"Wovon das Herz voll ist, davon geht der Mund über." Man hat fast den Eindruck, dieses Sprichwort habe Paulus im Kopf gehabt, als er sich an die Abfassung seines Briefes an die Gemeinde von Rom machte. Bereits der Anfang dieses Schreibens, der die heutige Lesung bildet, sprudelt nur so über von gewichtigen Aussagen.
Einordnung der Lesung in den Gesamtbrief
Eine Grußadresse, die es in sich hat - so kann man sagen. Formal fängt der Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom an, wie eben ein Brief anfängt:
mit der Nennung
des Absenders (Vers 1: "Paulus ...."),
des Adressaten (Vers 7: "an alle in Rom")
und
mit einem "klassischen" Einstiegsgruß, der natülich eine deutlich christliche Handschrift trägt: "Gnade sei mit euch und Friede ...".
Dieser an sich unauffällige Beginn könnte ja so kurz sein, wenn nicht fast jedes Wort zum Auslöser einer ganzen Wortkette würde, deren Inhalt sich nun keineswegs auf die Elemente Absender, Adressat und Gruß engführen lassen. Eher wird der Einstieg in den Brief schon als eine Art Einstiegspredigt genutzt. Man hat den Eindruck, Paulus will gleich am Beginn bereits soviel wie möglich der christlichen Gemeinde von Rom mitteilen, die er bislang noch nicht persönlich kennengelernt hat. Er beabsichtigt vielmehr, sie demnächst zu besuchen, wenn er aus Korinth zurückgekommen sein wird, um in Jerusalem die eingesammelten Kollektengelder abzugeben und dann über Rom ins nächste "Missionsland" Spanien zu reisen. Dieses Stichwort "Spanien" hebt sich Paulus allerdings bis zum Schlusskapitel auf (Römer 15,24). Einerseits will er die römische Christengemeinde wohl nicht gleich vor den Kopf stoßen, sie seien nur "Zwischen-" oder "Durchgangsstation". Zum anderen hat die Hintanstellung der Reisepläne aber auch einen sehr gewichtigen inhaltlichen Grund: Paulus beginnt mit dem, was ihm wirklich wichtig ist und am Herzen liegt: dem Evangelium von Jesus Christus. Und so fällt er ohne jede vorangehende "Charmeoffensive" direkt "mit der Tür ins Haus".
Vers 1: Selbstvorstellung
Mit dem Titel "Knecht"/"Diener"/"Sklave" reiht sich Paulus in die Gruppe Propheten ein, die sich als Sprachrohr Gottes und ganz im Dienst ihres göttlichen Auftraggebers stehend. verstanden (vgl. z. B. Amos 3,7: "Nichts tut GOTT, der Herr, ohne dass er seinen Knechten, den Propheten, zuvor seinen Ratschluss offenbart hat."). Dieses "Hörigkeitsverhältnis" bezieht Paulus nun noch strenger auf Jesus Christus. Allerdings beschreibt "Knecht Jesu Christi" bei ihm nicht nur seine Beauftragung von Christus her, die er einst in einer persönlichen Offenbarungserlebnis vernommen hat. Vielmehr beschreibt der Ausdruck die grundsätzliche Herrschaftsstellung, die Jesus Christus als absolut das Leben bestimmende Gestalt einehmen soll - für jede, und jeden, die bzw. der an Jesus Christus glaubt.
Der Entsprechungsbegriff zu "Knecht Jesu Christi" ist daher "Herr Jesus Christus" (Vers 7), der passenderweise das letzte Wort der heutigen Lesung darstellt und sich dabei auf alle Angesprochenen bezieht: A l l e sollen Jesus als ihren Herrn anerkennen.
"Berufen zum Apostel" leitet einerseits über zur Aufgabe, zu der Paulus sich als "Knecht Jesu Christi" beauftragt sieht. Er ist ein zu den Menschen "Gesandter" (griechisch: apóstolos). Zugleich klärt Paulus mit der Feststellung einen Legitimationsstreit. Denn es gibt in seinen Gemeinden durchaus Menschen, die ihm den Apostel-Titel nicht zuerkennen wollen. Tatsächlich war Paulus ja kein Weggefährte Jesu und kein direkter Zeuge von Tod und Auferstehung Jesu. Seine "Behauptung", ihm sei aber der Aufersandene im Nachhinein erschienen, als letztem einer großen Kette von Zeugen (vgl. dazu 1 Kor 15,6-7), hat offensichtlich nicht allen genügt. Dennoch sieht Paulus sich selbst einer, der glaubwürdig Zeugnis vom auferweckten Gekreuzigten geben kann und hält in diesem Sinn am Anspruch fest, Apostel zu sein. In solcher Autorität schreibt er an die Gemeinde von Rom.
Die dritte Ausführung leitet über zur inhaltlichen Füllung des Aposteldienstes: "das Evangelium Gottes zu verkünden" (zum dahinter stehenden "Evangelium"-Begriff s. unter "Auslegung").
Vers 2: Die große Spur Gottes
Vers 2 präzisiert ordnet das "Evangelium Gottes" ein in die Linie der Verheißungen Gottes, die im Alten Testametn festgehalten sind. Innerhalb des Römerbriefs wird Paulus diesen Gedanken im 4. Kapitel am Beispiel Abrahams konkretisieren. Die Argumentation, Christus aus der alttestamentlichen Heilsgeschichte Gottes zu verstehen - da es immer um ein und denselben Gott geht -, ist für Paulus absolut üblich und findet sich z. B. auch sehr ausführlich in seinem Brief an die Gemeinde von Galatien (vgl. Galater 3,6-18: wieder am Beispiel Abrahams; Galater 4,21-31: am Beispiel von Abrahams und Saras Sohn Isaak).
Vers 3-4: Ein Miniatur-Credo, das es in sich hat
Erst jetzt kommt Paulus zum eigentlichen Inhalt des "Evangeliums Gottes". Erkennbar ist dieser Inhalt die Verkündigung von Jesus Christus, die in einer Art Miniatur-Credo zusammengefasst ist. Der Wortlaut dürfte im Grundbestand weniger auf Paulus selbst zurückgehen als vielmehr aus einer bereits bestehenden judenchristlichen Tradition übernommen sein.
Das übergeordnete Bekenntnis lautet: Jesus ist der "Sohn Gottes". In der jüdischen Tradition ordnet sich dieser Begriff ein in die Erwartung eines künftigen Heilsbringers, den man sich wohl eher menschlich vorstellte, mit dem sich Gott aber absolut identifiiziert. Dies drückt sich aus in dem Zuspruch: "Mein Sohn bist du. Ich selber habe dich heute gezeugt" (Psalm 2,7). Hier geht es nicht um Biologie, sondern gemäß altorientalischen Vorstellungen eher um Adoption.
Diese Heilsbringergestalt, die u. a. mit der Erwartung eines Friedensbringers verbunden war, aber auch mit der Schaffung sozialer Gerechtigkeit, erwartete man aus dem Stammbaum des Königs Davids. Genau in diese Linie wird Jesu nun im ersten Bekenntnissatz (wörtlich: "geworden aus dem Samen Davids dem Fleische nach") eingeordnet. Es ist derselbe Gedanke, den Matthäus in die Form des Stammbaums Jesu gießt, der von Abraham über David bis zu Jesus reicht (Matthäus 1,1-17). Über das Geheimnis der jungfäulichen Empfängnis durch den Heiligen Geist denkt - im Gegensatz zu Matthäus - Röm 1,3-4 noch nicht nach. Vielmehr wird die Rede vom Heiligen Geist (in gut hebräisch gedachter und damit eben als judenchristlich erkennabrer Formulierung: "Geist der Heiligkeit") auf den zweiten Teil des Glaubesnbekenntnisses bezogen.
Die Einordnung in die Verheißungslinie des Königs David reicht nicht aus, um das Geheimnis der "Gottessohnschaft" Jesu zu erfassen. Denn mit Kreuzestod und Auferweckung kommt etwas hinzu, was in der jüdischen Messias-Erwartung überhaupt nicht enthalten war: die Überwindung des Todes. Genau das aber ist die Perspektive, in welcher der Mensch Jesus Gottessohn ist: als vom Vater gesandter Todüberwinder.
Aber selbst das reicht noch nicht als Kennzeichnung des spezifisch christlichen Glaubens. Die Einsetzung zum Sohn Gottes "in Macht" (griechisch: en dynámei) - wohl eine Einfügung von Paulus - verweist auf die universale, kosmische Herrschaft Jesu Christi, in dei Gott seinen von den Toten erweckten und zu sich aufgenommenen Sohn eingesetzt hat. Aus diesem "Herrschaftsanspruch" kann Paulus auch sein Missionswerk ableiten, nicht nur unter Juden, sondern unter allen Völkern, bei den sogenannten "Heiden", Jesus Christus zu verkündigen. Auch diese Dimension ist in der eher innerjüisich ausgerichteten Messiaserwartung zur Zeit Jesu nicht enthalten gewesen.
So legt Paulus theologisch mit zwei Versen dar, warum es im Sinne des "Evangeliums Gottes" ist, dass es überhaupt eine aus Judenchristen und Heidenchristen bestehende Gemeinde im heidnischen Rom geben kann.
Verse 5-6: Was von Paulus gilt, gilt auch von den römischen Christinnen und Christen
Die nächsten beiden Verse ergeben sich aus allem bisher Gesagten. Brieflich gesehen nimmt Paulus nun die Kurve und lenkt endlich zu denen über, die er ansprechen will: die Christinnen und Christen der römischen Gemeinde, bei denen er sich ja mit seinem Brief einführen will. Wenn alles am "Herrn Jesus Christus" hängt und Paulus sich selbst als dessen "Knecht" sieht, kann auch die Haltung der Glaubenden nur "Gehorsam" im Glauben sein. Es ist derselbe Gehorsam gegenüber Christus, den auch Paulus zu leben versucht. Hier gilt allen im Grundsatz dieselbe "Berufung" (Wiederholung des Stichwortes aus Vers 1), die sich dann in unterschiedlichen Tätigkeiten entfaltet. Paulus ist eben "ausgesondert, das Evangelium Gottes zu verkünden" (Vers 1) und damit permanent "auf Achse" zu sein. Die Christen von Rom haben ihre Aufgaben eher vor Ort. Sie leigen in der Alltagsgestaltung, von der Römerbrief später (besonders ab Kapitel 13) sprechen wird.
Vers 7
Am Ende der Lesung steht der in den Briefen der damaligen Zeit übliche Heilswunsch, hier in Form eines Segenswunsches, der mit den letzten Worten zu Vers 1 zurückführt (s. o. zu Vers 1).