Das Kreuz zwischen Licht und Finsternis
1. Verortung im Evangelium
Der Abschnitt aus dem Johannesevangelium (Joh) stammt aus einem nächtlichen Gespräch Jesu mit dem Pharisäer Nikodemus. Jesus hält sich seit Joh 2,13 in Jerusalem auf, nachdem er zuvor in Kana sein erstes Zeichen vollbracht hatte (Hochzeit zu Kana). Während des ersten Jerusalemaufenthaltes Jesu berichtet der Evangelist Johannes von der Tempelreinigung Jesu (2,13-25) und dem nächtlichen Gespräch mit Nikodemus (Joh 3,1-21). Hatte Nikodemus, ein einflussreicher Pharisäer, der zum Hohen Rat gehörte, zu Beginn der Unterhaltung noch Fragen gestellt (Joh 3,2.4.9), verschwindet er ab Vers 13 vollkommen aus dem Gespräch. Er meldet sich nicht mehr zu Wort und wird auch nicht mehr direkt oder indirekt angesprochen.
2. Aufbau
Der kompakte Abschnitt vereint drei Gedankengänge: Zum einen geht es um das Bild der Erhöhung (Verse 14-15) und zum anderen um Gottes Liebe, die sich in der Sendung, Hingabe und Erhöhung des Sohnes offenbart (Verse 16-18). Abschließend werden der Glaube und das Gericht thematisiert (Verse 19-21).
3. Erklärung einzelner Verse
„Rahmenhandlung“ – Der Besuch des Nikodemus: In Joh 3,1 wird Nikodemus als ein führender Pharisäer eingeführt, der Jesus des Nachts besucht. Die ungewöhnliche Tageszeit ist dabei nicht nur Anzeichen dafür, dass der Besuch bei Jesus nicht im Öffentlichen stattfindet. Vielmehr steht hier auch die Grundidee des Kommens zum „Licht, das die Welt erleuchtet“ (Joh 1,9), im Hintergrund. Nikodemus sucht Jesus auf, weil er in ihm einen „Lehrer“ sieht, „der „von Gott gekommen“ ist (Joh 3,2). Obwohl sich darin bereits die Sehnsucht nach einem Verstehen Jesu ausdrückt, braucht es eine ausführliche Erklärung Jesu, wie die göttliche Herkunft und seine Sendung zu verstehen ist. Dabei spielt im ersten Teil des Dialogs vor allem die Frage eine Rolle, wie der Mensch Gott und seinem Heil näherkommen kann. Nun im zweiten Teil des Dialogs, der eher einer theologischen Meditation gleicht, geht es darum, wie Gott sich dem Menschen zuwendet.
Verse 14-15: Der Evangelist Johannes knüpft an die biblische Grunderfahrung und das Wissen seiner Leser an. Denn die Geschichte aus dem Buch Numeri (Numeri 21), die hier im Hintergrund steht, wird nicht genauer erläutert, sie ist den Lesern klar vor Augen (vgl. die Auslegung zu dieser Stelle). Die Erhöhung der Schlange in der Wüste wird als Grundbild verwendet, um die Erhöhung (das Aufrichten) des Kreuzes verständlich zu machen und dessen heilbringende Kraft zu verdeutlichen. Das Kreuz ist das lebensspendende Zeichen, an dem sich Gottes Wunsch nach einem Leben in Fülle und einem ewigen Leben offenbart.
Verse 16-18: Der Evangelist Johannes bindet nun das Grundthema seines Evangeliums ein. Für ihn ist die Christusgeschichte die Geschichte der Sendung des Sohnes in die Welt und diese Sendung vollendet sich am und im Geschehen des Kreuzes. Die „Gabe“ des einzigen Sohnes ist die Offenbarung der unbedingten Liebe Gottes zu seiner Schöpfung. Weil Gott für die Menschen das ewige Leben als Ziel vor Augen hat, sind Sendung und Hingabe des Sohnes der Weg zur Rettung – nicht zum Gericht. Der Glaube an den Sohn und damit an den Vater bedeutet das rettende Handeln und den Heilswillen Gottes anzunehmen. Wer nicht glaubt, der ist in seinem Unglauben bereits gerichtet.
Verse 19-21: Den Gedanken des Gerichts führt Johannes weiter und verbindet ihn mit der Frage nach der Nachfolge. Für ihn besteht das Gericht nicht in einem endzeitlichen Unterscheiden der „Gerechten und Ungerechten“. Vielmehr entscheidet sich das Schicksal des Menschen in der Welt und in der Gegenwart Jesu. Dafür greift der Evangelist noch einmal auf das Loblied auf Christus am Anfang des Evangeliums zurück (Prolog). Dort hatte er Jesus als das Licht der Welt identifiziert (Joh 1,4) und zugleich darauf verwiesen, dass die Welt dieses Licht nicht erkennt (Joh 1,9-10). Das Gericht – so Johannes – besteht darin, dass die Menschen sich mehr zur Finsternis und damit zum Bösen hingezogen fühlen als zum Licht. Böses tun und die Finsternis lieben stehen so auf der einen Seite. Das Licht lieben und die Wahrheit tun auf der anderen. So wie das Böse das Gottferne ist, steht die Wahrheit für das, was gottgemäß ist.