1+1=1 - Ein Evangelium gegen die mathematische Logik
1. Verortung im Evangelium
Die wenigen Verse vom guten Hirten aus dem heutigen Evangelium stehen im Kontext eines größeren Abschnitts über Jesus als den Hirten der Herde in Johannesevangelium (Joh) 10,1-21. Das gesamte Umfeld der Verse ist geprägt von einer zunehmend gereizten Stimmung der Juden gegenüber Jesus einerseits und Zeichenhandlungen Jesu andererseits. So hatte er in Joh 9,1-41 einen Blinden geheilt und wird in Joh 11,1-46 den verstorbenen Lazarus auferwecken. In dieses wirkmächtige Handeln Jesu hinein agieren die Gegner Jesu. Die Pharisäer stoßen den geheilten Blinden aus der Synagoge aus, weil er sich zu Christus bekennt (Joh 9,22 und 34). In Jerusalem selbst, direkt nach den Versen des heutigen Evangeliums, will man Jesus steinigen (Joh 10,31-33), weil sie Jesu Rede über die Einheit mit dem Vater nicht ertragen und als Gotteslästerung empfinden („du machst dich selbst zu Gott“, Joh 10,33).
2. Erklärung einzelner Verse
Einführung in die Verse:
Der Text beginnt unvermittelt in einer Rede Jesu. Er ist in Jerusalem in der Halle Salomos im Jerusalemer Tempel rund um das Lichterfest (Chanuka) in der zweiten Dezemberhälfte. Dort trifft er auf Juden, die ihn kritisch herausfordern: „Wie lange hältst du uns noch hin? Wenn du der Christus bist, sag es uns offen!“ (Joh 10,24). Jesus verweist sie auf seine Werke (z.B. die Heilung des Blinden) und seine Worte, die auf ihre je eigene Weise Auskunft über ihn als Sohn des himmlischen Vaters geben. Jesus hält ihnen vor, dass sie diesen Zeugnissen nicht glauben, weil sie nicht zu seinen „Schafen“ gehören (Joh 10,26)
Vers 27-28: Jesus bleibt im Bild von den Schafen und dem Hirten und nimmt so Bezug auf seine ausführlicheren Worte über sein Dasein für die Schafe in Joh 10,11-18. Hier unterscheidet er nun zwischen den Schafen: Die einen hören auf seine Stimme, d.h. sie glauben an ihn als den Sohn des himmlischen Vaters. Die anderen glauben nicht an ihn und seine Werke (Joh 10,26).
Die Beziehung zwischen dem Hirten und seinen Schafen erläutert Jesus in zwei Schritten: Erstens gibt es eine Beziehung, die auf Erkennen und Folgen basiert. Der Hirt kennt seine Schafe, er weiß, was für das einzelne gut ist und sie vertrauen, seiner Führung. Zweitens schenkt Jesus seinen Schafen etwas, was ein „normaler“ Hirte nicht geben kann: Seine Schafe, also die, die auf ihn hören, werden nicht von ihm getrennt, auch nicht durch den Tod.
Ist die erste Aussage noch eine auf der Bildebene, also über das normale Verhältnis von Schaf und Hirte, so überschreitet die zweite Aussage das Bild hinein in die spirituelle Ebene der Fürsorge Gottes für den Menschen.
Vers 29-30: Jesus erweitert die Perspektive vom Hirten und seinen Schafen. Er ist der Hirt, weil sein Vater ihm die Schafe anvertraut hat. Weil die Macht des Vaters unüberbietbar ist, wird niemand die Schafe, die unter Jesu Schutz stehen, von ihm fortreißen. Dies gilt auch für Jesus selbst, denn er und der Vater sind untrennbar.