeit vorausgeht. Gleichzeitig sind die nun beschriebenen Ereignisse nicht allgemein oder global zu verstehen, sondern sehr konkret auf die zuhörenden Jünger. In zwei Schritten macht Jesus auf die Bedrängnisse aufmerksam, mit denen die Jünger noch vor den endzeitlichen Ereignissen rechnen müssen: Erstens wird man sie vor die religiösen und politischen Machtinstanzen stellen („Synagogen“ und „Könige und Statthalter“, Vers 12). Zweitens wird die Verfolgung nicht nur von Fremden, sondern sogar von der eigenen Familie ausgehen (Vers 16). Die Ankündigung dieser Verfolgungssituationen gipfelt in Vers 17 in der Feststellung „von allen gehasst“ zu werden. Eingeflochten in diese Situationen sind in den Versen 13-15 Worte, die der Ermutigung und Bestärkung dienen sollen. Jesus verweist darauf, dass der Umgang mit den Situationen der Verfolgung ein „Zeugnis“ ist. Zeugnis geben ist hier also nicht als ein Sprechen über, sondern als ein Aufzeigen gedacht. Die Art und Weise, wie die Jünger sich in Bedrängnissen verhalten, ob sie mutlos werden oder an ihrem Glauben festhalten, das wird zum Zeugnis werden (Vers 13). Weiter werden die Jünger ermutigt, sich nicht selbst, um ihre Verteidigung Gedanken zu machen. Vielmehr wird Jesus dafür sorgen, dass sie „Worte und Weisheit“ haben und die Gegner „nicht dagegen ankommen“ (Vers 14-15).
Verse 18-19: Der Ankündigung von Bedrängnissen und Leiden wird eine umfängliche Zusage Jesu entgegengestellt. Denn trotz aller beschriebenen Situationen werden die Jünger gerettet und bewahrt werden, so dass ihnen nicht mal mehr „ein Haar gekrümmt wird“. Die Haare waren bereits in Lk 12,7 schon einmal zu einem vergleichenden Bild genutzt worden. Dort wie hier geht es darum, die Zusage Gottes, für die Seinen zu sorgen, mit einem deutlichen Bild zu schärfen. Denn obwohl der Verlust eines Haares verschmerzbar ist und am Tag natürlicherweise geschieht, wird nicht ein Haar Schaden nehmen. Dies ist angesichts der Schicksale von Jüngern, die Lukas selbst in der Apostelgeschichte beschreibt und die auch seine Leser kennen, nur bildlich zu verstehen. Die Sorge Gottes für die Jünger äußert sich in einer anderen Art von Rettung als die Bewahrung der Haare: Ihnen wird neues Leben geschenkt („Leben gewinnen“).
Der Begriff der Standhaftigkeit findet sich im Neuen Testament weit verbreitet, wenn es darum geht, die glaubende Haltung eines Christen in Situationen der Not zu beschreiben. Standhaftigkeit ist eine Tugend, die sich im Festhalten an Christus ausdrückt, selbst wenn man selbst das Leben dafür verliert (vgl. Römerbrief 5,3-4).