Abwesend anwesend. Der Heilige Geist als Zeichen der bleibenden Gegenwart Jesu bei seinen Jüngern.
1. Verortung im Evangelium
Mit dem 13. Kapitel beginnt der zweite Hauptteil des Johannesevangeliums (Joh). Im ersten Hauptteil (Kapitel 1-12) stand die Sendung Jesu vom himmlischen Vater zu den Menschen und sein Wirken mitten unter ihnen im Fokus. Mit dem Evangelium von der Fußwaschung (Joh 13,1-15) beginnt der Rückzug Jesu aus dem öffentlichen Wirken und zugleich die Rückkehr zum Vater, die mit Tod und Verherrlichung am Kreuz endet. Die Kapitel 13-20 (zweiter Hauptteil) verbringt Jesus vor allem mit seinem Jüngerkreis. Ihnen erklärt er nach der Fußwaschung in den sogenannten Abschiedsreden, die Bedeutung dessen, was ihn dann im Leiden und Auferstehen widerfährt.
Das Thema der ersten Abschiedsrede (Kap. 14) ist das Weggehen und Wiederkommen Jesu. Waren die Verse 1-12 dem Fortgehen Jesu gewidmet, so steht nun die bleibende Nähe im Fokus, die auf ein Wiederkommen Jesu hindeutet. Hinzu kommt mit dem Wort „lieben“ ein Motiv, das den weiteren Verlauf der Abschiedsreden prägen wird.
2. Aufbau
Mit Vers 15 wird das Motiv der Liebe in die Abschiedsreden eingeflochten, gemeinsam mit Vers 21 rahmt Vers 15 mit diesem Leitwort die dazwischen liegenden Ausführungen. In den Versen 16-20 steht die bleibende Verbindung Jesu zu den Jüngern im Mittelpunkt, die auch über ein physisches Wegsein hinaus besteht. In den Versen 16-17 wird dies durch den „Beistand“, den der Vater senden wird, ausgedrückt. In den Versen 18-20 wird das „Sehen“ der wegweisende Begriff. Das Thema der Wiederkunft Jesu wird durch die Idee der bleibenden Verbindung bereits angedeutet.
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 15: Der Vers leitet über zum Kommenden und führt das Motiv der Liebe ein. Die Liebe ist das Band, das Jesus mit dem Vater verbindet und seine Beziehung zu den Jüngern kennzeichnet. In Joh 13,1, dem Vers, der zum Passionsgeschehen überleitet, ist von der Liebe zu den „Seinen, die in der Welt waren“ die Rede. Später wird Jesus deutlich machen, dass seine Jünger seinen Tod als Hingabe aus Liebe zu ihnen begreifen sollen (Joh 15,13-14). In Joh 15,14 ist diese Hingabe verknüpft mit dem „Halten“ dessen, was Jesus ihnen aufgetragen hat. Dies korrespondiert mit den Geboten hier in Vers 15. Der Evangelist denkt hier ganz aus dem Alten Testament heraus, wo die Liebe zu Gott sich im Tun seines Willens und damit im Halten seiner Gebote zeigt. Den Geboten Gottes im Handeln zu entsprechen ist jedoch kein „Liebesbeweis“, sondern die logische Konsequenz aus der erfahrenen Zusage Gottes „Ich bin da“. Es ist eine Art Selbstverpflichtung Israels wie es z.B. der Beter in Psalm 119 ausdrückt und Mose in der Wüste formuliert mit Blick auf Gottes Erwählung (Deuteronomium 10,11-15). Wenn hier von den Geboten Jesu gesprochen wird, dann meint dies zum einen alles, was Jesus ihnen mitgeteilt hat (Gebote steht im Plural) und zum anderen nichts anderes als die Gebote des Vaters, denn Jesus und der Vater sind eins. Es ist also die erneute Verpflichtung auf die Gebote Gottes, die durch seinen Sohn an die Jünger weitergegeben wurden und in dem Gebot der Liebe (Joh 13,34) einen Kristallisationspunkt finden.
Verse 16-17: Bereits in Joh 14,13-14 hatte Jesus den Jüngern versichert, dass sie sich bittend an ihn und den Vater wenden können. Hier nimmt Jesus eine unausgesprochene Bitte der Jünger vorweg: Sie benötigen einen Beistand, wenn er nicht mehr als Beistand mitten unter ihnen ist. Das Wort „Beistand“ entspricht im Griechischen dem Wort parakletos (παράκλητος), vom Wortkern her meint es „der Herbeigerufene“. Dies kann sowohl einen Rechtsbeistand (Anwalt) als auch jemand bezeichnen, der aufgrund seiner Autorität, seiner sozialen Stellung etc. als Fürsprecher eintreten kann. Im Judentum der Zeit war der Begriff zum Beispiel auch in Verwendung für Engel oder die Erzväter (Abraham, Isaak, Jakob), die vor Gott als Fürsprecher für die Frommen auftreten. Diese Assoziationen bezieht der Evangelist mit ein, um den Gedanken eines „Beistandes“ inhaltlich zu füllen. Mit all diesen Eigenschaften umschreibt der Begriff zugleich die Beziehung, die Jesus zu seinen Jüngern hat. Jesus bittet beim Vater für seine Jünger und seine Jünger können sich bei Gott auf ihn berufen. Er ist derjenige, der als Beistand und Begleitung die Jünger zu einem Leben ermutigt, das auf Gott ausgerichtet ist. Diese Funktion übt er aus, solange er mitten unter ihnen ist. Wenn er aber zum Vater zurückkehrt, sollen die Jünger nicht verwaist (Vers 18) zurückbleiben. Sie bekommen vielmehr einen neuen Beistand. Diesen Beistand sendet der Vater auf Jesu Wort und er ist Gottes Gegenwart inmitten der Jünger. Dies zeigt sich in seiner Dauerhaftigkeit („für immer bei euch bleiben“) und in seiner Beschreibung als „Geist der Wahrheit“. In Joh 14,6 hatte sich Jesus selbst als „Weg, Wahrheit und Leben“ zu erkennen gegeben. Er ist der „Ich bin da“ inmitten der Jünger und die Wahrheit, die er selbst darstellt, weil er authentisch von Gott, dem Vater spricht, sie wird den Jüngern auch weiterhin offenbart – im Heiligen Geist.
Wie es sich in Jesu eigenem Leben zeigt, ist das Erkennen Gottes in seiner Gegenwart jedoch nicht jedem gegeben. Die Pharisäer beispielsweise sehen in Jesus nicht Gott gegenwärtig, sondern einen, der ihren Vorstellungen von Gott entgegensteht (Joh 9). So wie es also ein gelingendes Verstehen und Erkennen der Gegenwart Gottes in Jesus Christus gibt, so gilt dies auch für den Geist. Den Jüngern erschließt sich die wahre Bedeutung des Geistes, sie nehmen ihn als Begleiter und Beistand wahr, weil sie ihn als „Ich bin da“-Zusage Gottes begreifen. Für alle anderen ist er nicht zu erkennen.
Verse 18-20: Der Evangelist Johannes geht nun zu dem Thema über, das den zweiten Teil der ersten Abschiedsrede prägen soll: Die Wiederkunft Jesu. Allerdings wird dies in den Versen 18-20 zunächst nur als ein Sehen dargestellt. Die Jünger haben nach der Ankündigung Jesu in Joh 13,33 Angst vor seinem Weggang und der Zeit, in der er nicht mehr bei ihnen ist und sie ihm auch nicht folgen können. Dieser Angst hält Jesus die Zusage entgegen, sie nicht alleine zurückzulassen. Damit meint er nicht nur den schon an gekündigten Beistand durch den Heiligen Geist, sondern auch seine eigene Gegenwart. Die Jünger werden ihn sehen, wenn auch auf eine andere, neue Weise. Eine Weise, wie die Welt ihn nicht sehen kann. Die Jünger vertrauen Jesus, sie glauben, dass er Weg, Wahrheit und Leben ist und sie werden in seinem Tod erkennen, dass Jesus darin seine Sendung erfüllt und in die Herrlichkeit des Vaters eingeht. Sie werden ihn daher auch als den zum Vater zurückgekehrten Sohn sehen und sehen, dass er eben nicht tot ist, sondern beim Vater in Herrlichkeit lebt. Indem sie dies verstehen und glauben, sind sie hineingenommen in das Sendungsgeschehen Jesu. Sie sehen Jesus beim Vater und erkennen darin, dass er und sie dauerhaft verbunden sind.
Vers 21: Zu der dauerhaften Verbindung mit Jesus gehört es auf seine bleibende Gegenwart so zu antworten, wie es das Volk Israel bereits tat: Im Halten der Gebote Gottes. Der Evangelist beschreibt das Band der Gegenwart Gottes hier aus der entgegengesetzten Perspektive zu Vers 15. Wer von Jesus erfahren hat, was der Wille Gottes ist, und sich daran hält, der zeigt darin seine Liebe zu ihm. Und wer mit Jesus in dieser Liebe verbunden ist, der wird auch von Vater und Sohn geliebt, und dem wird sich Jesus als Lebendiger zu erkennen geben („offenbaren“).