Mittendrin oder nur „dabei“. Den vielen „Mitläufern“ auf seinem Weg stellt Jesus vor Augen, was es bedeutet wirklich einer seiner Jünger zu sein.
1. Verortung im Evangelium
Nachdem die vorangehenden Erzählungen im Lukasevangelium (Lk) im Hause eines angesehenen Pharisäers spielten, beginnt mit Lk 14,25 eine neue Szene. Diese wird örtlich nicht klar zugeordnet, durch die Bemerkung „viele Menschen begleiteten ihn“ sollte man sie sich jedoch als Wegszene vorstellen. Jesus ist mit seinen Jüngern und einer großen Menschenmenge (vgl. Lk 12,1) unterwegs durch Dörfer und Städte mit dem Fernziel Jerusalem (Lk 9,51). Waren in Lk 14,1-24 der Pharisäer und seine Gäste Zeugen der Worte Jesu, sind es ab Lk 14,25 die vielen Menschen, die mit ihm ziehen. Orts- und Personenwechsel markieren so die neue Szene, die auch ein neues Thema mit sich bringt. Zuvor ging es um die Frage nach dem Sabbat bzw. die Rolle des Gastes bzw. Gastgebers, nun thematisiert Jesus die Bedingungen für eine wirkliche Nachfolge.
2. Aufbau
Dreimal wird auf die Bedingung für den Eintritt in die Jüngerschaft hingewiesen (Verse 26.2.33). Die Formulierung „kann nicht mein Jünger sein“ hält den Abschnitt thematisch zusammen. Zwischen die zweite und dritte Bedingung sind zwei kurze Gleichnisse gesetzt (Verse 28-30.31-32). Wegen ihrer ihrer unmittelbaren Zusammengehörigkeit und ihres identischen Aufbaus bezeichnet man sie auch als „Doppelgleichnis“. Anhand zweier Vorhaben (Turmbau und Kriegseintritt) veranschaulicht Jesus seine formulierten Bedingungen zum Eintritt in seine Jüngerschaft.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 25: Mehrfach – zuletzt in Lk 12,1 – hatte der Evangelist Lukas auf die Größe der Volksmenge hingewiesen, die Jesus begleitet. Sie wird hier jedoch nicht nur erwähnt, um den Wechsel zwischen dem Haus des Pharisäers und der Erzählung auf dem Weg zu markieren. Die Volksmenge ist die Kulisse für die Worte Jesu und zugleich Adressat seiner Worte.
Vers 26: Wichtig in der Unterscheidung zwischen der Menge und den Jüngern ist die Beschreibung ihres Mitgehens mit Jesus. Während die Menge hier in Vers 26 erst einmal nur „zu ihm kommt“ (erchetai pros me, griechisch: ἔρχεται πρός με) wird die wirkliche Jüngerschaft in Vers 27 mit „hinter mir her geht“ (erchetai hopiso mou, griechisch: ἔρχεται ὀπίσω μου) umschrieben.
Das Wort „gering achten“ (misein, griechisch: μισεῖν) beschreibt eine Entscheidung, die man bewusst gegen etwas oder hier jemanden trifft. Man könnte auch „ablehnen, zurückweisen, verwerfen“ übersetzen. Mit Blick auf Lk 9,24 („Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten.“) kann man „gering achten“ auch als das Gegenteil von „retten“ verstehen. Wenn „retten“ das krampfhafte Festhalten an etwas ist, dann geht es hier um die bewusste Entscheidung gegen etwas und das Loslassen.
Die Nennung der verschiedenen Personen zeigt das dichte soziale Gefleht an, in dem sich Menschen bewegen und verweist auf die Vielzahl der Beziehungen, die angesichts einer wirklichen Jüngerschaft hinten an gestellt werden sollen.
Vers 27: Die Aufforderung zum Kreuztragen ist auch in Lk 9,23 bereits einmal erfolgt. Das Bild nimmt Bezug auf die Praxis, dass der Verurteilte den Querbalken seines Kreuzes selbst zur Hinrichtungsstätte tragen musste. Damit geht es nicht um das Kreuz Christi, das von den wirklichen Jüngern getragen werden muss, sondern um das je eigene Kreuz. Wer ein Jünger Jesu sein will, der folgt ihm wie ein Schüler seinem Meister auf Schritt und Tritt folgt, um von ihm zu lernen („hinterhergehen“). Und der wirkliche Jünger muss auch bereit sein, zu leiden und Schmach und Schande, die mit dem Kreuz verbunden werden, auf sich zu nehmen.
Verse 28-30: Der erste Teil des Doppelgleichnisses macht am Beispiel eines Turmbaus deutlich, dass es wichtig ist, „zuerst“ die notwendigen Mittel für das Vorhaben zu berechnen und zu prüfen, ob der Bau finanzierbar ist. Das Gleichnis warnt vor einer „halben Lösung“, bei der am Ende die Mittel nur für das Fundament reichen. Um die Folgen einer nicht gut durchdachten Entscheidung deutlich zu machen, greift Lukas wieder auf die Kategorie des drohenden Spotts durch die Mitmenschen zurück. Mit diesem drohenden Imageverlust hatte er auch in Lk 14,7-11 dazu gemahnt, sich nicht selbst den besten Platz auszusuchen, um nicht Gefahr zu laufen, von dort herabgesetzt zu werden. Offensichtlich konnten die Leser des Evangeliums mit dieser Art von drohendem Verlust des eigenen Ansehens mehr anfangen als mit einem drohenden finanziellen Schaden, der im Beispiel vom Turmbau ebenfalls zu befürchten war.
Verse 31-32: Der zweite Teil des Doppelgleichnisses bringt das Beispiel eines Königs, der von einem anderen in den Krieg hineingezogen wird. Auch hier ist es ratsam zuerst zu überlegen, ob die eigenen Truppen ausreichend sind, um Krieg zu führen. Andernfalls ist die Bitte um Frieden bzw. Unterwerfung die klügere Lösung, anstatt im Krieg unterzugehen.
Vers 33: Mit „ebenso kann keiner von euch“ wird die Verbindung zu dem vorangegangenen Doppelgleichnis hergestellt. Die dritte Bedingung für den Eintritt in die Jüngerschaft (nach Versen 26 und 27), die hier formuliert wird, geht auf den Besitzverzichtet ein. Dass dies eine wesentliche Bedingung für die Nachfolge ist und die Identität der Jünger Jesu prägt, ist den Lesern des Evangeliums durch die Berufung des Petrus (Lk 5,11), aber auch durch die Berufung des Levi (Lk 5,27-28) und die Aussendungsrede in Lk 9,1-6 bekannt.