Die Ägypter sind die Opfer der Gewalt Gottes, die am Ende tot am Ufer liegen. Und Mose singt mit den Israeliten ein Loblied auf diese Gewaltszenerie.
1. Verortung im Buch
Zwei grundlegende Verheißungen vom Anfang des Buches Exodus haben sich noch nicht erfüllt, als Israel am Schilfmeer ankommt: Ägypten hat noch nicht die Macht Gottes anerkannt (Exodus 7,5) und Israel ist noch nicht endgültig aus seinem Sklavenhaus erlöst (Exodus 6,6). Im Durschreiten der Wassermassen und dem folgenden Tod der Ägypter erkennt Israel die Macht Gottes und auch die Bedeutung seines Volksnamens: „Gott kämpft“ (vergleiche aber auch Genesis 32,29).
2. Aufbau
Die in den Versen 13-31 erzählte Rettung am Schilfmeer ist der Höhepunkt einer Erzählung, die mit dem Weg Israels, angeführt durch Gott, in die Wüste beginnt (Exodus 13,20-22) und sich durch die Verhärtung des Herzens des Pharaos zu einem Drama entwickelt (Exodus 14,1-14), in dessen Zentrum, der Unglaube Israels steht. Die, die die militärische Macht Ägyptens fürchten, gelangen zur Gottesfurcht (Exodus 14,11-12 und Vers 31), woraufhin im folgenden Kapitel ein großartiger, psalmenähnlicher Lobgesang Gottes erklingt. Diese Erzählung wird durch drei Reden Gottes strukturiert (Verse 1-4; 15-18; 26), die hervorheben, dass Gott der Handelnde ist: Er zieht für sein Volk in den Krieg: „Fürchtet euch nicht! Bleibt stehen und schaut zu, wie der HERR euch heute rettet! Der HERR kämpft für euch, ihr aber könnt ruhig abwarten.“ (Verse 13-14).
3. Erklärung einzelner Verse
Vers 15: Mose, der noch in den Versen 13-14 das Volk ermutigt hatte, im Angesicht der ägyptischen Bedrohung auf Gott zu vertrauen, wird von Gott für den Unglauben des Volkes verantwortlich gemacht. In Vers 10 heißt es: „Da erschraken die Israeliten sehr und schrien zum HERRN.“ In Vers 15 antwortet Gott dann jedoch: „Was schreist du zu mir?“
Vers 16: Der Stab Moses steht im Buch Exodus und im Besonderen in den Erzählungen von den Plagen für das Handeln Gottes durch Mose (siehe Exodus 4,17). Die Spaltung des Meeres und der dadurch entstehende trockene Boden zeigen die Macht Gottes als Schöpfer der Welt, der die Urwasser spaltete und das Land aus ihnen auftauchen ließ (siehe Genesis 1,6.9).
Verse 17-18: Das verhärtete Herz des Pharaos und die Herrlichkeit Gottes, hängen nicht nur gemäß der Handlung zusammen, sondern beides wird im Hebräischen mit derselben Wortwurzel (כבד) ausgedrückt. Die Absolut-Setzung des menschlichen Willens steht somit der Herrlichkeit Gottes entgegen. Auch der Kontrast zwischen Israel und Ägypten wird drastisch formuliert: Dem Stab Moses stehen Streitwagen und Reiter entgegen.
Verse 19-20: Der die Israeliten anführende Bote Gottes wird mit der in Exodus 12,21-22 erstmals erwähnten Wolken- bzw. Feuersäule, die das Volk durch die Wüste führt, identifiziert. Sie dient als Trennschutz zwischen den lagernden Israeliten und den herannahenden ägyptischen Streitmächten. Sie hat eine doppelte Funktion, wie der schwer zu übersetzende Vers 20 anzeigt. Wörtlich heißt es hier: „Und es war die Wolke und die Finsternis und er/es erleuchtete die Nacht.“ Das Wort „Finsternis“ verweist zurück zur Erzählung der neunten Plage: Über ganz Ägypten lag die Finsternis und nur die Wohnungen der Israeliten waren hell erleuchtet (Exodus 10,21-29).
Verse 21-22: Es wird betont, dass nicht Mose das Meer spaltet, sondern Gott in dem Moment handelt, als Mose seine Hand, bzw. den Stab über das Meer streckte. Wie schon in der achten Plage wirkt Gott durch den Ostwind (siehe Exodus 10,13). Dort brachte der Ostwind die Heuschrecken ins Land, hier nun lässt er das Meer zum Trockenen werden, indem die Wasser gespalten werden. Im hebräischen Text ist diese Aussage mit einer tiefergehenden Metaphorik verbunden. Der aus dem Osten kommende Wind verdeutlicht, dass Israel in Richtung des Sonnenaufgangs zieht, der für das Handeln Gottes steht (siehe Psalm 46,5).
Verse 23-25: Wie in Vers 17 angekündigt zieht die gesamte ägyptische Streitmacht hinter den Israeliten her inmitten des Meeres. Am Übergang von der Nacht zum Morgen, als aus der Feuersäule die Wolkensäule wird, greift Gott direkt ein. Martin Buber und Franz Rosenzweig zeigen mit ihrer Übersetzung deutlich, was das „Schauen Gottes“ bedeutet: „ER bog sich gegen die Reihen Ägyptens nieder“. Gott selbst tritt nun als Kämpfer auf und erweist seine Herrlichkeit, indem er unter anderem sie in ihrer Panik aufgrund des Gottesschreckens nur „schwerlich vorankommen ließ“. Dies wird, ebenso wie die Herrlichkeit Gottes in Vers 18, mit der Wortwurzel (כבד) ausgedrückt: Die Herrlichkeit Gottes erweist sich im beschwerlichen Vorankommen der Ägypter, wie diese selbst eingestehen – womit sich die Aussage von V 18 sowie die Ermutigungsrede Mose in Vers 14 und die Verheißung aus Exodus 7,5 erfüllen.
Verse 26-28: In den erneuten Worten Gottes zu Mose wird deutlich, dass die Verherrlichung Gottes durch den Tod der Ägypter erfolgen wird. Vorausgesetzt wird im Text, dass die Israeliten bereits durch das Meer hindurchgezogen sind (siehe Vers 29), während die Ägypter sich noch mitten im Meer, das sie nun ertränken wird, befinden. Und zudem wird vorausgesetzt, dass nun ein Westwind, dem die Ägypter entgegenfliehen, die Wasser an ihren Ort zurückbringt (vergleiche den Westwind, der die Heuschrecken zurück ins Schilfmeer trieb in Exodus 10,19).
Verse 29-31: In den letzten Versen der Erzählung werden die Ereignisse kurz und prägnant zusammengefasst. Das Resultat ist ein zweifaches: (1.) Der Text sagt nicht aus, dass die ägyptische Streitmacht oder der Pharao tot am Ufer liegen, sondern verallgemeinert, dass Israel aus der Hand der Ägypter befreit hat und dass somit ganz Ägypten für Israel keine Gefahr mehr darstellt. (2.) Die Furcht der Israeliten vor den Ägyptern (Vers 10) ist nun der Gottesfurcht gewichen. Entgegen der in den Versen 11-12 geäußerten Kritik an Mose glauben sie nun „an den Herrn und Mose, seinen Diener“ (vergleiche Exodus 4,31).
Vers 1: Nach der Rettung stimmt Mose für die Israeliten einen Lobpreis Gottes an, in dessen erstem Satz die todbringende Verherrlichung Gottes an den Ägyptern besungen wird.