Das Lamm, das Johannes sieht, ist nicht putzig und süß, eher bemerkenswert. Nicht zufällig lenkt es die ganze Aufmerksamkeit des Sehers auf sich. Er erkennt in diesem Lamm, das Zeichen der Ohnmacht wie der Stärke in sich vereint, denjenigen, von dem allein her Hoffnung zu gewinnen ist. Es stand und steht allen entgegen, die ihre Hoffnung allein auf Krieg setzen, besonders denen, dei Kriege anzetteln.
Was für die Lesungsauswahl alles weggelassen wurde, aber für das Verstehen hilft
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Dieser Lesungabschnitt ist der Abschluss der ersten großen Vision, die der Seher Johannes auf Patmos schildert (zum Buch der Offenbarung, seinem apokalyptischen Charakter und seinem Aufbau s. unter "Überblick" zur Zweiten Lesung des Zweiten Sonntags der Osterzeit). Im Cinematoskop-Format darf Johannes in dieser Vision (insgesamt umfasst sie Offenbarung 4,1 - 5,14) Einblick nehmen in den Bereich Gottes: Zum Teil an prophetischen Visionen (Jesaja 6, Ezechiel 1), zum Teil an der apokalyptischen Bilderwelt Maß nehmend, steht Johannes ein himmlischer Thronsaal vor Augen, in dem die verschiedensten Wesen Gott die Ehre geben. Sie spiegeln letztlich in symbolischer Weise die gesamte Schöpfung in ihrer ganzen Vielfalt wieder, die Gott als ihren Schöpfer lobpreist (Kapitel 4).
In Kapitel 5 werden zwei neue "Dinge" eingeführt, die Johannes als Vision wahrnimmt: eine zusammengerollte und versiegelte Buchrolle sowie ein Lamm: "Es sah aus wie geschlachtet und hatte sieben Hörner und sieben Augen; die Augen sind die sieben Geister Gottes, die über die ganze Erde ausgesandt sind" (Offenbarung 5,6).
Die Buchrolle ist ein Symbol für das, was Gott mit der gesamten Geschichte vor hat; für seinen Plan, wie er seinen Heilswillen in die Tat umsetzen wird. Da Gott und Schöpfung streng gegetrennt sind, gibt es kein geschöpfliches Wesen, das dieses Heilsgeheimnis kennt. In der Vision wird dies daran erkennbar, dass kein einziges der Wesen aus dem himmlischen "Hofstaat", die alle denkbaren Geschöpfe "im Himmel, auf der Erde und unter der Erde" repräsentieren, diese Rolle zu öffnen vermag. Einzig dem "Lamm" mit der Messerwunde am Hals (vom jüdischen Schlachtritus des Schächtens herrührend), das mit Allmacht und Allsichtigkeit ausgestattet ist (die Zahl "sieben" symbolisiert Vollkommenheit, die "Hörner" sind im Alten Orient ein Machtsymbol, das etwa an die Kraft von Stieren denken lässt), wird in der Vision die Buchrolle zur Entsiegelung in die Hand gegeben.
Das besagt: Einzig Jesus Christus, der am Kreuz in den Tod gegangen ist, um mit seinem Blut das letzte Unheil, den Verlust der Freundschaft Gottes und damit des ewigen Lebens, von den Menschen fernzuhalten (das meint "Erlösung"), der aber aus dem Tode erweckt wurde und von Gott Vater mit himmlischer Macht bekleidet wurde - einzig dieses Lamm, das nicht Geschöpf ist, sondern Gottes Sohn, vermag die Buchrolle zu öffnen. Die Lösung der sieben Siegel prägt den weiteren Verlauf des Buches der Offenbarung: In Kapitel 6-7 werden die ersten sechs Siegel geöffnet, mit Kaptitel 8 beginnt die Öffnung des siebten Siegels, das einen ganzen "Wasserfall" von Visionen auslöst - nach einer spannnungsvollen Stille: "Als das Lamm das siebte Siegel öffnete, trat im Himmel Stille ein, etwa eine halbe Stunde lang" (Offenbarung 8,1).
Diese besondere Rolle des Lammes erklärt die ehrfurchsvolle Verehrung durch alle anderen Wesen. Von ihnen werden besonders herausgehoben die 24 Altesten (eine Art "Thronrat", der 24 Stunden zur Verfügung steht und - wie bereits die Ältesten im Judentum - für Würde und Weisheit steht) und die vier Thronwächter ("Wesen"), die in der Lesung als bekannt vorausgesetzt werden (Vers 11.14), weil sie bereits in Offenbarung 4,4.7-8 vorgestellt wurden:
4 Und rings um den Thron standen vierundzwanzig Throne und auf den Thronen saßen vierundzwanzig Älteste, in weiße Gewänder gekleidet und mit goldenen Kränzen auf dem Haupt. ...
6b Und in der Mitte des Thrones und rings um den Thron waren vier Lebewesen voller Augen, vorn und hinten. 7 Das erste Lebewesen glich einem Löwen, das zweite einem Stier, das dritte sah aus wie ein Mensch, das vierte glich einem fliegenden Adler. 8 Und jedes der vier Lebewesen hatte sechs Flügel, außen und innen voller Augen. Sie ruhen nicht, bei Tag und Nacht, und rufen: Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der Gott, der Herrscher über die ganze Schöpfung; er war und er ist und er kommt (Offenbarung 4,4.7-8).
Nachdem diese beiden Gruppen - Älteste und Wesen - dem Lamm ihre Ehre erwiesen haben und es als denjeigen gegrüßt haben, der durch sein Blut (also den Kreuzestod Jesu) viele für Gott gewonnen hat, stimmen nun die Engel als die übrigen, etwas niederrangigen "Mitglieder" des himmlischen Hofstaates in den Lobpreis Gottes und des Lammes ein. Das ist der Beginn der Lesung, die für die Hörenden im Gottesdienst im Grunde sehr unvermittelt einsetzt.
Der Lesungstext
Vers 11: "Zehntausend mal zehntausend und tausend mal tausend Engel"
Die Engel haben ihre "Karriere" erst in der Zeit zwischen dem Alten und Neuen Testament gemacht. Früher wurde von einzelnen "Boten" (traditionell wird das hebräische Wort mal'ak "Bote" mit "Engel" übersetzt) als Überbringern göttlicher Botschaften gesprochen (vgl. z. B. Richter 6,11). Außerdem gab es Kerubim bzw. Serafim als geflügelten Wesen mit der Aufgabe des Bewachens (Paradiesgarten in Genesis 3,24) oder des ständigen Lobpreises Gottes (z. B. Jesaja 6,2-3); hier begegnet allerdings nicht der Begriff mal'ak. Die Apokalyptik aber (s. den Link oben) bevölkert den Himmel mit ganzen Chören von Engeln. Sie repräsentieren als Gott sehr nahe, aber nicht gottgleiche Wesen teilweise die irdischen Völker, Gemeinden und Einzelpersonen im Himmel, zum Teil stellt man sich wohl auch das Leben der Verstorbenen in Engelgestalt vor. Alles Zählen versagt hier. Normalerweise schreibt man im Hebräischen - und die Apokalyptik kommt aus dem jüdisch-hebräischen Denken - Zahlen mit Hilfe der Buchstaben des Alphabets. Bei 22 Buchstaben kommt man aber nur bis 400. Darüber hinaus gibt es noch zwei eigene Zahlwörter für 1.000 und 10.000. Besonders die "Zehntausend" steht letztlich für Unzählbarkeit, was dann erst recht für die Multiplikationen gilt, die in Vers 11 gewählt wurden (vgl. auch Daniel 7,10).
Vers 12: Der Lobgesang
Diese unzählbare Zahl der Engel also stimmt in den Lobgesang der 4 Wesen und 24 Ältesten auf das Lamm als einzig würdiges Wesen zur Öffnung der Buchrolle ein, der zuvor schon einmal ausgeführt wurde (Offenbarung 5,9-10). Wenn dieser Gesang dort als "neues Lied" eingeführt wird, so wird er als himmlische Entsprechung des irdischen Psalmengesangs verstanden. Denn in den Psalmen ist sehr oft von einem "neuen Lied" die Rede: Psalm 33,3; 40,4; 96,1; 98,1; 144,9; 149,1.
Wer bei dem konkreten Lobpreis ("Doxologie") in Vers 12 sich an die Doxologie, die oft auf das Vaterunser folgt, erinnert fühlt, liegt nicht falsch: "Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen". Vermutlich spiegelt auch der Engelgesang einen konkrete gottesdienstlichen Text aus den Gemeinden des Johannes wieder. Das Wichtigste ist wieder einmal die Zahlensymbolik: Genau sieben Aussagen werden gemacht - entsprechend der Zahl der Heiligkeit und Vollkommenheit, die biblisch immer auf Gott verweist, ob z. B. als Schöpfung in 7 Tagen (Genesis 1,1 - 2,4a) oder als 7 Gaben des Geistes Gottes (Jesaja 11,2-3). Und wenn die Offenbarung in Kapitel 2-3 genau sieben Gemeinden anspricht, so geht es hier wohl vor allem die Gemeinschaft derer, die zu Gott und Jesus Christus gehören - egal, wie viele Gemeinden Johannes tatsächlich "betreut" hat.
Vers 13: Die Erweiterung der Lobpreisenden
Vers 13 füllt den Chor der Lobpreisenden noch einmal um die gesamte geschöpfliche Welt auf. Er liest sich wie eine Bestätigung des großen Christus-Hymnus des Apostel Paulus, der sich in seinem Brief an die Gemeinde von Philippi findet (die fettgedruckte Aussage findet sich wörtlich in Vers 13 der Lesung):
9 Darum hat ihn Gott über alle erhöht und ihm den Namen verliehen, der größer ist als alle Namen,
10 damit alle im Himmel, auf der Erde und unter der Erde ihr Knie beugen vor dem Namen Jesu
11 und jeder Mund bekennt: Jesus Christus ist der Herr zur Ehre Gottes, des Vaters (Philipper,2,9-11).
Vers 14: Der Abschluss des himmlischen Gottesdienstes
Die Orientierung der himmlischen Liturgie am irdischen Gottesdienst findet ihre letzte Bestätigung im Schluss-Amen bzw. Niederknien der vier Wesen und der 24 Ältesten. Nachdem sie ja bereits in Vers 9-10 ihren Lobpreis ausgesprochen haben, bestätigen sie jetzt die Doxologie der Anderen: inhaltlich mit dem zustimmenden Amen, auf der Handlungsebene mit der entsprechenden Ehrfurchtsgeste vor dem, den sie soeben gepriesen haben.