Erkennen, glauben, bekennen, sich in den Dienst nehmen lassen – diese vier Dimensionen werden uns im Evangelium durch zwei Jünger Jesu aufgezeigt. Sie sind die Grundlage der Sendung der Kirche.
1. Verortung im Evangelium
Ursprünglich endete das Johannesevangelium (Joh) mit den Erzählungen des Ostertages und der wiederholten Erscheinung des Auferstandenen eine Woche später im Kreis der Jünger und im Beisein des Apostels Thomas (Joh 20,1-29). In den Versen Joh 20,30-31 war das Evangelium mit einer Erklärung zu seiner Zielrichtung abgeschlossen worden: Die Taten Jesu wurden aufgeschrieben, damit die Leser glauben, dass Jesus, der Christus, der Sohn Gottes ist.
Nach diesem ersten Abschluss wurde der Text des Evangeliums um das 21. Kapitel erweitert. In ihm wird eine weitere Erscheinungsgeschichte erzählt (Joh 21,1-14) und die beiden wichtigen Gestalten des Johannesevangeliums noch einmal in den Fokus genommen Petrus und der Jünger, den Jesus liebte. Beide werden in ihrer eigenen Weise des Glaubens und Beziehung zu Jesus in den Blick genommen (Joh 15-23). Auch das 21. Kapitel wird mit einem Abschlusskommentar abgerundet (Joh 21,24-25).
2. Aufbau
Der Evangelientext kombiniert zwei voneinander zu unterscheidende Erzählungen:
- In den Versen 1-14 wird die Erscheinung des Auferstandenen am See Gennesaret (= See von Tiberias) berichtet. Der Autor kombiniert hierzu unterschiedliche Motive (reicher Fischfang, gemeinsames Mahl, Beauftragung), die auch an anderer Stelle im Neuen Testament zu finden sind. Eine besondere Nähe besteht mit zwei Erzählungen aus dem Lukasevangelium. In Lukasevangelium 5,1-11 wird bei der Berufung der ersten Jünger ebenfalls von einem reichen Fischfang erzählt und es ergeht eine besondere Beauftragung an Petrus „von jetzt an wirst du Menschen fangen“. In den Ostererscheinungen in Lukasevangelium Kapitel 24 wird der Zusammenhang von Erkennen und Mahl zweimal aufgenommen: in der Emmauserzählung und in dem Erscheinen vor den Jüngern in Jerusalem, bei der der Auferstandene auch gebratenen Fisch isst. Wie die Darstellungen des Johannesevangeliums und des Lukasevangeliums genau miteinander verbunden sind, lässt sich nicht eindeutig klären. Im Johannesevangelium sind aber bewusst Motive miteinander kombiniert worden, um eine weitere Erscheinungsgeschichte des Auferstandenen mit Petrus und dem Lieblingsjünger Jesu an das Ende des Evangeliums zu setzen.
- In den Versen 15-19 steht Petrus um Mittelpunkt und seine Beauftragung zum „Weiden der Schafe“, die er vom Auferstandenen zugesprochen bekommt. Die dreimalige Frage Jesu „Liebst du mich?“ und die dreimalige Bejahung durch Petrus entsprechen der dreimaligen Verleugnung des Petrus innerhalb der Leidensgeschichte (Joh 18,15-18.25-27). Am Ende der Beauftragung steht die Ankündigung des Martyriums des Petrus.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 1: Die Erscheinung am See von Tiberias wird als „Offenbarung Jesu“ verstanden, d.h. Jesus gibt sich als der Gekreuzigte, Auferstandene und Verherrlichte zu erkennen. Der „See von Tiberias“ erinnert an die Erzählung von der Brotvermehrung in Joh 6,1-15, die ebenfalls am See spielt.
Vers 2: Sieben Jünger sind Zeugen der Erscheinung. Petrus wird wegen seiner besonderen Rolle in der Gruppe und seiner Funktion als Erstzeuge als Erster genannt. Thomas stellt eine Verbindung zu der Erzählung in Joh 20,24-29 her, Natanaël gehört zu den erstberufenen Jüngern (Joh 1,45-50). Die beiden Zebedäussöhne Jakobus und Johannes werden im Johannesevangelium sonst nicht erwähnt, sind aber den Lesern offensichtlich als Apostel Jesu bekannt. Die frühen Ausleger des Evangeliums identifizierten den Autor des Evangeliums mit dem Johannes, Bruder des Jakobus, und dem im Evangelium benannten Lieblingsjünger. Außerdem wird noch auf zwei namenlose Jünger verwiesen.
Verse 3-4: Die Jünger werden bei ihrer vermeintlich alltäglichen Arbeit dargestellt: sie fischen. Dass Petrus und andere der Apostel Fischer waren (vgl. Lukasevangelium 5,1-11) wurde im Johannesevangelium jedoch bisher nicht berichtet. Petrus wird als Anführer der Gruppe beschrieben, was schon auf den späteren Auftrag Jesu verweist. Wie in anderen Erscheinungserzählungen wird der Auferstandene nicht auf Anhieb erkannt. Die Notiz ist hier wichtig, um das Erkennen des Lieblingsjüngers und seinen Bericht an Petrus vorzubereiten.
Verse 5-6: Die vertrauensvolle Anrede „Kinder“ ist eine Beziehungsanrede Jesu an seine Jünger (vgl. Joh 13,33). Ohne ihn darin erkannt zu haben, tun die Jünger, was Jesus ihnen vorschlägt und was ihrem beruflichen Wissen widerspricht: Nach der erfolglosen Nacht werfen sie bei Tag die Netze noch einmal aus und werden vom reichen Fang überrascht.
Vers 7: Die Erkenntnis des Lieblingsjüngers erfolgt unvermittelt und intuitiv angesichts des Fischfangs, den er sofort als Wundertat begreift. Seine Erkenntnis gibt er sofort weiter und Petrus zieht daraus den Schluss, sofort an Land zu eilen. Das Gewand, das er zum Arbeiten abgelegt hat, gürtet er sich wieder um (vgl. Vers 18).
Verse 8-13: Die Begegnung zwischen dem Auferstanden und den Jüngern wird in vielen Einzelschritten erzählt, wobei die Kombination von verschiedenen Überlieferungen zu einigen inhaltlichen Unstimmigkeiten führt. So liegt bereits Fisch und Brot bereit, als die Jünger in Vers 9 an Land kommen, obwohl Jesus doch zuvor um Fisch gebeten hatte und erst danach Petrus das Netz an Land bringt. Das Erkennen des Auferstandenen geht hier dem Mahl voraus, wobei dieses an die Geschichte von der Brotvermehrung (Brot und Fisch) an gleicher Stelle erinnert. Über ihre Erkenntnis „es ist der Herr“ sprechen sie in Anwesenheit des Auferstandenen nicht, es wird auch keine Verwunderung oder Freude berichtet. Die Erzählung der Begegnung bekommt so eine interessante Spannung zwischen Alltäglichem und Wundersamen.
Hervorzuheben ist noch, dass Petrus allein das Netz an Land zieht. Er bringt den Fang in Sicherheit, den sie gemeinsam nicht ins Boot heben konnten. Die Zahl 153 steht für den Reichtum des Fangs, eine weitere symbolische Bedeutung lässt sich nicht (mehr) erschließen.
Vers 14: Die Erzählung wird unterbrochen durch einen Kommentar. Erst hier wird deutlich, dass es sich bereits um die dritte Erscheinung des Auferstandenen handelt, in Vers 1 hieß es nur „wiederum“.
Verse 15-17: Im direkten Anschluss an Vers 13 richtet Jesus seine Frage an Petrus, den er wie schon in Joh 1,41 bei seiner Berufung „Simon, Sohn des Johannes“ nennt. Die Frage des „mehr Liebens“ bezieht sich nicht auf eine größere Liebe zu Jesus als zu den anderen Jüngern, sondern auf die größere Liebe des Petrus im Vergleich zu den anderen Jüngern. In Erinnerung an die dreimalige Verleugnung Jesu stellt Jesus seine Frage dreimal. Dabei wird im griechischen Text sowohl das Wort „lieben“ als auch „weiden“ und die „Schafe“ bzw. „Lämmer“ variiert, um eine lebendige Erzählung zu gestalten. Die Frage bzw. der Auftrag Jesu ist damit inhaltlich identisch und wird doch immer etwas anders ausformuliert. Auch die Traurigkeit, die Petrus vor seiner dritten Antwort befällt, entspricht dem Geschehen des Verrats, wenn auch nur in der Darstellung des Lukasevangeliums (Lk 22,62), wo er nach dem dritten Leugnen, bitterlich weint.
Die Rede vom „Weiden der Schafe“ erinnert an das Wort Jesu von sich als dem guten Hirten in Joh 10,1-21. Es war der Auftrag Jesu für die Schafe zu sorgen und für sie sein Leben hinzugeben (Joh 10,15). Nun vertraut er Petrus trotz dessen Versagens an, das Hirtenamt an seiner Stelle auszuüben. Petrus soll von nun an die Schafe Jesu, seine ihm anvertraute Herde führen. Dabei geht es um die Sorge für die Sicherheit und das Auskommen der Schafe. Jesus hatte betont, dass es „nur die eine Herde und den einen Hirten“ geben wird (vgl. Joh 10,16). Petrus bekommt an dieser Stelle also auch den Auftrag EINE Herde als Hirt zu leiten, d.h. die Schafe zu sammeln und als Gemeinschaft zu führen.
Verse 18-19: Mit dem doppelten „amen, amen“ eingeleitet bekommt die Ankündigung des Schicksals des Petrus eine besondere Betonung. Das Übernehmen der Hirtenaufgabe an Jesu Stelle bedeutet die direkte Nachfolge anzutreten und diese Nachfolge ist immer Kreuzesnachfolge wie das Wort Jesu zeigt. Ist Petrus nun noch in der Lage, sein Schicksal selbst zu gestalten und sich zu gürten (vgl. Vers 7), wird daraus ein sich Ergeben in ein Schicksal werden. Ob die ausgestreckten Hände und das Umgürten durch andere ein klarer Verweis auf das Ende des Petrus am Kreuz sind, ist nicht eindeutig zu sagen. Für die Leser, die um das Schicksal des Petrus wissen, ist die Anspielung jedenfalls klar.
Der Gegensatz zwischen „freiwillig und unfreiwillig“ im Leben des Petrus jedoch das wesentliche Element der Ankündigung Jesu. Denn anderes als Jesus selbst, der sein Kreuz freiwillig auf sich nimmt und damit seine Sendung erfüllt, wird Petrus sich in das Schicksal seines Endes ergeben müssen. Das wiederholte „Folge mir nach!“ am Ende betont, dass der Eintritt in die Nachfolge immer auch die Nachfolge des Kreuzes mitdenkt, selbst wenn nicht jeder Jünger Jesu dies so erleidet.