Die Geschichte von der Hochzeit schließt übergangslos an die Begegnung der ersten Jünger mit Jesus an. Spielte die vorangehende Geschichte noch in Betanien, ist Jesus nun in Kana. Wie alle anderen Wundererzählungen ist auch das Geschenkwunder in Kana mit einer Ortsangabe verbunden. So finden die Zeichenhandlungen Jesu nicht im luftleeren Raum, sondern immer verbunden mit konkreten Orten und damit vorstellbaren Begebenheiten statt. In Kana eröffnet Jesus sein öffentliches Wirken.
Eine jüdische Hochzeit wird normalerweise über mehrere Tage hinweg gefeiert, wann genau der Wein ausgeht, spielt für den Evangelisten keine Rolle. Der Hinweis der Mutter Jesu ist eine indirekte Aufforderung, der Sohn möge sich der Situation annehmen. Mit seiner Antwort distanziert sich Jesus zunächst vom Ansinnen der Mutter. Der Hinweis Jesu auf die noch nicht gekommene Stunde bedeutet, dass er einer anderen Gesetzmäßigkeit untersteht als einfach der einer existierenden Notlage. Wann „die Stunde kommt“ sich zu offenbaren, bestimmt der Vater, nicht der Sohn oder andere. Am Kreuz gipfelt die Offenbarung des Sohnes und darin das Sichtbarwerden der Herrlichkeit Gottes. Deshalb spricht der sterbende Jesus dort direkt davon, dass „die Stunde da sei“ (Joh 17,1).
Trotz des Einwandes eröffnet das Geschenk des Weines bei der Hochzeitsfeier zu Kana die Offenbarung Jesu als des von Gott gesandten Sohnes. Das Geschenk ist Anzeichen der Fülle, die Gott dem Leben der Menschen schenken will – Jesus Christus weist in seinem Wirken und seiner Verkündigung immer wieder auf dieses Geschenk hin (vgl. Joh 10,10).
Anders als der Tafelmeister, dem Verantwortlichen für Essen und Trinken während der Feier, wissen die Diener, die auf Jesu Anweisung das gewandelte Wasser geschöpft haben, von der Herkunft des Weines. Die Diener haben Jesus als den Handelnden erlebt oder vermuten ihn zumindest hinter dem Geschehen. Das eigentliche Woher der Gabe bleibt aber auch für sie verborgen und unerklärlich. Sie bleiben etwas ratlos, ähnlich wie die Samariterin am Jakobsbrunnen etwas später (Joh 4,11).
Die eigentliche Wunderhandlung bleibt unerzählt. Wie groß das Geschenk, der Wandlung des Wassers in Wein ist, wird nur ersichtlich aus der Reaktion des Tafelmeisters. Seine Anmerkung über den guten Wein, der „bis jetzt“ aufbewahrt wurde, macht auf das eigentliche Geschehen aufmerksam.
Mit seinem Handeln wandelt Jesus nicht nur Wasser in Wein. Er verändert die Situation der drohenden Verlegenheit der wahrscheinlich nicht sehr wohlhabenden Gastgeber. Er verändert die Einschätzung des Tafelmeisters gegenüber seinem Auftraggeber, dem Bräutigam. Und er verändert das Fest: Es ist nicht nur so, dass nun mehr Wein da ist. Der neue Wein ist auch besser als der vorherige. Er zeugt von Gastfreundlichkeit, von verschwenderischer Fülle, von Lebensfreude. Das erste Zeichen Jesu sorgt nicht nur dafür, dass das Fest ungetrübt weitergehen kann. Das Fest geht in einer Weise weiter, die für die aufmerksamen Gäste Hinweis sein kann auf etwas, was nur Gott schenken kann: Lebensfülle. Jesu Handeln bewirkt Wandlung in der Materie (Wasser zu Wein), in der Festfreude der Anwesenden und in ihrem Denken und Wahrnehmen. Ihnen wird etwas geschenkt, mit dem sie nicht gerechnet haben (vgl. Anmerkung des Tafelmeisters). Das Geschenk, mit dem nicht zu rechnen ist, das ist das Geschenk, das nur durch Gottes heilvolles Handeln im Leben der Menschen sichtbar wird. Es ereignet sich dort, wo Gott das Unvollkommene, das Geringe, das Unzulängliche unseres Handelns und Denkens durch seine Gegenwart verwandelt. Ähnlich wie in der Erzählung von der wundersamen Brotvermehrung (Joh 6,1-13) geschieht die Wandlung, das Wunder jedoch nicht über die Menschen hinweg. So wie bei der Brotvermehrung der kleine Junge fünf Brote und zwei Fische die Grundlage sind, sind auch hier das Wasser und die Bereitschaft der Diener Grundlage für das, was geschieht: Gott wandelt, was da ist. Er schenkt aus dem Wenigen die Fülle des Lebens.