1. Verortung im Evangelium
Der Abschnitt aus dem Lukasevangelium (Lk), der in der Einheitsübersetzung mit „Die Vorläufigkeit des Besitzes“ überschrieben ist, steht mit seinem mahnend-kritischen Unterton in einer Reihe ähnlicher Erzählungen im näheren Umfeld des Evangeliums. Unmittelbar zuvor hatte Jesus vor allem seinen Jüngern Mut gemacht, angesichts von kommenden Bedrängnissituationen (Lk 12,1-12). Nach dem vorliegenden Evangeliumsabschnitt steht die rechte Sorge im Mittelpunkt der Worte Jesu (LK 12,22-34) und danach die Mahnung zur Wachsamkeit angesichts der kommenden Zeit der Entscheidung (Lk 12,35-13,1). Die gemeinsame Perspektive dieser Abschnitte besteht in der Frage nach der sinnvollen Gestaltung des eigenen Lebens vor Gott.
2. Aufbau
In den Versen 13-15 wird eine zufällige Situation geschildert: Jesus wird aufgefordert, sich in eine Familienangelegenheit einzumischen und Stellung zu beziehen. Jesu Antwort ist allgemein und konkret zugleich und leitet über zu der Erzählung eines Gleichnisses im zweiten Teil des Textes (Verse 16-20). Der abschließende Satz Jesu (Vers 21) weist sowohl zurück auf die Ausgangsfrage wie auch voraus auf weitere Hilfestellungen zum Umgang mit Fragen der Vorsorge.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 13-14: Der Zuruf eines Unbekannten aus der Menge heraus führt zu einer neuen Situation: Im Erbstreit unter Brüdern wird Jesus aufgefordert, Stellung zu beziehen und eine Ermahnung an einen Erben zu richten. Diese Ausgangssituation (und auch die Lösung der Frage) ist für den weiteren Fortgang unerheblich. Der Evangelist Lukas nutzt die Situation lediglich, um ein neues Thema einzuführen und das Thema „Finanzen und Vorsorge“ in den Mittelpunkt zu rücken.
Die Antwort Jesu nimmt Bezug auf Exodus 2,14. Dort wird Moses, der einen Streit schlichten will, mit der Frage konfrontiert, wer ihn zum Richter eingesetzt hat. Das Wort meristehs (griechisch: μεριστής, Erbteiler ) steht für eine Person, die außergerichtliche Schiedssprüche festsetzt. Jesus sieht sich also – im Rückgriff auf die Mose-Geschichte – nicht als einer, der sich in (familien)interne Angelegenheiten einmischt.
Vers 15: Nach der direkten und konkreten Antwort an den Fragesteller aus Vers 13 spricht Jesus nun alle an, die Zeuge des Dialogs geworden sind. Seine Warnung vor der Habgier greift dabei ein allgemeines antikes Motiv auf. Habgier ist gefährlich für den sozialen Zusammenhalt, denn wer nur auf das Zusammenraffen seines Besitzes aus ist, vergisst allzu leicht die Mitmenschen und sät womöglich Streit und Zwietracht, so die Sorge. Weil dieses zentrale Gut des christlichen Zusammenlebens nicht in Gefahr geraten durfte, war die Mahnung vor Habgier ein verbreitetes Thema der frühchristlichen Literatur. Der Evangelist Lukas legt den Fokus jedoch auf die persönlichen Konsequenzen. Das Streben nach „Mehr“ wird zur Falle, dauerhaft im Überfluss leben zu wollen.
Vers 16: Es beginnt ein Gleichnis mit der typischen Darstellung der Ausgangssituation, die alles andere als außergewöhnlich ist: Ein reicher Mann, er ist als Besitzer mehrerer Ländereien vorzustellen, erwartet eine gute Ernte. Ihm steht also in Aussicht, seinen Besitz mehren zu können.
Das Image des „Reichen“ ist in der biblischen Tradition zwar nicht besonders gut (z.B. Buch der Sprichwörter 18,11), er wird hier jedoch auch nicht wegen seines Besitzes verurteilt oder als unrechtmäßig Besitzender qualifiziert.
Verse 17-19: Mit der an sich selbst gerichteten Frage „Was soll ich tun?“ beginnt ein innerer Monolog des reichen Mannes. Mehrere Antwortmöglichkeiten sind denkbar im Hinblick auf das Problem fehlenden Lagerplatzes für die Ernte, das Evangelium präsentiert jedoch nur eine Schlussfolgerung: Der Reiche trifft mit dem Bau weiterer Lagerkapazitäten Vorsorge für die bevorstehende große Ernte. Eine eigentlich selbstverständliche Entscheidung. Er ist Besitzer von Land und Feldern, sicher hat er Arbeiter, für die er Sorge trägt, womöglich auch eine Familie. Die guten Einnahmen zu sichern und gleichzeitig für schlechtere Zeiten und evtl. eine andere Marktsituation zu lagern ist sinnvoll. Schritt für Schritt plant der reiche Mann nun, was zu tun ist. Abreißen, Neubauen und Einlagern tragen passgenau zur Lösung des Problems bei. Wobei das Einlagern schon mehr zu umfassen scheint als die aktuelle Ernte, denn in Vers 19 könnte er sonst nicht behaupten, „ausgesorgt“ zu haben. Der Reiche denkt also an das Zusammenziehen all seines Besitzes, so dass er dann da Leben genießen kann und keine Sorge mehr auf seinen Besitz verwenden muss. „Ruh dich aus, iss und trink und freue dich“ zeichnet das künftige Leben im Wohlstand aus.
Vers 20: In der Gottesrede wird der Reiche mit „Narr“ angesprochen. Das Wort aphrohn (griechisch ἄφρων, der Unvernünftige, Törichte, der Narr) erklärt sich nicht aus dem eigentlichen Verhalten des Mannes, erst unter Hinzuziehung der Ankündigung Gottes ist das Handeln als „töricht“ und der Mann als „Narr“ zu betrachten. Der plötzliche Tod ist ein vertrautes Motiv biblischer Literatur, es dient dazu das Leben als göttliches Geschenk in Erinnerung zu rufen, über das der Einzelne am Ende Rechenschaft ablegen muss.
Vers 21: Die Anwendung des Gleichnisses durch Jesus gibt eine klare Richtung der Interpretation vor: Es geht um den wahren und falschen Reichtum. Der falsche Reichtum ist der, den man für sich selbst als Schatz ansammelt (vgl. Selbstgespräch des Mannes). Der wahre Reichtum ist der, mit dem man auch vor Gott etwas vorweisen kann – und nicht nur vor sich selbst. Die weitere Klärung wie und womit solcher Reichtum zustande kommt, wird hier nicht vorgenommen.