Das Buch Amos

Am 6,1-7: Wider den Luxus

61Weh den Sorglosen auf dem Zion / und den Selbstsicheren auf dem Berg von Samaria,

den Vornehmen des Ersten unter den Völkern, / zu denen das Haus Israel kommt!

2Zieht hinüber nach Kalne und seht! / Geht von da nach Hamat-Rabba / und steigt hinunter nach Gat, ins Land der Philister!

Seid ihr besser als diese Reiche? / Ist ihr Gebiet größer als euer Gebiet?

3Ihr, die ihr den Tag des Unheils hinausschieben wollt, / führt die Herrschaft der Gewalt herbei.

4Ihr liegt auf Betten aus Elfenbein / und faulenzt auf euren Polstern.

Zum Essen holt ihr euch Lämmer aus der Herde / und Mastkälber aus dem Stall.

5Ihr grölt zum Klang der Harfe, / ihr wollt Musikinstrumente erfinden wie David.

6Ihr trinkt den Wein aus Opferschalen, / ihr salbt euch mit feinsten Ölen, / aber über den Untergang Josefs sorgt ihr euch nicht.

7Darum müssen sie jetzt in die Verbannung, allen Verbannten voran. / Das Fest der Faulenzer ist vorbei.

Überblick

Sich in eine eigene Welt des Wohllebens zurückzuziehen, die zudem noch auf Kosten Anderer in "Betrieb" gehalten wird, ist für Amos kein Lebensentwurf mit Zukunft. Dies gilt erst recht, wenn Menschen meinen, Gott sei - egal was sie tun - die einplanbare Zukunftsversicherung. Über die so tickenden, sich besonders in der Hauptstadt Samaria sammelnden "Typen" stimmt Amos mit seinem "Wehe" ein weiteres Leichenlied (wie schon in 5,1-17) an. Exzessiv Lebende werden mit ihrem bevorstehenden Ende konfrontiert: Deportation. Solches Geschick - in der Fremde leben zumüssen - galt in biblischen Zeiten als Einbruch des Todes in das Leben, ja, war gefühlt schlimmer als der biologische Tod.

 

Einordnung in den Kontext 

Nach Am 5,7-17 und 5,18-21 ist Am 6,1-7 der dritte Wehe-Ruf (s. unter "Überblick" zu Vers 7 in Am 5,1-17) in der großen Spruchfolge Kapitel 5 - 6.  Dabei besteht die größere Nähe zu Am 5,18-20: Die Fehleinschätzung bzgl. des "Tages des HERRN" findet nun ihre Entfaltung darin, dass die von Amos Angesprochenen diesen Gerichtstag mit seinen negativen Folgen geradezu selbst herbeiführen (vgl. Am 6,3). Hat man diese Spur einmal entdeckt, erkennt man eine Fortsetzung der Entsprechungen:

Am 5,18-20            Wehe-Ruf                                        Am 6,1-7

Am 5,21-24            ablehnende Gottesrede                 Am 6,8

Am 5,25                 Frage                                                Am 6,13

Am 5,26-27            Unheilsankündigung                      Am 6,14.

Mit Stichworten wie "Gewalt" (Am 3,10; 6,2), "Wein" (Am 4,1; 6,6) sowie der Nennung kostbarer Liegemöbel (Am 3,12; 6,4) gibt es aber auch noch einen inhaltlichen Bezug zu Am 3,9 - 4,2. Dazu passt, dass die Einleitung zu Kapitel 3 bereits deutlich machte, dass die Erwählung Israels kein automatisches Schutzprivileg ist, sondern eine besondere Verantwortung beinhaltet (vgl. Am 3,1-2). Am 6,1 spielt mit dem Vorwurf der "Selbstsicherheit" wohl auf dasselbe Missverständnis an, die einstige göttliche  Erwählung (gemeint ist die Herausführung aus Ägypten unter Mose) garantiere auch ohne die Übernahme der Verantwortung Unverletzlichkeit.

Doch bei allen Verweisen auf schon Gesagtes bringt Am 6,1-7 ein zumindest in vergleichbarer Ausführlichkeit noch nicht genanntes Thema ein: Luxus. Ihm wird ein in sich geschlossener Spruch gewidmet, der vom Wehe-Ruf am Anfang über die Schuldaufdeckung (Verse 4-6) bis hin zur Unheilsankündigung in Vers 7 alles Notwendige enthält.  

 

Anmerkungen zur Entstehung

In seiner vorliegenden Form zeigt der Spruch allerdings Überarbeitungsspuren, die schwerlich zu Amos passen. Ganz besonders die Anrede "Zion", womit das Südreich Juda und seine Hauptstadt Jerusalem gemeint sind (Vers 1), wie auch die Rede vom bereits erfolgten "Zusammenbruch Josefs" (Am 6,6), die sich nur auf die in zwei Schüben erfolgte Vernichtung des Nordreichs 732 bzw. 720 v. Chr. durch die Assyrer beziehen kann, lassen vermuten: Hier ist die gestaltende Hand derer am Werk, die die ursprünglichen Amosworte auf das Südreich anwenden. Dorthin haben sich die "Schüler" des Amos, die mit den schriftlichen Aufzeichnungen für das Prophetenbuch begonnen haben, nach der Vertreibung des Amos um das Jahr 760 v. Chr. (s. Am 7,10-17)  geflüchtet (s. dazu in der Einleitung in das Amosbuch: Kapitel 2, Eine kleine Biographie des Amosbuches).

 

Vers 1: Die Weichen werden am Anfang gestellt

Ein weiteres Mal also wird mit dem einleitenden Wort "Wehe" (hebräisch: hôy) die bedrohliche Welt des Todes aufgerufen, und zwar über solche, die sich ihres Lebens nur zu gewiss sind. Dabei sind diejenigen "auf dem Berg Samarias" schon bekannt: Amos 3,9 richtete den Laserpointer des Gotteswortes bereits auf die städtischen Wohnburgen der Hauptstadt des Nordreichs Israel - dort aber weniger unter dem Aspekt des Luxus als der Gewalttätigkeit. Unterdrückung ist offensichtlich das vorherrschende Mittel, um zu Reichtümern zu gelangen. Am 4,1 wandte sich explizit den Ehefrauen der Wohlhabenden "auf dem Berg Samarias" zu: Ihre an das Mastvieh aus Baschan erinnernde Leibesfülle kommt ebenfalls nicht durch "friedliches Grasen" zustande. Auch in Am 4,1 häuft sich das Unterdrückungsvokabular.

Wenn in etwas späterer Zeit dieses Amos-Wort auch auf die "sorglosen" Bewohner Jerusalems - dieses ist mit Zion gemeint - angewendet wird, dann steckt schon die Erfahrung dahinter: Für das Nordreich ist die Rechnung des sorglosen und selbstsicheren Vertrauens nicht aufgegangen: Israel ist von den Assyrern besiegt worden und als Nordreich Israel von der Landkarte verschwunden. Weil die Mechanismen in Nord- und Süd-Israel (Juda mit der Hauptstadt Jerusalem) aber prinzipiell dieselben sind, gilt der Wehe-Ruf des Amos auch hier. Dabei verwendet der Text im Blick auf die Bewohner Zions einen Begriff, der  für eine fehlgeleitete Sorglosigkeit (Jesaja 32,9.11; Sacharja 1,15) und Selbstüberschätzung steht, die auch mit verächtlichem Spott über Andere einhergehen kann (vgl. Psalm 123,4).  

Besonders böse ist der Schluss des ersten Verses, der gut zum manchmal schon fast sarkastischen Amos und seiner von der Landwirtschaft geprägten Sprache passt. Ironisch kleidet er den für die Israeliten so wichtigen Gedanken, von Gott erwählt zu sein, in die Rede von den "Vornehmen des Ersten unter den Völkern". “Erstling” ist der klassische Begriff für den jeweils besten Teil landwirtschaftlicher Erzeugnisse (vgl. Am 6,6:, wörtlich: "Erstling der Öle", gemeint sind die besten Öle). Der Begriff für die "Vornehmen" begegnet in Gen 30,20 zur Markierung des Viehanteils, den Jakob sich von Laban als Lohn erbitten soll, könnte also der Viehzüchtersprache entstammen. Die Wendung “Erstling der Völker” findet sich sonst nur noch Numeri 24,20 : “Amalek war das erste unter den Völkern, doch es endet im Untergang.” Am 6,1-7 benennt den gleichen Zusammenhang, - nur eben nicht für Amalek, sondern für Israel bzw. Juda. Denn das Wort “Erstling” (rêšī t) verweist voraus auf V 7, wonach die Adressaten “an der Spitze/als Erste (berôš) der Verbannten” ihren Weg (nach Assyrien) ziehen werden.

 

Vers 2: Entlarvende Fragen

Das Stilmittel der Frage begegnet öfters im Amosbuch (Am 3,3-8; 5,18-20; 5,25; 6,12; 8,8; 9,7) und konfrontiert die Angesprochenen auf besonders direkte Weise mit der Unsinnigkeit ihres Verhaltens. Hier werden, wohl ebenfalls erst nach Amos und den 638 v. Chr. einsetzenden Assyrerfeldzügen gegen die gesamte Westflanke des Vorderen Orients, Reiche genannt, auf deren Untergang schon geschaut werden kann. Warum sollte es Israel (und letztlich auch Juda) besser ergehen, da sie den genannten Königtümern (wohl in Nordsyrien gelegen; vgl. auch Jesaja 10,9) nichts voraus haben - außer die Partnerschaft ihres Gottes, die sie aber durch ihr Verhalten verspielt haben?

 

Vers 3: Gewalt gebiert Gewalt

Dieser Vers spielt auf den "Tag JHWHs" (Einehitsübersetzung: "Tag des Herrn") in Am 5,18-20 an (s. die Ausführungen zu dieser Perikope). Die dort mit ihm verbundene "Finsternis" (statt des erhofften und erwarteten "Lichts" im Sine eines wie auch immer irgendwann bevorstehenden Gerichts Gottes) erhält eine sehr konkrete Kontur: "Gewalt". Jetzt ist wohl nicht die eigene Gewalttätigkeit gemeint, sondern diejenige der feindlichen Völker, die Israel "ein Ende machen werden" (vgl. Am 8,2: "Gekommen ist das Ende zu meinem Volk Israel. Ich gehe nicht noch einmal an ihm vorüber."). Die drohende Gewaltherrschaft  durch Fremde kann als "Spiegelstrafe" für die “Anhäufung der Gewalt in den Wohnburgen” verstanden werden, von der Am3,10 sprach.

 

Verse 4-6a: Sorglosigkeit gebiert Maßlosigkeit

Aufgrund der einleitenden Verse dürfte klar sein, dass die in Vers 4 einetzende Luxuskritik kein Neid auf Polstermöbel sowie feinste Speisen und Getränke ist. Es ist auch noch nicht einmal sicher, dass Amos selbst unvermögend war. Auf jeden Fall behauptet Am 7,10-17, dass sein eigentlicher Beruf - im Viehzucht- und Planatgenbereich - ihn ernährte.

Nein, das offensichtlich in Völlerei ausartende Festmahl ist Ausdruck der Grundhaltung: "Uns kann nichts passieren. Denn erstens haben wir unbegrenzte eigene Möglichkeiten und zweitens haben wir Gott, der uns ja erwählt hat, 'in er Tasche'." Dabei stecken in den gewählten Einzelbeispielen immer noch einmal eigene Pointen.

Das "Faulenzen" auf kostbarsten Sofas bezeichnet an anderer Stelle das "Herabhängen" von Zeltdecken an einer Stange (vgl. Exodus 26,12) bzw. von nicht hochgebundenen Rebzweigen am Weinstock (vgl. Ezechiel 17,6). "Schlaffes Herumhängen" ist also das erste Kennzeichen solchen Verhaltens, das die Außenwelt wie Gott gleichermaßen vergissst. 

Beispiel Numer 2 (Lämmer) muss einem Hirten oder Viehzüchter wie Amos besonders wehtun. In der Säugungszeit wurden nach Ausweis altorientalischer Bildzeugnisse Kälber bzw. Lämmer an das Hinterbein ihrer Mutter angebunden, um den Zugang zum Euter zu sichern. Während dieser Zeit galten die Jungtiere als Tabu. Das stört die hier in Amos 6 Angesprochenen offensichtlich herzlich wenig. Dabei ist "Mastkälber" vermutlich korrekter als "Kälber aus der Fesselung(szeit)" zu übersetzen.

Die aus dem Ruder laufende Musik knüpft mit "Harfe" und "Musikinstrumente" (wörtlich: "Liedinstrumente") begrifflich an Am 5,23 an (auch dort werden "Harfe" und "Lied" genannt"). Die Gelage-artige Zusammenkunft "auf dem Berg Samarias" wird durch die Schilderung des Amos zur Karikatur einer Opferhandlung nach dem Motto: "größer und exzentrischer". Der (vielleicht aus sehr viel späterer Zeit stammende) Vergleich mit König David (von ihm wird erst in 2 Chronik 7,6 als "Instrumentenbauer" erzählt, einer Schrift aus dem 4./3. Jh. v. Chr.) setzt der Maßlosigkeit und Selbstüberschätzung der "Möchte-gern-Musikanten" noch die Krone auf.

Vers 6a ist teilweise begrifflich unsicher. Geht es um Wein aus "Opferschalen" im Sinne des Missbrauchs eigentlich kultischer Geräte oder um die Verwendung überdimensionierter, nicht für das Trinken bestimmter Gefäße, oder hat die frühe griechische Übersetzung des Alten Testaments recht, die von einem besonders aufwendig, durch Reinigungsverfahren "geseihten" Wein ausgeht, was gut zum "besten Öl" passen würde? Gerade diese letzten beiden Wörter sind wörtlich als "Erstling der Öle" zu übersetzen. "Erstling" (hebräisch: rêschīt) war aber schon das Stichwort in Vers 1: "Erstling der Völker", das begrifflich auf Vers 7 "allen Verbannten voran" verwies (hebräisch: berôsch - "an der Spitze der Verbannten"). Es ergibt sich die unheilvolle Aussage: Die sich für das "Spitzenvolk" halten und nur "Sptzenöle" verwenden, werden als "Spitze" den von Assyrien grausam Verschleppten vorangehen.

 

Vers 6b: Verkennung der Wirklichkeit

Aus der Perspektive des erfolgten Untergangs des Nordreichs durch die Assyrer wird das bislang geschilderte Verhalten noch einmal in seiner moralischen Verwerflichkeit benannt: Man hat gefeiert und dabei entweder nicht bemerkt oder sogar in Kauf genommen, dass, während die einen "abhängen", der Staat als ganzer ("Josef") untergeht (zu "Josef" als Bezeichnung für das Nordreich vgl. Am 5,6.14-15; Psalm 80,2). Auf das jetzt allein weiter bestehende Südreich Juda bezogen, dem dieser Versteil wohl besonders gilt: Der Blick auf den Zusammenbruch Josefs müsste Juda ("Zion", s. Vers 1) "krank machen", wie das Verb für "sorgen" wörtlich zu übesetzen ist.

 

Vers 7: Schluss mit lustig

Bei solchem sich ganz auf sich selbst zurückziehenden, nabelsichtigen Treiben, das von falschen Sicherheitsannahmen ausgeht ("Gott duldet alles und rettet immer, weil wir von ihm erwählt sind") und die reale Welt außerhalb der eigenen "Feierwelt" vergisst, bleibt der Untergang nicht aus. Er wird am Ende mit einem hebräischen Sprachspiel, das auf gleichlautenden Silbenklängen beruht, ins Wort gefasst: wesār mirzach serûchîm - wörtlich: "und es endet das Mahl der Herumhängenden".  Das letzte Wort greift wieder eine Vokabel aus Vers 4 auf, die die Einheitsübersetzung singemäß treffend mit "faulenzen" wiedergibt. 

Hintergründiger ist wahrscheinlich aber der für "Fest" gewählte hebräische Ausdruck "marze'ach", der die meisten Belege außerhalb der Bibel hat. Er ist bezeugt von Griechenland (Piräus) bis Ägypten (Elephantine) und ins Nabatäerreich (Petra) sowie vom phönizischen Nordafrika (Karthago) und Südfrankreich (Marseille) bis nach Syrien (Palmyra). Alttestamentlich begegnet er nur noch in Jeremia 16,5 als Trauerfeier. Tatsächlich könnte der zusammenfassende Begriff für die geschilderte "Veranstaltung" in Am 6,4-6 eine Feier von Menschen sein, deren Aufgabe es eigentlich war, z. B. Witwen sozial zu unterstützen. Tatsächlich geht aber der ganze Reichtum in kaum zu erdenkende luxuriöse Zusammenkünfte, die weder etwas mit "Caritas" noch mit Glaube und Religion zu tun haben. 

Auslegung

Schon im "Überblick" wurde verdeutlicht: Aus Amos spricht nicht der Neid eines Besitzlosen; vielleicht aber sehr wohl die Stimme von jemandem, der mit den Besitzlosen mitfühlen kann. Aber er teilt nicht nur als Prophet die göttliche Perspektive, die von Anfang an und durchgängig besonders auf die Armen sieht (vgl. den Blick Gottes für die unterdrückten Hebräer in Ägypten in Exodus 3,7 oder Jesu Wort: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr mir getan" in Mt 25,40). Er schaut zugleich wie mit einem Röntgenblick in das Innere seiner Zeitgenossen hinein und entlarvt Beweggründe.

 

Bereits Vers 1 hat es in sich

Gleich in Am 6,1 wird der "Laserpointer" vom äußeren Phänomen (Reichtum, der auf Kosten Anderer erworben wird) auf die zugrunde liegende Haltung gerichtet. Es geht nicht einfach um schnöde Gewinnsucht oder Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid Anderer. Das Wort, das die Einheitsübersetzung mit "Selbstsicheren" übersetzt, heißt wörtlich: "Vertrauende". An dem zugrunde liegenden Verb "vertrauen" (hebräisch: batách) scheiden sich biblisch die Geister, je nachdem ob die Menschen auf Gott (z. B. Ps 4,6 ; 9, 11), auf Menschen (Psalm 118,8-9) oder auch Götzen (Psalm 135,18) oder schleßlich auf Mittel der Unterdrückung und des Terrors vertrauen. Jesaja 30,9 verwendet ausdrücklich als Objekt des Vertrauens das Wort 'oschaeq (Einheitsübersetzung: "Gewalt"), das ähnlich in Am 3, 9 (hebräisch: 'aschûq - Einheitsübersetzung: "Unterdrückung") und in 4,1 (hebräisch: 'ascháq - "ausbeuten") begegnet.Mit anderen Worten: Die in  Am 6,1 angesprochenen Reichen auf dem Berg Samarias vertrauen auf ihre Methoden sowohl hinsichtlich des Erfolges als aber wohl auch in dem Glauben, dass ihr Setzen auf die falschen Mittel nichts am göttlichen Schutz ändere.

Auf dem Hintergrund dieser Worte klingt der 1945 von den Nationalsozialisten hingerichtete Jesuit Pater Alfred Delp SJ (1907 - 1945) wie ein in unsere Zeit hineingesprungener Amos, wenn er im Gefängnis, die Vollstreckung des Todesurteils erwartend, als Auslegung der Bitte an den Heiligen Geist, das Erstarrte zu beugen (sogenannte Pfingst-Sequenz), schreibt: "... der Bürger-Sinn für die größere Verantwortung starb und übrig blieb der bürgerliche Hunger und Durst nach Wohlfahrt, Pflege, Ruhe, Bequemlichkeit, gesichertem Besitz. ... Dieser Typ ist grundsätzlich nicht überwunden, weil alle Gegenbewegungen eigentlich nicht den Typ negieren, sondern nur den Ausschluß eines Teil der Menschen von den Lebensmöglichkeiten des Typs. ... Und der bürgerliche Mensch hat nicht versäumt, sich in der Kirche breit zu machen und die Ideale der menschlichen Schwäche: Besitz, Macht, gepflegtes Dasein, gesicherte Lebensweise: innerhalb des kirchlichen Raums anzusiedeln." (Alfred Delp, Veni Sancte Spiritus, in: ders., Gesammelte Schriften Bd. IV. Aus dem Gefängnis(, hrsg. v. Roman Bleistein, Frankfurt a. M. 1984, 263-305, hier: S. 299-300).

 

Vers 6: Wein und Öl

Die nebeneinander stehende Nennung von Wein und Öl erhält ihr besonderes "Geschmäckle", wenn man auf Psalm 23,5 schaut. Im berühmten Hirtenpsalm ("Der HERR ist mein Hirt") wird Gott an dieser Stelle im Bild des königlichen Gastegebers angesprochen: Sein Kennzeichen ist Großzügigkeit, die sich im bis zum Rand gefüllten Weinpokal zeigt, aber auch darin, dass er kostbares Öl zur Verfügung stellt, um damit das Haupt zu salben. Dies spielt an auf den Brauch, etwa am Hof bei königlichen Empfängen an die Gäste Kopfbedeckungen auszuteilen, die von innen mit aromatischen Ölen bestrichen waren. Diese verteilten sich im Laufe der Zeit aufgrund der Körperwärme über das Geischt, was als angenehm empfunden wurde.

Der Beter  in Psalm 23 wählt beide Aussagen als Bilder dafür, wie er in seinem Leben Gott als großzügig und als Gebenden erfährt. Deshalb kann er ihn auch als "meinen Hirten" ansprechen. In Am 6,6 hingegen geht es weder um Bilderprache noch um den Lobpreis Gottes oder eine Äußerung von Dankbarkeit ihm gegenüber. Vielmehr geht es um teures Vergnügen, für das andere bis zum Zusammenbruch schuften müssen (das Thema "Wein" verweist indirekt zurück auf Am 4,1:  "Hört dieses Wort, ihr Baschankühe auf dem Berg von Samaria, die ihr die Schwachen ausbeutet und die Armen zermalmt und zu euren Männern sagt: Schafft herbei, wir wollen saufen!"). Und es geht darum, Gott zu vergessen. Die unangenehme Wirklichkeit auszublenden und sich selbst in eine sinnenbetäubende Welt zurückzuziehen - diese Gefährdung des Menschen ist nicht ausgestorben. Die Heilige Schrift sieht allerdings die größeren chancen in der Haltung, die Psalm 23 zum Ausdruck bringt.

Kunst etc.

Assyr. Elfenbeinschnitzerei: Kuh säugt Kalb, 9.-8. Jh. v. Chr., CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication
Assyr. Elfenbeinschnitzerei: Kuh säugt Kalb, 9.-8. Jh. v. Chr., CC0 1.0 Universal Public Domain Dedication

Das gezeigte Elfenbeinrelief zeigt, welche Bedeutung im Alten Orient der Beziehung zwischen säugendem Muttertier und ihrem Jungen zuerkannt wurde. Dieses innige Band, das in anderen Darstellungen noch durch ene tatsächliche Anbindung an den Hinterlauf des Muttertieres verdeutlicht wird, allein aus lukullischen Interessen zu zerreißen, ist für Amos 6,4 ein überdeutliches Zeichen für die jegliche Empathie ausblendende, und einzig sich selbst "pflegende" Lebensweise gewisser Kreise in Samaria. Für sie lässt sich Gott nicht als Garant der Ungestörtheit vereinnahmen.