Gottes ewiges Wort wird Mensch - eine philosophische Vorrede (Prolog) mit einer ganz greifbaren Botschaft: Gott ist in Jesus Christus mitten in unserer Welt gegenwärtig.
1. Verortung im Evangelium
Verglichen mit den anderen Evangelisten eröffnet Johannes sein Evangelium, seine frohe Kunde vom Leben und Wirken Jesu auf ungewöhnliche Weise. In einem philosophisch anmuteten Hymnus spricht er über Jesus als Wort vor aller Zeit, aus dem alles entstanden ist und das in die Welt kam.
2. Aufbau
Der Hymnus (hymnos, ὕμνος, Tongefüge= Lobgesang) zu Beginn des Evangeliums lässt sich in 6 Abschnitte mit jeweils eigenen Schwerpunkten untergliedern.
3. Erklärung einzelner Verse
Verse 1-3: Ähnlich dem Beginn des Buches Genesis ("Im Anfang erschuf Gott Himmel und Erde", Gen 1,1) setzt das Johannesevangelium am "Anfang" an. Der Anfang, von dem der Hymnus spricht, liegt aber noch vor dem Anfang, von dem wir im Buch Genesis lesen. Denn das Wort, von dem gesagt wird, dass es bei Gott war und Gott war, wirkt mit an der Entstehung der Welt und allen Lebens. Was uns die Schöpfungsgeschichte beschreibt, ist nicht zu denken ohne das göttliche Wort, das die Dinge mit ins Dasein ruft. Dieses Wort, ist aber nicht eines von vielen Wörtern, sondern ist Gott selbst.
Verse 4-5: Der Evangelist konkretisiert sein Bild vom Wort: Im Wort ist das Leben und es ist das Licht der Menschen. Dieses Licht ist so stark, dass selbst die Finsternis es nicht ungesehen machen kann. So ist das Licht ein Orientierungs- und ein Anhaltspunkt für die Menschen.
Verse 6-8: Das Nachdenken über das göttliche Wort wird kurz unterbrochen und der Fokus auf Johannes den Täufer und damit mitten hinein in Zeit und Geschichte gelenkt. Johannes ist ein Mensch, der von Gott gesandt, einen einzigen Auftrag hat: Er soll das Licht verkünden und vom Licht als göttliches, lebensschaffendes Licht erzählen.
Verse 9-13: Der Blick wandert zurück zum Licht. Wenn davon gesprochen wird, dass das Wort/Licht in die Welt kommt, dann bedeutet dies umgekehrt, es war nicht immer in der Welt. So wird deutlich, dass es sich um das göttliche, wahre Licht handelt, ein Licht, das nicht aus der Welt stammt. Weil es die Welt zwar mit geschaffen hat, aber nicht selbst Teil der Welt ist, wird das Licht nicht von allen verstanden und erkannt. Etwas kompliziert spricht der Hymnus davon, dass das Licht von den Seinen nicht aufgenommen wurde, aber doch bei einigen Annahme findet. Dort, wo das Licht als Licht und Bereicherung, als Lebenskraft von Menschen verstanden wird, da entsteht Gotteskindschaft. Da werden die Menschen selbst zum Licht. Sie gewinnen an Ausstrahlungskraft und zeigen so, dass sie von Gott Geschaffene, sein Ebenbild sind (Genesis 1,26).
Verse 14-16: Noch einmal präzisiert der Evangelist die Rede vom Wort: Das Wort wird Fleisch, es wird Mensch und tritt damit ganz ein die menschliche Welt, in Raum und Zeit. Was vorher noch sehr philosophisch ausgedrückt war und von Bildern lebte, weil es unfassbar und so ganz anders als die Welt, eben göttlich war, das wird nun greifbar. "Das Wort ist Fleisch geworden" bedeutet Gott wird Mensch. Der theologische Begriff dafür "Inkarnation" (=Fleischwerdung) bringt das sehr klar zum Ausdruck. Denn Fleischwerden meint, sich den Bedingungen der Welt und damit Not, Angst, Hunger, Schmerz, Freude und Leid auszusetzen. In Jesus Christus ist Gottes Wort, das schon vor allem Anfang war, Mensch und lebt als Mensch unter Menschen. Gottes Sohn, der unter den Menschen lebt, zeigt die Herrlichkeit Gottes, macht Gott sichtbar. Die Aufgabe Johannes' des Täufers ist es, die Menschen auf die Spur dieses menschgewordenen Gottes zu bringen. Er verkündet Jesus als denjenigen, der immer schon war und der den Menschen Gottes Gnade schenkt.
Verse 17-18: Die letzten Verse versuchen das Vorangegangene zusammenzufassen: Das Gesetz, das Gott Mose geoffenbart hat, war ein Weg, etwas von Gott zu erkennen und ihm näher zu kommen. Mit Jesus Christus, in dem Gott Mensch wird, wird eine neue Weise der Nähe Gottes zu den Menschen hergestellt. Diese Weise kann von nichts überboten werden, deshalb spricht der Evangelist Johannes von Gnade und Wahrheit. Denn Gott ist der einzige, der wirklich zeigen kann, wie er ist, der sich selbst zeigen und begreifbar machen kann. Wenn sich Gott in Jesus Christus mitten unter die Menschen begibt, dann wird Gott selbst und unmittelbar sichtbar.