Ohne ihn, geht es nicht. Das Bild vom Weinstock und den Reben.
1. Verortung im Evangelium
Mit dem 13. Kapitel beginnt der zweite Hauptteil des Johannesevangeliums (Joh). Im ersten Hauptteil (Kapitel 1-12) stand die Sendung Jesu vom himmlischen Vater zu den Menschen und sein Wirken mitten unter ihnen im Fokus. Mit dem Evangelium von der Fußwaschung (Joh 13,1-15) beginnt der Rückzug Jesu aus dem öffentlichen Wirken und zugleich die Rückkehr zum Vater, die mit Tod und Verherrlichung am Kreuz endet. Die Kapitel 13-20 (zweiter Hauptteil) verbringt Jesus vor allem mit seinem Jüngerkreis. Ihnen erklärt er nach der Fußwaschung in den sogenannten Abschiedsreden, die Bedeutung dessen, was ihn dann im Leiden und Auferstehen widerfährt.
Das Thema der ersten Abschiedsrede (Kapitel 14) ist das Weggehen und Wiederkommen Jesu. Die zweite Abschiedsrede (Kapitel 15,1-16,4) nimmt die Einheit der Jünger mit Jesus und zugleich die kommenden Anfeindungen der Welt in den Blick. Der Abschnitt Joh 15,1-8 ist stark durch das Bild der Einheit geprägt, das in einem der „Ich-bin-Worte“ Jesu Ausdruck findet.
2. Aufbau
Im Mittelpunkt des Abschnitts steht das Bild vom „Weinstock“. Es wird in zwei Teilen entfaltet (Verse 1-4 und Verse 5-6) und jeweils eingeleitet durch „ich bin der (wahre) Weinstock“. Die Verse 7-8 nehmen ausgehend vom Weinstock-Bild die Beziehung der Jünger zu Gott, dem Vater Jesu in den Blick.
3. Erklärung einzelner Verse
Das Bild des Weinstocks: Der „Weinstock“ ist nicht nur Teil der Alltagserfahrung. Der Evangelist Johannes greift auf ein Bild zurück, dass die jüdische Tradition bereits verwendet, um Beziehungsaussagen zwischen Gott und seinem Volk zu entfalten. Beim Propheten Jesaja (Jesaja 5,1-7) wird Israel zum Beispiel als Weinberg beschrieben, der nicht die erhofften Früchte bringt. Der Prophet Hosea beschreibt den Verfall des einst „üppigen Weinstocks“ (Hosea 10,1-8). Der Prophet Jeremia zeigt den ebenfalls den guten Anfang und die Verwilderung des Weinstocks, den Gott selbst „als Edelrebe gepflanzt“ hat (Jeremia 2,21).
Verse 1-4: Die Rede von Jesus als dem (wahren) Weinstock ist das letzte von insgesamt sieben „Ich-bin-Worten“ Jesu im Johannesevangelium. „Ich bin“ schließt an an die Offenbarung des Gottesnamens vor Mose: „Ich bin, der ich bin“ (Exodus 3,14). Jesus, der vom Vater gesandt ist, eröffnet in diesen Worten das Wesen Gottes in unterschiedlichen Bildern (Brot des Lebens; Licht der Welt; Tür; guter Hirte; Auferstehung und Leben; Weg, Wahrheit und Leben und Weinstock). Im Vergleich zu den anderen „Ich-bin-Worten“ ist dieses jedoch sehr viel ausführlicher gestaltet. Jesus stellt sich selbst als „wahren Weinstock“ vor und den Vater als den Winzer. Weinstock und Winzer sind ebenso aufeinander verwiesen, wie Weinstock und Reben, wenn auch auf andere Art und Weise. Der Winzer sorgt dafür, dass der Weinstock kraftvoll bleibt, indem er abgestorbene oder unfruchtbare Triebe entfernt. Daran erinnert Jesus auch seine Jünger warnend in Vers 2. Gleichzeitig erinnert er die Jünger an ihre „Reinheit“ (vgl. Joh 13,10). Wenn sie sich an das halten, was Jesus ihnen mitgegeben und vorgelebt hat, bleiben sie mit ihm verbunden und damit „rein“. Wenn die Jünger mit Jesus verbunden bleiben und Frucht bringen, werden sie den „Rückschnitt“ des Winzers nicht fürchten müssen. Wie bereits an anderen Stellen (Joh 10,38; Joh 14,11.20) soll die Formulierung „in mir“, die enge, unzertrennliche Verbundenheit zwischen zwei Partnern ausdrücken. Hier ist die Verbindung zwischen Jesus und den Seinen im Blick.
Verse 5-6: Mit der Wiederholung des „Ich-bin-Wortes“ beginnt der zweite Teil des Gedankenganges. Nun steht die bleibende Gemeinschaft zwischen den Jüngern und Jesus im Mittelpunkt. Gelingt die Gemeinschaft, bringen die Jünger reiche Frucht. Das bedeutet: Bewahren die Jünger „das Wort“ (Vers 3) Jesu und bleiben sie damit selbst rein und in Treue zu ihm, dann wird ihre Weitergabe der frohen Botschaft erfolgreich sein. Ohne den dauerhaften Rückbezug auf Jesus und sein Wirken („getrennt von ihm“) können die Jünger nichts bewirken. Ja, sie werden sogar vom Winzer aus dem Weinstock geschnitten und entsorgt. Das Bild des Feuers verweist in der biblischen Tradition auf das Gerichtshandeln Gottes.
Verse 7-8: Der Akzent des Abschnitts liegt eindeutig in der Betonung der Verbindung. Daher endet er auch mit dem Motiv der Gemeinschaft. Halten die Jünger die Einheit mit Jesus über dessen Worte, dann wird den Jüngern alles gegeben, um was sie bitten. Was die Jünger mit ihren Bitten vollbringen, dient der Verherrlichung des Vaters. Der Evangelist lässt hier die erste Abschiedsrede wieder anklingen (Joh 14,13-14).