Essen ist Leben. Das Ende der Brotrede und der entscheidende Schritt zu einem neuen Verständnis.
1. Verortung im Evangelium
Das Johannesevangelium (Joh) beginnt mit einem Loblied auf Jesus Christus als das ewige Wort des Vaters (Joh 1,1-18). Er ist in die Welt gesandt, um die Herrlichkeit Gottes sichtbar zu machen und den Menschen den Weg zum Vater zu eröffnen. Diese Sendung Jesu ist als Grundthema in allen Erzählungen zu finden. Der vorliegende Abschnitt stammt aus einem umfassenderen Redeabschnitt, indem Jesus in der Synagoge in Kafarnaum über das Himmelsbrot spricht (Joh 6,22-59). Ausgangspunkt zu dieser Unterhaltung zwischen Jesus und der Menge in Kafarnaum ist das Wunder der Brotvermehrung, von dem der Evangelist Johannes in Joh 6,1-21 berichtet hatte. Mit seinen Worten in der Synagoge reagiert Jesus auf die Fragen und das Staunen der Menge, gleichzeitig ist seine Ausführung Ausgangspunkt für Diskussionen und Unverständnis unter den Zuhörern. So berichtet der Evangelist mehrfach davon, dass „die Juden murrten und sich stritten“ und auch „die Jünger werden murren und nehmen Anstoß“.
In diesen Anfragen an die Worte Jesu spiegeln sich mit Sicherheit auch Anfragen an die Gemeinde des Johannes wieder, die diese aus den eigenen Reihen und ihrem nicht-christlichen Umfeld aufgrund der Feier der Eucharistie erhalten hat.
2. Aufbau
Vers 51, der auch die Evangeliumslesung am 19. Sontag im Jahreskreis abschloss, verbindet die beiden letzten Etappen der großen Rede Jesu über das Himmelsbrot. Vers 52 bildet den letzten Einwurf der zuhörenden Juden. Die Verse 53-58 werden noch einmal durch ein „Amen, amen“ eingeleitet. In diesem finalen Abschnitt der Ausführungen Jesu in der Synagoge in Kafarnaum wird der Blick endgültig über die Ausgangssituation der (aktuellen) Brotvermehrung hinaus auf die bleibende Bedeutung der Lebensgabe Jesu gelenkt.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 51: Jesus identifiziert sich selbst als lebendiges Brot, das vom Himmel kommt. Das lebendige Brot erinnert an das „lebendige Wasser“ in der Erzählung von der Begegnung am Jakobsbrunnen (Joh 4,7-42, v.a. 7-14). Hier wie dort meint „lebendig“ lebensspendend, lebensverheißend im umfassenden Sinne. Deshalb schenkt das Essen des Brotes Zugang zum ewigen Leben und dient nicht nur der Erhaltung des irdischen Lebens, weil es den Hunger stillt. Wenn Jesus sich selbst als „Brot vom Himmel“ bezeichnet, erinnert er damit einerseits an die Erzählung vom Manna in der Wüste und andererseits an seine Sendung, die ihn aus der Herrlichkeit des Vaters (Himmel) auf die Erde führte.
Im letzten Teil des Verses konkretisiert er das Geben des Brotes als Gabe des Fleisches. Gemeint ist damit die Hingabe des eigenen Lebens am Kreuz. Dabei ruft der Evangelist das Loblied vom Anfang des Evangeliums in Erinnerung. Dort wurde Jesus als das ewige Wort Gottes besungen, das Fleisch wurde (Joh 1,14) und damit ganz in der Welt mit all ihren Kausalitäten gegenwärtig wurde. Der theologische Begriff der Inkarnation (Fleischwerdung) Gottes umschreibt die Radikalität der Sendung Jesu als Gottessohn mitten in die Welt. Nur in der Radikalität dieses Hineinkommens in die Welt ist das Kreuz als Höhepunkt der Sendung und Zeichen der absoluten Liebe und Hingabe verständlich. Wenn Jesus davon spricht, dass er sein „Fleisch für das Leben der Welt“ gibt, dann meint er damit, dass er sein Leben für die Welt hingibt, um diese von Hass, Schuld und Sünde zu erlösen. Im Leben der Gemeinde des Johannes enthält das „Geben des Fleisches“ zudem einen klaren Verweis auf die Eucharistie. Indem Jesus sich in den Gaben von Brot und Wein selbst mit Fleisch und Blut gegenwärtig in der Gemeinde zeigt, haben diejenigen, die am eucharistischen Mahl teilnehmen, Anteil an Jesu Leben beim Vater, also am Leben der Ewigkeit.
Vers 52: Die Juden scheinen nach den vorangegangenen Worten Jesu untereinander zu diskutieren, wie die Aussage Jesu über das „Essen des Brotes“ und die Identifizierung dieses Brotes mit seinem Leib zu verstehen ist. Es ist nun weniger ein „Murren“ wie beispielsweise in Vers 41, das an die Wüstenerzählung erinnerte, als vielmehr ein Streit über die Auslegung und Einordnung des Gehörten.
In Vers 52 wie auch in den folgenden Versen spiegelt sich eine Auseinandersetzung der johanneischen Gemeinde und deren eucharistische Reflexion wieder. Im Hintergrund steht der Vorwurf der Anthrophagie, des Essens von menschlichem Fleisch, der den Christen gegenüber geäußert wurde, aber auch die jüdischen Speisevorschriften, die jeglichen Blutgenuss (vgl. Vers 55) verbieten (Levitikus 7,26-27).
Verse 53-55: Mit dem „Amen, amen“ (Vers 53) eingeleitet wird den Worten Jesu besondere Bedeutung beigemessen. Das Sprechen vom Essen des Fleisches und Trinken des Blutes wird hier mit dem „Menschensohn“ verbunden. Dieser christologische Titel, der seinen Ursprung im Buch Daniel hat, wird hier bewusst verwendet, um die Menschwerdung des Gottessohnes und damit seine leibliche Präsenz auf der Erde zu betonen. Mit ähnlicher Absicht benutzt der Evangelist in Vers 54 und 56 einen anderen Begriff für „essen“ als in den anderen Teilen der Brotrede. Die in diesen beiden Versen genutzte Vokabel „trogo“ (griechisch: τρώγω) bedeutet „kauen, beißen“ und verstärkt so ebenfalls den Akzent auf das leibhaftige Geschehen des Essens. Das Zu-sich-Nehmen von Fleisch und Blut Jesu in den eucharistischen Gaben wird so zu einem leiblichen Ereignis. Dies korrespondiert mit der ebenso leiblich zu verstehenden Verheißung der Auferweckung (Vers 54), die Folge der Teilhabe an Fleisch und Blut Jesu ist.
Verse 56-57: Noch einmal formuliert Jesus „wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt“, fügt im Nachsatz nun aber ein neues Motiv hinzu. Zum ersten Mal wird hier die Idee des „Bleibens“ im Johannesevangeliums eingeführt. Die Verbundenheit mit Jesus über Leib und Blut in den eucharistischen Gaben verheißt nicht nur ewiges Leben, sondern auch eine dauerhafte Verbindung, die im weiteren Verlauf des Evangeliums immer wieder mit dem Begriff „Bleiben“ ausgedrückt wird, z.B. in der Rede vom Weinstock und den Reben (Joh 15). Zur Veranschaulichung verweist Jesus in Vers 57 auf seine Sendung durch den Vater und die lebensstärkende Verbindung zwischen ihnen. Durch das Essen des Fleisches haben die Glaubenden an dieser Beziehung Anteil.
Vers 58: Zum Ende der Perikope wird ein Bogen zurück zu den Versen 47-51 und damit dem direkt vorangegangenen Abschnitt geschlagen. Dort war Jesus als das Brot des Lebens im Blick, nun wird dies aus der nachösterlichen Reflexion der Gemeinde auf das Brot der Eucharistie bezogen. „Dies ist das Brot“ greift auf die Thematik des Fleisches zurück, die im Zentrum der Verse 51-57 stand.