Ohne Verfallsdatum. Jesus offenbart der Menge, wie ein Leben jenseits der Vergänglichkeit möglich wird.
1. Verortung im Evangelium
Das Johannesevangelium (Joh) beginnt mit einem Loblied auf Jesus Christus als das ewige Wort des Vaters (Joh 1,1-18). Er ist in die Welt gesandt, um die Herrlichkeit Gottes sichtbar zu machen und den Menschen den Weg zum Vater zu eröffnen. Diese Sendung Jesu ist als Grundthema in allen Erzählungen zu finden.
Der vorliegende Abschnitt stammt aus einem umfassenderen Erzählabschnitt, der im weitesten Sinne um das Thema „Brot“ kreist. Der Abschnitt beginnt mit dem Wunder der Brotvermehrung (Joh 6,1-21, s. Auslegung dazu). Auf diese Zeichenhandlung Jesu folgt die Rede Jesu über das Himmelsbrot in der Synagoge von Kafarnaum an (Joh 6,22-59), die Ausgangspunkt für Diskussionen und Unverständnis unter den Zuhörern ist, so dass der Evangelist mehrfach berichtet, dass „die Juden murrten und sich stritten“. Der Zusammenhang endet mit einer „Spaltung“ unter den Jüngern (Joh 6,60-71), weil auch unter ihnen einige an den Worten Jesu Anstoß nehmen. Der Evangeliumsabschnitt des Sontnags bildet den ersten Teil dieses Redezusammenhangs.
2. Aufbau
Die Verse 24-25 dienen der Überleitung von der Brotvermehrung und der anschließenden Seefahrt Jesu hin zur Rede in Kafarnaum. Die gesamte Rede Jesu (Joh 6,26-59), deren ersten Teil wir näher betrachten, ist von Vers 26-35 durchweg dialogisch angelegt.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 24-25: Vers 24 bildet eine umständliche Überleitung hin zur Ausgangssituation in Kafernaum. Nach der Zeichenhandlung Jesu (Joh 6,1-13) und Jesu Rückzug auf den Berg (Joh 6,14-15) hatte der Evangelist Johannes vom Übersetzen der Jünger Richtung Kafarnaum und auch von Jesu Seeüberquerung berichtet (Joh 6,16-20). Nachdem die Menge die Abwesenheit Jesu und seiner Jünger bemerkt haben, setzen auch sie nach Kafarnaum über. Johannes setzt also die Menge der Brotvermehrung (500 Personen!) als Gesprächspartner in der anschließenden Rede voraus. So ist auch ihre verwunderte Frage in Vers 25 zu lesen. Sie hatten zwar von der Abreise der Jünger, nicht aber von Jesu Weggang mitbekommen.
Verse 26-27: Jesu Antwort bezieht sich weniger auf die Frage als auf die Motivation für die Suche nach ihm. Seiner Meinung nach ist ihr Interesse vor allem auf das Vordergründige (z.B. die Sättigung) ausgerichtet, aber nicht so sehr auf die Wirklichkeit, auf die die Wunder verweisen: In Jesus wird Gott und seine heilsame Nähe erfahrbar. In diesem Sinne verweist er in einem ersten Gedankenschritt auf ihren Einsatz, zu ihm zu gelangen, und setzt diese Bemühen in einen größeren Horizont. Die Menschen sollen sich nicht für das Vordergründige, die Sättigung so sehr ins Zeug legen, also die Speise, die verdirbt. Ihr Bemühen sollte vielmehr auf die unvergängliche Speise, das Bleibende ausgerichtet sein. Bereits die typische Einleitung „Amen, amen“ hatte auf ein offenbarendes Wort Jesu verwiesen. Dies schließt Vers 26 ab: Jesus, der Menschensohn, ist von Gott, seinem Vater als derjenige beglaubigt worden, der eine Speise für die Ewigkeit geben kann. Die „Speise, die für das ewige Leben bleibt“ ist eine göttliche Gabe, weil „bleiben“ im Johannesevangelium immer mit göttlicher Gegenwart und Anteil an der göttlichen Wirklichkeit verknüpft ist (vgl. Joh 15,1-17). Wenn Jesus den Menschen eine Speise gibt, die bleibt, dann ist dies eine Nahrung, die Anteil gibt an der unvergänglichen Wirklichkeit Gottes und den Empfangenden mit in diese Realität der Gemeinschaft mit Gott hineinnimmt. Wichtig ist, dass Jesus hier auf die Zukunft hin spricht: er wird diese Speise geben – es ist nicht die Speise, die sie schon erhalten haben.
Die Beglaubigung durch Gott mit „seinem Siegel“ lässt an die frühchristliche Taufpraxis denken, die der Gemeinde des Johannes vertraut ist. Die Besiegelung mit der Geistesgabe ist Zeichen der Zugehörigkeit, des Anvertrauens und der Gemeinschaft. Wenn Jesus von sich als Menschensohn spricht, der von Gott in seinem Tun verifiziert hat, dann ist seine Sendung von Gott her in die Welt und seine Erhöhung und Rückkehr zum Vater mitgedacht. Entsprechend kann die anvisierte „Speise für das ewige Leben“ auch gut begründet als Hinweis auf den Geist Gottes gelesen werden, den Jesus in den Abschiedsreden seinen Jüngern als den kommenden und bleibenden Beistand ankündigt. Eine Gabe, die für die bereitsteht, die an ihn glauben (Joh 14,15-17) – auch dort spielt das „bleiben“ eine große Rolle.
Verse 28-29: Die Reaktion der Menschen bleibt auf das Irdische und ihr Tun statt auf das Wirken Gottes, das sie in der Brotvermehrung am eigenen Leib gespürt haben, bezogen. Sie wollen wissen, wie sie selbst „Gottes Werke“ vollbringen können. Diese Frage entlarvt in gewisser Weise ihr falsches Gottesbild und gleichzeitig steckt auch ein Funke Richtigkeit darin. Dies zeigt die Antwort Jesu. So wie die Menge insgesamt argumentiert, scheint ihre Frage darauf zu zielen: Wie können wir denn das tun, was Gott tut, also selbst göttliche Taten vollbringen? Dies ist natürlich nicht möglich. Gottes Taten entstehen aus göttlicher Vollmacht, sie haben einen anderen Ursprung und eine andere Tragweite als menschliches Wirken. Zugleich haben sie auch ein wenig Recht mit ihrer Frage. Denn später im Evangelium wird Jesus auffordern, seine Gebote zu halten und damit das Mitsein, die Anteilnahme an seiner Sendung zum Ausdruck zu bringen (Joh 15,10-12). Allerdings ist auch diese direkte Aufforderung auf die Seinen, die Jünger hin formuliert. Bis zu den Abschiedsreden hat sich herauskristallisiert, wer zu denen gehört, die an der Welt festhalten, und wer zu Jesu Jüngern zählt, die bereit sind, über die Welt hinaus auf die himmlische Wirklichkeit zu schauen.
Die Antwort Jesu nimmt den Funken Verständnis auf, der in der Antwort der Menge steckt. Sie können tatsächlich zu Gottes Wirken etwas beisteuern und Anteil daran haben. Dazu müssen sie an Jesus glauben und diesen Glauben leben und bezeugen. Wer Jesus als den von Gott in die Welt gesandten Sohn bekennt und in ihm die lebensspendende Kraft Gottes entdeckt, der wird Teil des göttlichen Plans, diese Botschaft des Lebens und der Liebe zu verbreiten.
Verse 30-33: Die Menge setzt nach – wieder in der Doppeldeutigkeit zwischen Verstehen und Nicht-Verstehen. Jesus soll ihnen ein Zeichen, also einen Hinweis darauf geben, dass sie an ihn glauben können. Der Evangelist verwendet hier sehr bewusst den Begriff Zeichen, den er statt des Wunderbegriffs für die machtvollen Taten Jesu nutzt. Jesus hatte mit der Vermehrung des Brotes gerade erst ein Zeichen gesetzt und doch fragt die Menge nach einem neuen. Sie zeigt also erneut, dass sie den wahren Kern der Brotvermehrung nicht verstanden hat. Dennoch verweist ihr Beispiel (Vers 31) mithilfe des Rückgriffs auf die Geschichte vom Manna (Exodus 16) auf die Brotvermehrung zurück. Das Motiv von einem Glauben, der auf dem Sehen und Beweisen beruft, wird am Ende des Evangeliums in der Erzählung vom zweifelnden Apostel Thomas noch einmal zu einem Thema entfaltet (Joh 20,24-29).
Wieder beginnt die Antwort Jesu mit der Offenbarungs-Einleitung „amen, amen“. Jesus gibt ihnen nun den wahren Geber der Himmelsspeise der Väter zu erkennen. Es war nicht Mose, der große Prophet, sondern Gott selbst, der sein Volk in der Wüste speiste. Mit den Zusätzen „wahres Brot“ und „Brot, das der Welt das eben gibt“ differenziert Jesus erneut zwischen dem verderblichen Brot, das für die irdische Wirklichkeit stärkt, und dem Brot, das dauerhaftes Leben ermöglicht. Dies wird auch deutlich durch den Sprung von der Vergangenheit „hat euch gegeben“ zu „gibt euch“. Gott gibt das Lebensbrot dauerhaft, nicht punktuell. Das Brot in der Wüste war Gottes Gabe als Zeichen der Lebensfülle (ähnlich das Brot, das Jesus auf der anderen Seite des Sees verteilte) und doch war es Brot, das für die Gegenwart der Wüstenzeit gedacht war.
Verse 34-35: Dieses Brot scheinen die Menschen als dauerhafte Gabe zu ersehen und zu erbitten, wenn sie in Vers 34 fragen. Sie wollen eine Absicherung des täglichen Brotes, das den Körper ernährt und am Leben hält.
Diesem Brot, das verdirbt, steht das Brot der Unvergänglichkeit gegenüber. Das Lebensbrot, das Gott immer gibt und das nicht verdirbt, ist Jesus selbst. Die Selbstzuschreibung Jesu „ich bin das Brot des Lebens“ ist das erste von insgesamt sieben „Ich-bin-Worten“ Jesu im Johannesevangelium. „Ich bin“ schließt an die Offenbarung des Gottesnamens vor Mose: „Ich bin, der ich bin“ (Exodus 3,14) an. Jesus, der vom Vater gesandt ist, eröffnet in diesen Worten das Wesen Gottes in unterschiedlichen Bildern (Brot des Lebens; Licht der Welt; Tür; guter Hirte; Auferstehung und Leben; Weg, Wahrheit und Leben und Weinstock).
Die „Ich-bin-Worte“ enthalten immer eine Zuschreibung („ich bin“), eine Einladung (hier: „wer zu mir kommt“) und eine Verheißung (hier: „wird nicht mehr hungern, wird nicht mehr dürsten“).
Wenn Jesus hier in Bezug auf das Lebens-Brot, das er selbst ist, davon spricht, dass wer von ihm isst, weder weiter hungert noch Durst hat, verheißt er eine umfassende und existentielle Stillung der Sehnsucht nach Leben.