Der Glaube, von dem Paulus gleich am Anfang spricht, ist für ihn tiefe Erfahrungswrklichkeit: das Vertrauensverhältnis zu Gott und seinem Sohn, aus dem er Hoffnung schöpfen und sein Herz füllen lassen kann.
Einordnung der Lesung in den Römerbrief
Der Römerbrief bereitet den Antrittsbesuch des Paulus in der Christengemeinde von Rom vor, die er nicht selbst gegründet hat und aus der er nur einzelne Personen von früher her kennt. Aus diesem Anlass stellt er in gewisser Weise seine gesamte Theologie den römischen Christinnen und Christen dar. Er möchte sich mit ihnen über den gemeinsamen Glauben austauschen (vgl. Römer 1,12).
Von diesem Glauben hat er in Kapitel 4, das dem heutigen Lesungsabschnitt direkt vorangeht, am Beispiel Abrahams gesprochen, der als Greis und Ehemann einer ebenso alten Frau gegen alle Hoffnung gehofft und gelaubt hat, dass Gott zu seinem Versprechen steht, den beiden einen Nachkommen zu schenken.
Daran anknüpfend formuliert Paulus im ersten Vers des fünften Kapitels, mit dem auch die Lesung beginnt:
"Gerecht gemacht also aus Glauben ..." (Römer 5,1).
Aufbau der Lesung
Damit ausgehend von der Vergangenheit (die "Gerechtmachung" erfolgte im bereits vergangenen Kreuzestod Jesu und seiner Auferweckung), kommt Paulus über die Gegenwart ("... haben wir Frieden mit Gott", wir stehen "in seiner Gnade": Verse 1b.2) auf die Zukunft zu sprechen. Das zugehörige Stichwort lautet "Hoffnung". Dieses wird in Vers 2 eingeführt.
In einem zweiten Anlauf bahnt Paulus ab Vers 3 in Form eines sogenannten "Kettenschlusses", bei dem zwei Teilsätze immer durch dasselbe Wort verbunden sind, noch einmal neu den Weg von der Gegenwart ("Bedrängnis") zur Zukunft ("Hoffnung"). Diese liegt wiederum in der "Liebe Gottes" begründet. Die "Kettenglieder" lauten: "Bedrängnis(se)" - "Geduld" -"Bewährung" - "Hoffnung".
Der zweite Teil des Gedankenganges, Verse 6-11, in dem Paulus von Jesus Christus her argumentiert, wird am Hochfest Heiligstes Herz Jesu gelesen.
Vers 1a "Gerecht gemacht aus Glauben"
Wie oben bereits gesagt wurde, schließt die Eingangsformulierung der Lesung an das vierte Kapitel an. Dort hat Paulus von dem hoffenden Glauben des Abraham gesprochen. Die konkrete Rede des Paulus vom Glauben "gegen Hoffnung in Hoffnung" (Römer 4,18) nennt der Neutestamentler Michael Theobald einmal "eine seiner glücklichsten Wortschöpfungen" (M. Theobald, Römerbrief Kapitel 1 - 11 [Stuttgarter Kleiner Kommentar Neues Testament 6/1] Stuttgart, 21998, S.132). Ja, es war alles andere als wahrscheinlich und damit zu hoffen, im hohen Alter noch ein Kind zu bekommen. Und doch hat Abraham Gott geglaubt.
In diesem hoffenden Glauben ist Abraham durch Gott selbst bestätigt worden: Gott rechnete diesen Glauben Abraham als "Gerechtigkeit" an. So heißt es bereits in Genesis 15,6 und Paulus zitiert diesen Vers in Röm 4,3: "Denn was sagt die Schrift? Abraham glaubte Gott und das wurde ihm als Gerechtigkeit angerechnet." Alles, was in Kapitel 4 - also dem vorangehenden Text zur heutigen Lesung - folgt, legt immer wieder nur diesen einen Satz aus. Ja, Gott hat seine Verheißung, dem Erzelternpaar Abraham und Sara einen Sohn zu schenken, in Isaak wirklich wahr gemacht. Diese Zuwendung Gottes zu Abraham, der zwischendurch auch viele Zweifel kannte und Gott sein Versprechen nicht geglaubt hat, setzt Paulus in Verbindung zum Glauben der Christen an den Tod und die Auferweckung Jesu:
23 Doch nicht allein um seinetwillen[gemeint ist Abraham] steht geschrieben: Es [d. h. sein Glaube] wurde ihm [als Gerechtigkeit] angerechnet, 24 sondern auch um unseretwillen, denen es angerechnet werden soll, uns, die wir an den glauben, der Jesus, unseren Herrn, von den Toten auferweckt hat. 25 Wegen unserer Verfehlungen wurde er hingegeben, wegen unserer Gerechtmachung wurde er auferweckt. (Römer 4,23-25)
Paulus sieht also die Christen in der Spur des Abraham, wobei an die Stelle der Gabe des leiblichen Sohnes Isaak die Gabe des Gottessohnes Jesus tritt. Und an die Stelle der Not langjähriger Kinderlosigkeit bei Abraham und Sara tritt die Not des Menschen, vor Gott immer auch ein Scheiternder zu sein, den Gott jederzeit von sich weisen könnte. Gott tut es aber nicht, sondern sagt zum Menschen trotz allem, was nicht gelingt, sein Ja. Gott hält treu am Menschen fest, den er als Geschöpf ins Leben gesetzt hat.Das nennt Paulus "gerecht machen". "Gerecht"heißt also bei Paulus im Blick auf Gott: treu; im Blick auf den Menschen heißt "gerecht": Er ist von Gott vorbehaltlos angenommen. Das ist für Paulus die große Hoffnungsbotschaft für die, die an diesen den Menschen nie fallen lassenden Gott glauben können.
Vers 1b-2: "Wir leben in Frieden mit Gott"
Die von Gott selbst hergestellte Situation, dass der Mensch angesichts Gottes weder aufgrund seiner Nöte und Sehnsüchte (vgl. Abraham und die Not der Kinderlosigkeit) noch angesichts eines Trümmerhaufens, der sich im Leben unter Umständen ergeben hat, verzweifeln muss, sondern auf Gottes Nähe hoffen darf, nennt Paulus "in Frieden mit Gott leben". "Frieden" ist eine große, alttestamentlich geprägte Vokabel. Das hebräische Wort "schalom" meint keineswegs nur politischen Frieden, sondern Wohlergehen in allen Bereichen. Sich mit jemanden absolut versöhnt zu wissen; also vertrauen zu dürfen, dass der andere nichts gegen mich hat, ist auch eine Dimension des Wohlergehens und damit Friedens, auf die Paulus hier anspielt.
Wenn er in der Fortsetzung vom "Zugang zur Gnade" spricht, so ist dies eine Umschreibung desselben Sachverhalts, nur mit der Bildwelt des Königtums. Wer Zugang zum Thron und damit zum König hatte, hatte dessen Gnade gefunden und durfte auf Hilfe hoffen. Paulus versteht "Gnade" wie einen Ort, an den man sich begeben kann. Und dieses Bild passt, weil "Gnade" für Paulus letztlich Gott selbst ist, insofern er sich gibt. Und dieses "Sich Geben" ist letztlich Gottes Ja zum Menschen ohne Vorbedingung, das er in Tod und Auferweckung Jesu ausgesprochen hat. Das Wort Jesu "Ich bin die Tür" (Johannes 10,7.9) und das Wort des Paulus "Wir haben Zugang zu Gottes Gnade" entsprechen einander.
Verse 3-5: Von der Bedränngis zur Hoffnung
Der oben beschriebene "Kettenschluss" macht deutlich, dass Paulus keine Lufschlösser baut, sondern die Welt, wie sie ist, in den Blick nimmt. Ihm mögen andere Bedrängnisse vor Augen gestanden haben als uns. Aber dass in dieser Welt nicht einfach alles gut ist und vonn einem allgemeinen umfassenden Wohlergehen der Menschen nicht gesprochen werden kann, hat sich bis heute nicht geändert. Glaube besagt aber, dass alles, was auch immer unter Bedrängnis gefasst werden mag in dieser Welt, nicht das letzte Wort haben wird. Das letzte Wort hat Gottes allversöhnende Liebe, auf die wir hoffen dürfen.
Es ist dieselbe Liebe, die sich nicht zu schade war, sich - ohne schuldig zu sein - auf den Weg des Verbrechertodes am Kreuz einzulassen, um ihn von innen her zu entmachten: Das meint Auferweckung. Dass diese Liebe mitzuhören ist am Schluss der Lesung, wird die Fortsetzung des Römerbriefs in der Lesung am Fest Heiligstes Herz Jesu (Römer 5,5b-11) zeigen. Der heutige Lesungstext nennt indirekt als ersten und grundlegenden Erfahrungsort dieser göttlichen Liebe die Taufe. Dabei überträgt Paulus kreativ die geprägte Rede von der "Ausgießung des Heiligen Geistes" (vgl. Joel 3,1-2), die in jeder Taufe geschieht, auf die Liebe Gottes, die - wie Wasser, mit dem man gießt - den Menschen zum inneren Aufblühen bringen und besonders dann durchfeuchten soll, wenn der Mensch sich ausgetrocknet vorkommt.