Es gibt nicht nur eine Zeit zum Säen und Ernten, es gibt auch eine Zeit zu düngen. Aber vorsichtig: die Zeit ist knapp bemessen.
1. Verortung im Evangelium
Das heutige Evangelium steht in einem spannenden Umfeld im Lukasevangelium (Lk), denn die Abschnitte drumherum und die heutige Erzählung kreisen um die Frage nach der richtigen Lebensentscheidung und dem richtigen Kristallisationspunkt für das eigene Leben. Dabei nähern sie sich der Frage aus ganz unterschiedlichen Perspektiven an: In Lk 12,35-48 spricht Jesus in einem Gleichnis von der Wachsamkeit für die Zeit Gottes. Direkt im Anschluss (Lk 12,49-59) geht es einerseits darum, dass die Entscheidung für Jesus Christus als Kristallisationspunkt des Lebens auch Anfeindung und Streit mit sich bringt, andererseits warnt Jesus davor, angesichts der nahen Gotteszeit den Zeitpunkt des richtigen Handelns zu verpassen. Hieran schließt sich der heutige Text an, bevor es dann in Lk 13,10-17 anlässlich einer Heilung am Sabbat um die Entscheidung zur richtigen Tat und das Abwägen der Umstände geht.
2. Aufbau
Vers 1 führt in die Situation ein. Im Folgenden werden in den Versen 2-5 zwei Schreckensereignisse benannt und aus ihnen heraus sogenannte „Drohworte“ formuliert. Daran schließt sich in den Versen 6-9 das Gleichnis vom Feigenbaum an. Das Gleichnis selbst lässt sich in eine Exposition (Vers 6) und einen Dialog mit Rede (Vers 7) und Widerrede (Verse 8-9) untergliedern.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Die Formulierung „zur gleichen Zeit“ garantiert einen nahtlosen Anschluss an Lk 12,54. Dort spricht Jesus zu den Volksmengen, hier treten weitere Personen zu der Menge hinzu. Das Ereignis, von dem die Neuankömmlinge berichten ist nirgendwo belegt. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass Lukas ein Ereignis aus dem Jahre 4 v. Chr. irrtümlich in die Zeit des Pilatus verschiebt. Bei Flavius Josephus, einem jüdischen Geschichtsschreiber wird berichtet, dass Archelaos, Sohn des Herodes, an einem Passa-Fest 3000 Pilger „neben ihren Opfern“ tötete. Ob dem sonst so genau berichtenden Lukas wirklich ein Fehler unterlaufen ist, oder ob er gar nicht auf ein reales Ereignis Bezug nehmen wollte, bleibt offen.
Verse 2-3: Jesus antwortet mit einer rhetorischen Frage; in deren Hintergrund der Zusammenhang von Tun und Ergehen erkennbar wird: Dabei geht es um das Verständnis von Leiden als Strafe für ein Vergehen gegen Gott und seinen Willen. Jesus stellt an dieser Stelle das Muster von Tun und Ergehen nicht in Frage, aber äußert einen Zweifel an der Gradlinigkeit solchen Denkens. Wenn einige Galiläer leiden mussten und das im Tun-Ergehen-Denken auf ein falsches Verhalten ihrerseits schließen lässt. Kann man andersherum sagen, dass diejenigen, denen nichts geschehen ist, ohne Sünde sind? Jesu Antwort ist klar: Nein, das kann man eben nicht daraus schließen. Und Jesus geht in seiner Antwort noch weiter. Er weist darauf hin, dass die Zuhörer selbst auch „umkommen“, wenn sie ihr Leben nicht neu ausrichten.
Die Rede von der Umkehr erinnert dabei an die Anfangsverkündigung des Täufers in Lk 3,3 und an das Wirken und Wort Jesu. Zum Beispiel in Lk 5,32: „Ich bin nicht gekommen, um Gerechte, sondern Sünder zur Umkehr zu rufen.“
Verse 4-5: Auch das hier wiederum in einer rhetorischen Frage genannte Ereignis des Einsturzes eines Turms am Schiloach-Teich bei Jerusalem ist nicht bekannt. Auch auf diese Frage antwortet Jesu mit der Warnung vor einem ähnlichen Schicksal und dem Ruf zur Umkehr.
Verse 6-9: Mit einer typischen Einleitung folgt nun das Gleichnis vom Feigenbaum. Er ist die eindeutige „Hauptfigur“ des nun Erzählten.
Das Pflanzen von Feigenbäumen in Weinbergen ist nichts ungewöhnliches und wurde in der Antike häufiger getan. Ein Feigenbaum wird dabei aber immer an seiner Frucht gemessen, sie ist das Entscheidende des Baumes wie in biblischen (s. Kontext) und außerbiblischen Texten belegt ist. Gleichzeitig galt ein Feigenbaum ohne Frucht für den Weinberg auch als schädlich, weil er zu viele Nährstoffe aus dem Boden zog. Mit anderen Worten: Solange der Feigenbaum seine Früchte brachte, war er ein guter Begleiter im Weinberg, ohne Früchte aber überwog der „Verbrauch“ und das Auslaugen des Bodens als negative Seite. Das Bild vom Feigenbaum ist hier also sehr realistisch ausgewählt.
Das Fruchtbringen ist in der antiken Welt eine verbreitete Metapher für das Handeln der Menschen. In dieser Weise verwendet auch Johannes des Täufers das Bild vom Baum, der keine Frucht bringt, in seiner Umkehrpredigt: „Schon ist die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt; jeder Baum, der keine gute Frucht hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.“
Auch in dem Gleichnis hier soll der Feigenbaum nach dem Willen des Weinbergbesitzers umgehauen werden, weil er drei Jahre keine Frucht gebracht hat. Die Entgegnung des Winzers, dem Baum noch ein Jahr zu geben, überrascht angesichts des Arguments des Besitzers. Der Baum bekommt ein Jahr geschenkt, in dem er doch noch Früchte trägt. Man will es noch ein Jahr mit ihm versuchen und lässt ihm dafür auch noch einmal Pflege und Fürsorge zuteilwerden (Umpflügen des Bodens, Düngung).
Das Kriterium für das Gelingen des Experiments mit dem Feigenbaum wird klar benannt: Er muss Frucht bringen! Ist das nicht erfüllt, muss der Baum umgehauen werden.