Liebe, Vergebung, Dankbarkeit und Friede - das sind für den Kolosserbrief die entscheidenden Zutaten, damit Zusammenleben aus christlichem Geist gelingen kann. Das gilt in der Familie ebenso wie in allen größeren sozialen Gemeinschaften.
Einordnung des Lesungsabschnitts in den Kolosserbrief
Der Kolosserbrief bewegt sich im Wesentlichen auf zwei Ebenen: einer philosophisch-theologischen und einer christlich-lebenspraktischen. Zwei Verse zeigen dies deutlich an:
Kol 2,8 setzt nach einer langen Briefeinleitung folgendermaßen an:
Gebt Acht, dass euch niemand mit seiner Philosophie und leerem Trug einfängt, die sich nur auf menschliche Überlieferung stützen und sich auf die Elementarmächte der Welt berufen, nicht auf Christus!
Nachdem der Brief die entsprechende Argumentation abgeschlossen hat, die zum Verständnis der Sonntagslesung nicht behandelt werden muss, heißt es in Kol 3,1:
Seid ihr nun mit Christus auferweckt, so strebt nach dem, was oben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt!
Das "Streben nach oben" meint nichts anderes als eine Ausrichtung des Lebens auf Christus hin, von dem man durch das Todesbad der Taufe hindurch in ein neues Leben auferweckt worden ist. Diesen Existenzwechsel bezeichnet der usrprüngliche Taufritus, mit dem man als "alter" Mensch in das im Boden eingelasseneTaufbecken einstieg und untertauchte (ein Sterbesymbol), um dann als "neuer", von Jesus Christus geprägter Mensch aufzutauchen und aus dem Becken herauszukommen (ein Symbol der Auferweckung in ein neues Leben, das eben nicht erst nach dem Tode beginnt).
Was in der Taufe rituell geschieht, soll aber im Alltagsleben Wirklichkeit werden und für andere ablesbar sein. Dazu entwickelt der Kolosserbrief zunächst eine Art christliche Tugendlehre. Dabei beginnt er mit einer Auflistung von Verhaltensweisen, die man ablegen und meiden soll wie Zorn, Wut, Bosheit, Lästerung,schmutzige Rede und Lüge (Kol 3,8-10), um dann zu positven Verhaltensweisen zu kommen.
Der Lesungstext
Hier genau setzt die Zweite Lesung zum Fest der Heiligen Familie ein. Der Auflistung der zu unterlassenden Verhaltensweisen steht ab Vers 12 ein positver Forderungskatalog gegenüber: inniges Erbarmen, Güte, Demut, Milde, Geduld, Vergebung, Liebe, Friede. Dabei kann die Liebe als das alles andere zusammenfassende Zentralgebot verstanden werden.
Was sie in ganz konkreten Lebenszusammenhängen bedeutet, das entfalten wiederum die Verse 18-21 - eine sogenannte Haustafel (s. unter "Auslegung"), die allerdings im ausgewählten Lesungsabschnitt nur verkürzt ohne die Verse Kolosser 3,22 - 4,1 wiedergegeben wird.
Der christliche "Anzug" (Verse 12-13)
"Zieht an" - hinter dieser ersten Aufforderung steckt das Bild des sich Bekleidens. Es ist prinzipiell schon aus dem Alten Testament bekannt, wenn die Bitte, dass Gott seine Stärke zur Rettung des Volkes Israel erweisen soll, in die Worte gebracht wird: "Bekleide dich mit Macht, Arm des HERRN" (Jesaja 51,9), oder im Text des Kirchenliedes: "Zieh an die Macht, du Arm des Herrn". Dies meint: Gott möge seine Wirkmacht, für die der Arm steht, wie einen Ärmel überstreifen. Es wäre ein Missverständnis, zu meinen, es gehe damit um etwas Äußerliches. Vielmehr geht es darum, dass etwas Wesentliches (Macht, Stärke, Fähigkeit zur Hilfe) sichtbar und damit erfahrbar wird.
Paulus nutzt dieses Bild des sich Bekleidens im Blick auf die Taufe:
Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. (Galater 3,27)
Auch hier soll gesagt werden: Taufe ist nicht etwas Äußerliches; sondern etwas Wesentliches - die Prägung durch Christus - soll sichtbar werden im Erscheinungsbild des Getauften - wie ein Kleid. Auf diese Vorstellung greift der Kolosserbrief zurück, der vermutlich nach Paulus durch einen uns unbekannten Autor geschrieben wurde, der die Paulusbriefe - ganz besonders übrigens den Philemonbrief (s. dazu unter "Auslegung") - sehr genau gelesen hat. Er verbindet das paulinische Bild der Bekleidung mit der anderen Feststellung des Paulus, dass das ganze Gesetz im Liebesgebot zusammengefasst sei (Galater 5,14). Ein großer Teil der konkreten Tugenden findet sich übrigens auch bereits im sogenannten Hohelied der Liebe in 1 Korinther 13 (s. Kontexte) und in Galater 5,22-23 ("22 Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, 23 Sanftmut und Enthaltsamkeit; gegen all das ist das Gesetz nicht.").
Die eigentliche Mahnung des Kolosserbriefes lautet also. All ihr Getauften, lasst Euer Getauftsein spürbar und sichtbar werden. An eurem Verhalten muss ablesbar sein, dass ihr Christus "angezogen" habt und zu ihm gehört.
Das "Band der Vollkommenheit" (Vers 14)
"Vollkommenheit" ist ein starkes Wort und führt schnell zur Entmutigung. Wer ist schon vollkommen? Doch es geht ja nicht einfach um eine Aufforderung zur Vollkommenheit. Vielmehr wird mit dem Begriff die "Leistungsfähigkeit" der Liebe an und für sich beschrieben. Gemeint ist also: Besser als im Begriff der Liebe, die prinzipiell am Wohl des Anderen Maß nimmt und nicht an den eigenen Ansprüchen, lässt sich nicht zusammenfassen, was eine Lebensgemeinschaft wirklich zusammenhalten kann. Alle anderen denkbaren "Bänder" - z. B. Gerechtigkeit, Gleichberechtigung usw. - haben nicht dieselbe Bindekraft und Umfassendheit. Da es hier um eine entschieden christliche Sicht geht, schließt die Vorstellung der "Liebe" auch eine Liebe bis zur Selbsthingabe ein, die in Jesus ihr Vorbild hat.
Die christliche Familienordnung (Verse 18-21)
Es ist sehr einfach, gerade diese Verse schnell abzutun mit ihrer Forderung an die Frauen, sich den Männern unterzuordnen, und an die Kinder, zu gehorchen. Das ist heute - jedenfalls in vielen westlichen Ländern - so nicht mehr vermittelbar und widerspricht völlig dem Lebensgefühl der Menschen.
Den Text so zu lesen hieße aber, ihn fundamentalistisch misszuverstehen. Männer, Frauen und Kinder werden als absolut gleichrangiges Gegenüber des Briefschreibers angesprochen. Nimmt man die ausgelassenen Verse 3,22 - 4,1 hinzu, gilt dies in identischer Weise für die Sklaven und(!) deren Herren. Etwas umgangssprachlich asugedrückt könnte man sagen: Alle bekommen gleichermaßen "ihr Fett weg". Alle erhalten Maßgaben zu einem respektvollen Verhalten eine/r gegenüber der/dem Anderen. Das wäre in keiner griechischen Haustafel denkbar gewesen. Dass dieser Sprung nicht schon gleichzeitig das Herausspringen aus patriarchalischen Vorstellungen bedeutet, die wir gerade einmal im ausgehenden 20. Jahrhundert wirklich zu ändern begonnen haben, ist für das erste nachchristliche Jahrhundert nun wirklich nicht erwartbar oder es ist die Erwartung desjenigen, der zweitausend Jahre später alles besser wissen.
So gelesen steckt in der Haustafel des Kolosserbriefes eine große Sprengkraft für das vorbildliche Leben christlicher (Lebens)-Gemeinschaften. Stark zu machen sind die Forderungen, dass gerade die Männer zur Liebe aufgefordert werden, und die Väter zu einer Erziehung, die die Kinder nicht einschüchtert und entmutigt. Wo in der Kirche aus dem Getauftsein Aller solche herzensgute, wohlmeindende und wertschätzende Zuwendung zwischen allen Geschlechtern, Generationen und sozialen Gruppen gelebt wird, könnte eine große missionarische Kraft entstehen.
Und so gelesen beschreibt das Fest der Heiligen Familie keine Idylle, sondern einen herausfordernden Auftrag.