„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen.“ Den Christen werden keine rosigen Zeiten verheißen im heutigen Evangelium, sondern die möglichen Konsequenzen ihres Bekenntnisses zu Jesus Christus.
1. Verortung im Evangelium
Das gesamte 12. Kapitel des Lukasevangeliums (Lk) steht unter dem Vorzeichen einer riesigen Menschenmenge von mehreren Tausend Personen (Lk 12,1) und den Jüngern, an die Jesus sich mit seinen Worten explizit wendet (Lk 12,1.4.22). Im vorangehenden Abschnitt (Lk 12,35-48) geht es um die Frage nach der notwendigen Wachsamkeit und damit um die richtige Bereitschaft für den Tag, an dem der Herr wiederkommt und das Reich Gottes endgültig zum Durchbruch kommt. Damit steht die Zeit im Mittelpunkt, die sich zwischen dem irdischen Wirken Jesu und seinem erneuten Kommen aus dem Himmel, in den er nach Ostern auffährt, ergibt. Im vorliegenden Abschnitt ist der Fokus verlagert. Nun stehen die Auswirkungen des Wirkens Jesu im Vordergrund, die sich dann freilich auch auf die Zeit zwischen irdischem Wirken und Parusie (Wiederkunft) auswirken.
2. Aufbau
Der Text lässt sich einmal unterteilen. Der erste Teil ist geprägt durch das Wort von Feuer und Taufe (Verse 49-50). Der zweite Teil ist gekennzeichnet durch das Thema der Zerstörung sozialer Beziehungen (Verse 51-53).
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 49-50: Die Rede von „Feuer“ und „Taufe“ ist alles andere als einfach zu deuten. Die Formulierung „ich bin (nicht) gekommen“ findet sich auch im Markus- und im Matthäusevangelium (z.B. Markusevangelium 2,17; Matthäusevangelium 5,17) und an weiteren Stellen im Lukasevangelium (Lk 19,10). Die inhaltliche Sinnspitze hier ist aber nicht leicht zu erschließen. Jesus spricht von einem Feuer, das er auf die Erde werfen wird, das aber noch nicht entzündet ist. Gleichzeitig spricht er von einer noch nicht vollzogenen Taufe und beide Ereignisse drängen auf das Realitätwerden: Entzünden des Feuers und Vollzug der Taufe. Da die wirkliche Taufe Jesu im Jordan bereits erfolgt ist (Lk 3,21-22), kann diese hier nicht gemeint sein. Vielmehr ist Taufe als Anfangsgeschehen des Wirkens Jesu zu lesen, deren Vollendung noch aussteht, und zwar mit der Vollendung des irdischen Wirkens in Leiden, Tod und – womöglich auch schon mitgedacht – der Auferstehung und Himmelfahrt. Das „Hindrängen“ auf die ausstehenden Ereignisse wird im Passiv beschrieben. Gott ist als der eigentliche Initiator der Handlungen zu verstehen und damit auch als der, der für die Sendung und Vollendung des Weges Jesu im Letzten verantwortlich zeichnet. Dieser Ausblick auf das, was noch aussteht im irdischen Weg Jesu, korrespondiert mit der Ankündigung, die seit Lk 9,51 im Hintergrund aller Erzählungen steht: „Als sich die Tage erfüllten, dass er hinweggenommen werden sollte, fasste Jesus den Entschluss, nach Jerusalem zu gehen.“ Jesus befindet sich also auf dem Weg hin zur Vollendung seines irdischen Wirkens und „sehnt“ sich nach dem, was damit einhergeht: das Entzünden und Werfen des Feuers (Vers 49).
Vor dem Hintergrund der Sendung Jesu, die eben auch nach dem irdischen Wirken weitergeht, ist beim Feuer dann an das Pfingstereignis zu denken. Denn im Kommen der Feuerzungen (Apostelgeschichte 2,3) wird die Ankündigung Johannes‘ des Täufers aus Lk 3,16 Wirklichkeit: Nach ihm (Johannes) kommt einer, der mit Feuer taufen wird. Zugleich kommt damit die Verheißung Jesu selbst zur Erfüllung, die er den Jüngern nach seiner Auferstehung gegeben hat (Lk 24,49).
Verse 51-53: Als rhetorischer „Dialog“ von Fragen und Antworten wird die Konsequenz aufgezeigt, die das Feuer haben wird: Unfriede und Spaltung. Dies ruft die Weissagung des greisen Simeon in Erinnerung, der in Lk 2,34-35 bereits davon gesprochen hatte, dass Jesus ein Zeichen sei, dem „widersprochen“ wird und durch das „in Israel viele zu Fall kommen und aufgerichtet werden“.
Die konkrete Auswirkung von Spaltung und Unfrieden veranschaulicht Jesus am kleinsten und zugleich wichtigsten Sozialsystem seiner Zeit: der Familie. Gedacht ist an einen Haushalt mit fünf Personen und zwei Generationen, in der sich am Ende jeder gegen jeden wendet. Anders als im Buch des Propheten Micha, in der der Konflikt von der Kindergeneration ausgeht (Micha 7,6), beschreibt Lukas das Geschehen als von beiden Generationen ausgehend.