Heute ist euch der Retter geboren! So kurz die Erzählung über die Geburt Jesu ist, so klar und einprägsam sind die Worte, mit denen der Engel den Hirten auf dem Feld und jedem, die Botschaft hört, die Geburt Jesu verkündet.
1. Verortung im Evangelium
Der Beginn des Lukasevangeliums lebt von dem Blickwechsel zwischen der Geschichte Johannes‘ des Täufers und der Geschichte Jesu. So wurde die Geburt beider Kinder unter besonderen Vorzeichen angekündigt: Elisabeth ist schon alt und Maria ist noch nicht mit einem Mann zusammen gewesen. Beiden Kindern wird ein besonderer Auftrag zugesprochen: Johannes ist Prophet des Höchsten, Jesus Sohn des Höchsten. Die Geschichten der beiden Kinder werden in der Begegnung zwischen Maria und Elisabeth miteinander verwoben (Lukasevangelium 1,39-46). Darauf folgt die Erzählung von der Geburt des Johannes und unmittelbar danach die Geburtsgeschichte Jesu.
2. Aufbau
Der Abschnitt des Evangeliums besteht aus 3 Teilen. Die Verse 1-3 schildern den historischen Hintergrund und begründen, warum die Geburt nicht in Nazareth, der Stadt der Verkündigung, sondern in Bethlehem lokalisiert wird. Die Verse 4-7 lenken den Blick erstmals im Lukasevangelium etwas genauer auf Josef (Verse 4-5), bevor in den Versen 6-7 die Geburt selbst berichtet wird. Den größten Raum nimmt in den Versen 8-14 die Verkündigung der Geburt an die Hirten und die Botschaft des Engels von der Geburt des Retters ein.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-3: Die Steuerschätzung unter Statthalter Quirinius 6/7 n.Chr. in Judäa, Samaria und Idumäa wird notwendig, weil Archelaus, Sohn des Herodes, im Jahre 6 n. Chr. durch Augustus abgesetzt wurde. Seine Herrschaftsgebiete wurden der römischen Provinz Syrien zugeschlagen und entsprechend brauchte die römische Verwaltung neue Daten zur Erhebung des fälligen Steuerbeitrags. Eine flächendeckende Erfassung wie sie die Formulierung „den ganzen Erdkreis“ nahelegt, hat es zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht gegeben. Die umfassende Bezeichnung des „ganzen Erdkreises“ nimmt wohl eher in den Blick, dass eine solche Erhebung nur mit einem Erlass des Kaisers möglich war, der grundsätzlich einen weitreichenden Machtbereich hatte. Der Evangelist Lukas nutzt die vorhandenen Informationen zur Steuerschätzung, um die Reise der Eltern Jesu von Nazareth nach Bethlehem zu erklären. Dass dabei nicht alle Fakten stimmig zusammengesetzt werden können, spielt für ihn keine vorrangige Rolle. So übergeht er beispielsweise, dass die Eintragung in Listen im Amtssitz der zuständigen Steuerbehörde, nicht im Herkunftsort der Familie erfolgte und Josef und Maria als Bewohner Galiläas nicht zur betroffenen Bevölkerungsgruppe gehörten. Für den Evangelisten steht im Vordergrund, die unterschiedlichen Überlieferungen von Nazareth als Ort der Verkündigung und des Aufwachsens Jesu mit der Tradition der Geburt in Bethlehem zu verbinden und dennoch einen historischen Rahmen für das folgende Geschehen zu liefern. Die Steuerschätzung (lat. census) als Ausgangspunkt der Erzählung spielt im weiteren Geschehen keine Rolle mehr.
Vers 4.11: Ganz selbstverständlich erwähnt Lukas Bethlehem als „Stadt Davids“ und setzt diese Kenntnis nicht nur beim Leser, sondern auch bei den Hirten („Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren“ Vers 11) voraus. Im Alten Testament wird jedoch nur Zion bzw. Jerusalem „Stadt Davids“ genannt. Bethlehem ist die Stadt, aus der David stammt (1. Buch Samuel 16,1-13) und es ist die Stadt, in der der erhoffte Messiaskönig nach dem Zeugnis des Propheten Micha geboren werden sollte (Micha 5,1).
Vers 5: Die Tatsache, dass Maria wirklich schwanger ist und damit Realität geworden ist, was der Engel zuvor angekündigt hatte (Lukasevangelium (Lk) 1,31), wird erst hier klar formuliert. Wie auch in der Erzählung der Verkündigung bleibt hier jedoch die Frage nach dem Zeitpunkt und der genauen Vorstellung von der „Jungfrau, die ein Kind empfängt“ offen. Fest steht nur: in der Zeit der Steuerschätzung und „in jenen Tagen“ (Vers 1), in denen der Knabe Johannes bereits heranwächst (letzte Zeitangabe in Lk 1,80), ist Maria schwanger und bringt ihr Kind zur Welt.
Verse 8-14: Die Verse sind eine typische Erscheinungsgeschichte (wie auch die Erzählung von der Verkündigung in Lk 1,26-38). Das Erschrecken der Hirten und der Aufruf, sich nicht zu fürchten gehören ebenso dazu wie die Botschaft des Erscheinenden und die Aussicht auf ein Zeichen, das das Erfahrene sichtbar und greifbar macht. Die Erscheinung spielt in einer neuen Szenerie, nun befinden wir uns vor der Stadt bei Hirten, die ihrer ureigenen Beschäftigung nachgehen: Sie halten Wache bei ihren Schafen und schützen diese so vor den Bedrohungen der Nacht. Inmitten dieser ganz und gar alltäglichen Situation erscheint ein Engel und später ein ganzes himmlisches Heer und künden von der Ankunft des Retters, des Herrn, auf den ganz Israel wartet. So erfahren die Hirten stellvertretend für das ganze Volk Israel, dass sich die Verheißung erfüllt und Gott kommt, um sein Volk zu erlösen.