Der Gott des Friedens und die Tugenden der Welt. Wie Paulus die Gemeinde ermutigt, auch auf die Weisheit der Welt zurückzugreifen.
1. Verortung im Brief
Der Apostel Paulus schreibt der Gemeinde von Philippi, der ersten Gemeinde in Europa, während er (wahrscheinlich) in Ephesus im Gefängnis sitzt. Paulus hat zu der Gemeinde eine besonders intensive Beziehung, nur von ihr lässt er sich auch finanziell unterstützen. Im Philipperbrief (Phil), der Korrespondenz zwischen Gemeinde und Apostel geht es sowohl um persönliche Anliegen und Vorhaben des Apostels als auch um die konkrete Situation der Gemeinde.
Kurz vor dem Abschluss des Briefes mit Dank und Segenswünschen knüpft der Apostel Paulus noch einmal an den Anfang des Schreibens an und rückt das Verhalten der Gemeinde, sein eigenes Lebenszeugnis und die Zuversicht in Gott in den Blick. Unmittelbar zuvor (Phil 4,4-5) war die Freude das Hauptthema des Abschnitts.
2. Erklärung einzelner Verse
Verse 6-7: Die Aufforderung, sich nicht zu sorgen, knüpft an die zuvor thematisierte Freude an. Denn die Freude „zu jeder Zeit“ zu der Paulus die Philipper auffordert, ist in Jesus Christus als demjenigen, der Heil und Leben schenkt begründet. Dieses Wissen um Christus als Fundament des eigenen Lebens schenkt eine gewisse Grundzuversicht. Deshalb sollen sich die Philipper nicht um die alltäglichen Dinge sorgen, sondern vielmehr darauf vertrauen, dass sie sich mit all ihren Anliegen an Gott wenden können (vgl. Matthäusevangelium 6,25). Dabei ist die Dankbarkeit für Gottes unüberbietbare und alles menschliche Verstehen übersteigende Güte und Nähe (= Frieden) der Ausgangspunkt für alles Bitten.
Die Formulierung „Friede Gottes“ findet sich in verschiedenen Formen auch in anderen Paulusbriefen (z.B. 1. Thessalonicherbrief 5,23 oder 2. Korintherbrief 13,11). Aus der biblischen Tradition heraus ist „Friede“ gleichzusetzen mit „Heil“. Denn Friede mit Gott, meint Nähe und Unmittelbarkeit zu Gott und ist damit eine Heilszusage. Hatte Paulus in Vers 6 die Gemeinde ermutigt, sich an Gott zu wenden, so beschreibt er hier die entgegengesetzte Bewegung: Gott wendet sich den Menschen zu, er „bewahrt“, d.h. er hält die Menschen in seiner Nähe.
Verse 8-9: Die Überleitung („im Übrigen“) zu den beiden Versen, in denen Paulus die Gemeinde noch einmal bestärkt und ermahnt, macht deutlich, dass seine Worte als „beiläufige“ Hinzufügung zu dem Vorherigen zu lesen sind. Der Apostel gibt seinen Adressaten hier zwei wesentliche Hinweise mit, wie das christliche Leben ohne Sorge um das Alltägliche und im Vertrauen auf Gott gelingen kann. Der Hinweis auf sein eigenes Vorbild (Vers 9) überrascht nicht. Immer wieder, vor allem aber am Anfang des Briefes (Phil 1,12-26), hatte Paulus sein eigenes Schicksal zum Ausgangspunkt seiner Unterweisung an die Gemeinde gemacht. Die Philipper sollen und dürfen sich ein Beispiel daran nehmen wie Paulus im Vertrauen auf Gott beispielsweise seine Gefangenschaft erlebt und sie sogar als Weg der Verkündigung des Evangeliums begreift. Wenn er also daran erinnert, was die Gemeinde „gelernt, angenommen, gehört, an ihm gesehen“ hat, dann meint er sein Lebenszeugnis im umfassenden Sinne: Seine Verkündigung und sein Handeln.
Im Gegensatz dazu ist die Reihe von Adjektiven, die Paulus den Philippern mitgibt, auf den ersten Blick verwunderlich. Er greift damit auf Begriffe bzw. Tugenden zurück, die in der stoischen Philosophie verwendet werden. Er nimmt also – wenn man so will – Lebensregeln aus der nicht-christlichen Umwelt auf und gibt sie der Gemeinde als Richtschnur mit. Dabei steht für Paulus das „Ergebnis“ eines solchen tugendhaften Lebens im Vordergrund. Die Gemeinde ist aufgerufen, ein gutes Leben zu führen und damit ein Vorbild für die Menschen in ihrer Umgebung zu sein. Dabei kann sie sich neben der Orientierung an dem, was sie durch den Glauben an Jesus Christus an Hilfestellungen für ein gelingendes Leben empfangen hat, auch an den allgemeinen Tugenden ihrer Zeit orientieren. Paulus ermutigt die Gemeinde also das Gute, was die Menschen um sie herum prägt, aufzunehmen und wertzuschätzen.