Lesejahr B: 2023/2024

2. Lesung (Jak 5,1-6)

51Ihr aber, ihr Reichen, weint nur und klagt über das Elend, das über euch kommen wird!

2Euer Reichtum verfault und eure Kleider sind von Motten zerfressen, 3euer Gold und Silber verrostet. Ihr Rost wird als Zeuge gegen euch auftreten und euer Fleisch fressen wie Feuer. Noch in den letzten Tagen habt ihr Schätze gesammelt.

4Siehe, der Lohn der Arbeiter, die eure Felder abgemäht haben, der Lohn, den ihr ihnen vorenthalten habt, schreit zum Himmel; die Klagerufe derer, die eure Ernte eingebracht haben, sind bis zu den Ohren des Herrn Zebaoth gedrungen.

5Ihr habt auf Erden geschwelgt und geprasst und noch am Schlachttag habt ihr eure Herzen gemästet. 6Verurteilt und umgebracht habt ihr den Gerechten, er aber leistete euch keinen Widerstand.

Überblick

Reichtum ist vergänglich – und hat keine Bedeutung im Angesicht Gottes. Das Elend kommt!

 

1. Verortung 

Der für die Lesung ausgewählte Abschnitt aus dem Jakobusbrief lässt offen, ob es für die Reichen noch eine Rettung vor dem Unheil gibt. Ein Ausweg wird nicht erwähnt, ihr Schicksal scheint gemäß Vers 1 besiegelt. Die prophetische Gerichtandrohung ist im Duktus des Briefes jedoch vielleicht ein indirekter Umkehraufruf. Bemerkenswert ist, dass nur hier und in Jakobus 4,13-17 nicht die Gläubigen angesprochen werden, sondern direkt die Reichen: auf den Gewinn fokussierte Kaufleute und gierige Grundbesitzer werden in den Fokus gesetzt. Im Kontext des Briefes geht es jedoch nicht um eine pauschale Verurteilung von Reichtum. Der Leser und die Leserin von Jakobus 5,1-6 hat bereits am Anfang des Briefes einen Leseschlüssel in die Hand gedrückt bekommen: „Der Bruder, der in niederem Stand lebt, rühme sich seiner hohen Würde, der Reiche aber seiner Niedrigkeit; denn er wird dahinschwinden wie die Blume im Gras. Denn die Sonne geht auf mit ihrer Hitze und versengt das Gras; die Blume verwelkt und ihre Pracht vergeht. So wird auch der Reiche vergehen in allem, was er unternimmt.“ Ein Weg der Umkehr ist auch für Reiche nicht ausgeschlossen: „Doch er gibt noch größere Gnade; darum heißt es auch: Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er Gnade. 7 Ordnet euch also Gott unter, leistet dem Teufel Widerstand und er wird vor euch fliehen. Naht euch Gott, dann wird er sich euch nahen! Reinigt die Hände, ihr Sünder, läutert eure Herzen, ihr Menschen mit zwei Seelen! Klagt, trauert und weint! Euer Lachen verwandle sich in Trauer und eure Freude in Betrübnis.“ (Jakobus 4,6-19). Das Motiv des Klagens, Trauerns und Weinens wird in Jakobus 5,1 direkt aufgenommen und bietet somit vielleicht doch noch eine kleine Hoffnung an. 

2. Aufbau

Der Abschnitt beginnt mit einer klaren Handlungsanweisung: „weint nur und klagt“ (Vers 1). Der folgende Text ist ein Rückblick auf das Verhalten des Reichen und der Bedeutung für die Gegenwart. Der Blick auf den Reichtum geschieht in den Versen 2-3 aus der Perspektive der Zeit, bzw. Vergänglichkeit und in den Versen 4-6 unter dem Aspekt der Sozialethik.

 

3. Erklärung einzelner Verse 

Vers 1: „Also, nun zu Euch“, so könnte man den Beginn dieses Verses auch übersetzen. Der Ton ist bereits konfrontativ. Pauschal verurteilend, undifferenziert, ja polemisch ist die Anrede „ihr Reichen“. Ihne wird Unheil angekündigt. Weinen und Klageschreien sind die Reaktion der Sünder auf Gott und sein machtvolles Auftreten am Tag des Gerichts; vgl. z.B. Jes 14,31: „Heul auf, Tor! Schrei auf, Stadt! / Verzage, ganz Philistäa! Denn von Norden kommt Rauch / und keiner entfernt sich aus den Reihen seines Heeres.“ Die Wehklage mag das Unheil nicht mehr abzuwenden, genauerhin ist es bereits wirksam – das Verb am Ende des Verses steht in der Gegenwartsform, „die Drangsal, die über euch kommt“.

Vers 2: Dem überfließenden Reichtum werden keine Luxusgüter an die Seite gestellt, sondern die alltägliche Kleidung – das hier verwendete griechische Wort unterscheidet nicht zwischen armseliger und luxuriöser Bekleidung. Der überfließende und der notwendige Besitz vergehen – wohl bewusst werden den Gütern natürliche Prozesse der Vergänglichkeit zugeschrieben: verfaulen und zerfressen werden. Bemerkenswert ist, dass die verwendeten Verben in der Vergangenheitsform stehen: Die Vergänglichkeit des Besitzes hat sich bereits gezeigt.

Vers 3: Es ist unmöglich, dass die Edelmetalle Gold und Silber rosten; doch auch der alttestamentliche Weisheitslehrer Jesus Sirach geht davon aus, dass Gold rosten kann (Sirach 29,10).  Mit solchen Aussagen wird nochmals der natürliche Fluch über vermeintliche Wertgegenstände verdeutlicht. Zudem zeigt ein Blick auf Jakobus 3,8, dass das hier verwendete griechische Wort ἰός, nicht nur „Rost“, sondern auch „Gift“ bedeuten kann. Nun wechselt der Text in die Zukunftperspektive, und es wird angekündigt, dass dieser Rost/dieses Gift als Belastungszeuge gegen die Reichen am Tag des Gerichtes auftreten wird, und ebenso wie das Gold und Silber auch das Fleich der Reichen zersetzen wird. Die Formulierung „wie Feuer“ ist vielleicht ein Anklang an die alttestamentlich-prophetische Sprache, in der Gottes Zorn die Menschen trifft „wie Feuer“, z.B. Am 5,6: „Sucht den HERRN, dann werdet ihr leben. / Sonst dringt er in das Haus Josef ein wie ein Feuer, das frisst, / und niemand löscht Bet-Els Brand.“ Der letzte Satz von Vers 3 ist nicht ganz leicht zu entschlüsseln. Sowohl das Anhäufen als auch die Sammlung wertvoller Gegenstände steht im Fokus; aber worauf bezieht sich die Angabe „in den letzten Tage“. Wird damit beschrieben, dass die Reichen bis in die Gegenwart des Jakobusbriefes nicht aufgehört haben, vergänglichen, weltlichen Werten nachzujagen? Oder steht die Wendung „in den letzten Tagen“ auf das Motiv des Gottes Gerichts an, dass gemäß Vers 1 im Kommen ist? 

Vers 4: Im Endeffekt ist die Solidarität der reichen Grundbesitzern mit ihren Arbeitern, der entscheidende Prüfstein für ein Leben nach dem Willen Gottes, der hier als Zebaoth in seiner Allmacht beschrieben wird. Bereits der alttestamentliche Weisheitslehrer Jesus Sirach schreibt: „Den Nächsten mordet, wer ihm den Unterhalt wegnimmt, und Blut vergießt, wer einem Lohnarbeiter den Lohn raubt“ (Sirach 34,16-17). Im Endeffekt ist das hier in Jakobus 5,4 beschriebene Verhalten der Grundbesitzer ein direkter Verstoß gegen das göttliche Gesetz: „Du sollst einen notleidenden und armen Tagelöhner unter deinen Brüdern oder unter den Fremden, die in deinem Land innerhalb deiner Stadtbereiche wohnen, nicht ausbeuten. An dem Tag, an dem er arbeitet, sollst du ihm auch seinen Lohn geben. Die Sonne soll darüber nicht untergehen; denn er ist in Not und lechzt danach. Dann wird er nicht den HERRN gegen dich anrufen und es wird keine Strafe für eine Sünde über dich kommen.“ (Deuteronomium 24,14-15).

Verse 5-6: Der „Schlachttag“ könnte wieder eine Anspielung auf das bevorstehende Gericht Gottes sein, bzw. das kommende Unheil; vgl. Jeremia 12,3: „Du jedoch, HERR, kennst und siehst mich; du hast mein Herz erprobt, ob es bei dir ist. Raff sie weg wie Schafe zum Schlachten, sondere sie aus für den Tag des Mordens!“ Doch der Satzbau spricht dagegen. Die Reichen mästen sich auf Erden – ihr Gott ist ihr Bauch. Während sie im Reichtum schwelgen, lassen sie andere leiden (siehe Vers 4). Ihr Herz ist vom weltlichen Genuss verfettet. Der „Schlachttag“ hat zudem noch eine zweite Sinnebene, wenn man Vers 6 in die Erklärung einbezieht. Der Schlachttag ist der Tag der Ermordung des Gerechten – gemeint ist ein exemplarischer Singular. Dass Gerechte der Unterdrückung durch die Reichen keinen Widerstand leisten ist kein Zeichen von Schwäche, noch einer Opfermentalität. Hier zeigt sich das theozentrische Denken des Jakobusbriefes, das dieser Leser zum Beispiel in Jakobus 4,6 schon ausformuliert gelesen hatten: „Gott tritt den Stolzen entgegen, den Demütigen aber schenkt er Gnade.“ – und die göttliche Weisheit liegt gemäß Jakobus 3,7 in Friedfertigkeit vor. 

Auslegung

Polemisch erklingt eine Schelte gegen „die Reichen“. Sie werden vergehen, im Gericht nicht bestehen – da die Stimmen, der von ihnen Unterdrückten im Himmel Gehör finden. Nein, Reichtum an sich ist nicht schlecht. Doch welche Relevanz besitzen weltliche Güter im Angesicht der Ewigkeit, bzw. im göttlichen Gericht? Wer sich an Reichtum klammert und ihn ungerecht vermehrt, verneint die Vergänglichkeit der Zeit und der irdischen Güter. Eine solche Überheblichkeit ist eine Verneinung der von Gott geschaffenen Ordnung, die nicht materialistisch ausgerichtet ist, sondern auf Gerechtigkeit zielt. 

An „die Reichen“ wird eine klare Mahnung ausgesprochen. Ob es noch eine Möglichkeit der Rettung für sie gibt, ist ungewiss. Im letzten Teilvers erklingt dann das überraschende Kontrastbild. Der Gerechte wird als Gegenbild entworfen. Derjenige, der Gottes Willen folgt, kämpft im Hier und Jetzt nicht gegen seine Ausbeutung und Unterdrückung – ein auch in unserer heutigen Zeit, problembehaftetes Bild. Der Gerechte leistet keinen Widerstand, sondern erleidet das durch Menschenhand verursachte Unheil und blickt voller Gelassenheit auf das ewige Heil. 

Kunst etc.

„Euer Gold und Silber verrostet“, steht in Vers 3. Rost entsteht, wenn Eisen mit Sauerstoff reagiert, dann wird das ach so harte Metall sozusagen aufgefressen; es gibt Elektronen an den Sauerstoff in der Luft ab. Dieser Vorgang ereignet sich weder bei Gold noch Silber – doch in der Sprache des Jakobusbriefes geht es nicht um natürliche Abläufe, sondern um ein Sinnbild. Im Angesicht des Himmels ist selbst ein weltliches Edelmetall nichts wert und vergeht; ja noch schlimmer, es vergiftet die Herzen der Menschen.

Bild von Kevin Cannings auf Pixabay verfügbar. Lizenz: gemeinfrei.
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