Zeichen, Schrift, Zeugnis – was begründet unseren Glauben?
1. Verortung im Evangelium
Der Evangelist Johannes eröffnet sein Evangelium, seine frohe Kunde vom Leben und Wirken Jesu anders als die anderen Evangelisten (Matthäus, Markus, Lukas). Das Johannesevangelium (Joh) beginnt mit einem philosophisch anmuteten Hymnus (Joh 1,1-18). In ihm spricht der Evangelist über Jesus als das Wort vor aller Zeit, aus dem alles entstanden ist und das in die Welt kam; das Wort, das Gott selbst ist.
Nach dem Hymnus bzw. der Vorrede (lateinisch: Prolog) steht das Zeugnis Johannes des Täufers im Mittelpunkt (Joh 1,19-34). Von Johannes dem Täufer wechselt der Fokus der Erzählung ab Joh 1,35 auf Jesus. Es kommt zur Begegnung mit seinen ersten Jüngern (Joh 1,35-51) und dem ersten Zeichen Jesu auf der Hochzeit in Kana (Joh 2,1-12).
Der vorliegende Evangeliumsabschnitt schließt an die Zeichenhandlung – Johannes spricht im Gegensatz zu den anderen Evangelisten von Zeichen nicht von Wundern – in Kana an. Jesus ist nun ein erstes Mal in Jerusalem und feiert dort das Paschafest.
2. Aufbau
Vers 13 leitet zum neuen Ort der Handlung über. Die Verse 14-17 bilden einen ersten Abschnitt, in dem die sogenannte Tempelreinigung Jesu berichtet wird. In den Versen 18-22, die den zweiten Abschnitt bilden, wird der folgende Dialog zwischen Jesus und „den Juden“ wiedergegeben. Beide Abschnitte enden (Verse 17 und 22) mit einer kommentierenden „Erinnerung“ der Jünger. Die Verse 23-25 leiten über von der öffentlichen Szene im Tempel zu der nächtlichen Begegnung zwischen Nikodemus und Jesus (Joh 3,1-21).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 13: Im Johannesevangelium wird zweimal davon berichtet, dass Jesus zum Paschafest nach Jerusalem hinaufzieht (Joh 2,13; 11,55), ein drittes Paschafest feiert Jesus in Galiläa (Joh 6,4). Mit weiteren Aufenthalt Jesu in Jerusalem zum Laubhüttenfest (Sukkot, Joh 7,10) und zum Tempelweihfest (Chanukka, Joh 10,22) wird das religiöse Zentrum des Judentums immer wieder zum Ort öffentlicher Verkündigung Jesu. Darin unterscheidet sich das Johannesevangelium von den anderen Evangelien, in denen Jesus erst zu seinem Leiden nach Jerusalem zieht.
Verse 14-17: Im Tempel findet Jesus ein „übliches Bild“ vor. Im Vorhof der Heiden sind Tierhändler, die Opfertiere verkaufen, und Geldwechsler, die ausländische Münzen in tyrische Münzen umtauschen. Nur diese ist am Tempel akzeptiert, weil auf ihnen keine Abbildungen von Personen sind. Jesus nimmt sich Stricke, die von den Tieren stammen dürften, und treibt damit die Tiere aus der Halle. Seine Aktion ist nicht aggressiv gegenüber den anwesenden Menschen, wohl aber gegenüber den Elementen des Opferkults (Geld, Tiere). Schriftkundigen Lesern werden bei Vers 16 an ein Wort aus dem Buch Sacharja denken. Dort heißt es mit Blick auf die Endzeit: „Und kein Händler wird an jenem Tag mehr im Haus des HERRN der Heerscharen sein.“ (Sacharja 14,21).
Die kommentierende „Erinnerung“ der Jünger, die wie in Vers 22 aus der Perspektive nach Ostern stammt, nimmt jedoch nicht Bezug auf dieses Wort aus dem Alten Testament. Vielmehr verbinden die Jünger nach Ostern die „Reinigung des Tempels“ mit einem Zitat aus Psalm 69, das hier bewusst in die Zukunft verlagert wird. Das „Verzehrtwerden“ vom Eifer für das Haus Gottes wird dann auf den gewaltsamen Tod Jesu gedeutet, der nicht zuletzt aus den Konflikten mit den jüdischen Autoritäten herrührt.
Nicht übersehen werden darf, dass Jesus in Vers 16 erstmals im Evangelium von Gott als seinem Vater spricht. Diese Vater-Sohn-Beziehung prägt die Erzählung des Evangelisten und ist Leitlinie für die großen Motive der Sendung, Offenbarung, Verherrlichung.
Verse 18-22: Die Aktion Jesu führt zu einer Reaktion „der Juden“. Gemeint sind hier die religiösen Autoritäten des Judentums zur Zeit Jesu, nicht allgemein das jüdische Volk. Die Autoritäten fordern von Jesus „ein Zeichen“ der Legitimation im Tempel, der eigentlich ihr „Hoheitsbereich“ ist, auf diese Weise zu handeln. Die Antwort Jesu erklärt sein Verhalten, allerdings nicht im Sinne der Fragenden. Seine Aufforderung, den existierenden Tempel abzureißen, damit er ihn selbst in drei Tagen wiederaufrichten kann, ist ironisch zu verstehen und verweist auf eine ganz andere Ebene. Jesus spielt auf sein eigenes kommendes Schicksal von Tod und Auferstehung an, wie Vers 21 deutlich macht. Das können „die Juden“ nicht verstehen, denn ihnen ist Jesus als der eigentliche Tempel, der Ort der Gottesbegegnung, nicht offenbar bzw. nicht verständlich. Dies verdeutlicht die Nachfrage, wie das gelingen kann. Sie verweist auf Fakten und Greifbares, hatte die Bauzeit des Tempels doch 46 Jahre betragen. Diese Zeitangabe ist nur teilweise erklärbar. Eine Möglichkeit ist die Rechnung vom Beginn des Tempelbaus durch Herodes (20/19 vor Christus) bis in das Jahr 27/28 nach Christus, das dann die Zeit der vorliegenden Szene angeben müsste.
Die Erinnerung der Jünger wird hier sehr explizit als eine nachösterliche Einordnung gekennzeichnet. Sie bezieht sich auf die Identifizierung Jesu mit dem Tempel selbst. Wichtig ist die Feststellung: Die Schrift, auf deren Basis sie die Ereignisse deuten, und die Worte Jesu sind die tragenden Säulen des Jüngerglaubens.
Verse 23-25: Diese Verse bilden ein Scharnier von der Tempelreinigung hin zum Nikodemusgespräch (Joh 3,1-21). Nach der großen öffentlichen Szene im Vorhof der Heiden wird die nächste Begegnung Jesu im Verborgenen und ausgerechnet mit einem „der Juden“ stattfinden.
Der Evangelist hält im Nachgang der Tempelszene fest, dass viele zum „Glauben an seinen Namen“ kamen, was einem Bekenntnis zu Jesus gleich kommt. Der Verweis auf die „Zeichen“ Jesu ist auf zwei Ebenen wichtig. Zum einen wird hier noch einmal der Begriff der Zeichen (statt Wunder) für das vollmächtige Wirken Jesu betont. Zum anderen weist der Plural darauf hin, dass Jesus nicht nur im Tempel wirkte, sondern auch an anderen Stellen seiner Sendung als fleischgewordenes Wort Gottes gemäß handelte.
Verwendet Vers 23 den Begriff der Zeichen noch neutral, erhält dieser durch die Verse 24-25 einen negativen Beigeschmack. Denn denen, die sich aufgrund von Zeichen zu Jesus bekennen, „vertraut sich“ Jesus nicht an. Im Griechischen wird hier das Verb pisteuo (griechisch: πιστεύω) verwendet, das nicht nur „sich anvertrauen“ heißen kann, sondern auch „glauben“ und auch in Vers 23 benutzt wird. Der Evangelist Johannes spielt bewusst mit dem doppelten Gebrauch des Wortes. Die „Vielen“ kommen durch die Zeichen Jesu zum Glauben an ihn, er aber glaubt ihnen nicht! Begründet wird diese Zurückhaltung Jesu mit dem Verweis auf seine Menschenkenntnis. Diese ist nicht nur eine besonders gut ausgeprägte menschliche Qualität, sondern ein weiterer Hinweis auf seine göttliche Herkunft. Denn es ist eine eindeutig göttliche Eigenschaft, die Herzen der Menschen zu kennen, in sie Einblick zu haben und die wahren Regungen zu erkennen, wie es zum Beispiel Psalm 139 poetisch umschreibt.
Die Notiz „er vertraute sich ihnen nicht an“ meint soviel wie: Ihnen gegenüber offenbarte sich Jesus nicht offen als der vom Vater Gesandte.